ZOiS Spotlight 5/2019

Erinnerungsgesetze und polnische Stimmen aus dem Ausland

Von Félix Krawatzek 06.02.2019
Roberto Galan / Alamy Stock Foto

Im Februar 2018 hat die polnische Regierung ein Gesetz verabschiedet, mit dem es eine Straftat wäre, die Polen einer Komplizenschaft am Holocaust zu beschuldigen und von „polnischen Todeslagern“ zu sprechen. Die Reform des Gesetzes über das Institut des Nationalen Gedenkens sorgte für einen internationalen Aufschrei. Die Gesetzesänderung wurde nicht nur als Bedrohung für die Meinungsfreiheit und als ein Akt von Geschichtsrevisionismus kritisiert, sondern auch, weil es in weiten Teilen nicht umsetzbar sei.

Das Gesetz ist Teil des schwierigen Verhältnisses des Landes zur Geschichte des Holocaust und ein weiterer, nachhaltiger Versuch der polnischen Führung, sich in die unabhängige Forschung von Wissenschaftler*innen einzumischen. Insbesondere Israel empfand das Gesetz als „Verrat am Gedenken an den Holocaust“, wie es Yehuda Bauer, emeritierter Professor für Geschichte und Holocauststudien an der Hebräischen Universität Jerusalem, formulierte.

Das Gesetz wurde schließlich im Juni 2018 abgeändert: Nach einem Treffen zwischen den Ministerpräsidenten Polens und Israels wurde der Passus über die strafrechtliche Verantwortung gestrichen. Benjamin Netanyahu und Mateusz Morawiecki gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, die die „gemeinsame Verantwortung für freie Forschung, das Fördern gegenseitigen Verständnisses und die Bewahrung der Erinnerung an die Geschichte des Holocaust“ betonte. Sie forderte zudem die Anerkennung und Verurteilung „jedes einzelnen Falles von Grausamkeiten gegen jüdische Menschen, die von Polen während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden“.

Ein Aspekt, der im Kontext des Gesetzes und seiner Abänderung weniger Aufmerksamkeit erfahren hat, ist die internationale Dimension. Diese Perspektive veranschaulicht die Bedeutung, die Migrant*innen und ihre Nachkommen für politische Entwicklungen im Herkunfts- und Aufenthaltsort haben können.[1]

Die Mobilisierung von Pol*innen im Ausland, sei es nun für oder gegen dieses Gesetz, ist ein Beispiel für politischen Transfer. Polnische Medien haben auf die Unterstützung hingewiesen, die die Position des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN) durch Auslandspol*innen beispielsweise in den USA und Kanada erfahre. Die nationalen Medien zitieren ausführlich Amerikaner*innen polnischer Herkunft, die wegen der Kritik an Polen außer sich sind. Es sollte belegt werden, dass diese Reform „zur Verteidigung der Wahrheit“ notwendig sei.

Im Februar 2018 versuchte Stanisław Karczewski, der Vorsitzende des polnischen Senats, Auslandspol*innen für eine Unterstützung des Gesetzes zu mobilisieren. In seinem Schreiben unterstrich er die lange Geschichte der Unterstützung Polens durch die Diaspora. Der Brief reagierte zudem auf die zunehmende internationale Kritik, insbesondere aus Israel. Dort hatten Holocaust-Überlebende und deren Nachkommen den ganzen Februar vor der polnischen Botschaft in Tel Aviv demonstriert. Parolen auf Polnisch und Hebräisch erinnerten an das Leiden und die Misshandlungen, die die Demonstrierenden während des Krieges durch Polen erfahren haben. Das polnische Erinnerungsgesetz ist ein einschneidendes Ereignis, das die Verbindungen zwischen jenen, die außerhalb Polens leben, und ihrem Herkunftsland reaktiviert. Solche Momente des Aufruhrs haben auf besondere Weise zu einer Zunahme von politischen Transfers geführt.

Was sind politische Transfers?

Welchen Ansatz sollte man – jenseits einer Kontroverse, wie sie durch derlei Erinnerungsgesetze ausgelöst wird – bei der Untersuchung von grenzüberschreitendem Aktivismus, seines Ursprungs, seiner Übertragung und seiner potentiellen Wirkung verfolgen? Politischer Transfer wird definiert als „Handlung, bei der politische Prinzipien, Begriffe und Praktiken zwischen zwei oder mehr Orten, zu denen Migrant*innen und deren Nachkommen eine gemeinsame Verbindung haben, vermittelt werden“. Die folgende Grafik zeigt den Fluss und die Wandlung von politischen Transfers zwischen Ursprung und Ziel:



Félix Krawatzek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZOiS. Eines seiner Forschungsprojekte befasst sich mit der Verbreitung von Erinnerungsgesetzen und der Rückkehr der Nation.