Expert*innenstimme

Gesetz zu „ausländischen Agenten“ in Georgien

Georgiens Regierung will ein Gesetz nach russischem Vorbild verabschieden, das sich gegen Organisationen mit ausländischer, vor allem westlicher Finanzierung als „ausländische Agenten“ einstuft. Im März 2023 hatte die Regierung in Georgien bereits versucht, ein ähnliches Gesetz zu verabschieden. Massive proeuropäische Proteste aus der Bevölkerung konnten dies stoppen. Laut dem Entwurf, der am 17. April in erster Lesung angenommen worden ist, müssen sich Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die zu mindestens 20 Prozent aus dem vor allem westlichen Ausland finanziert werden, registrieren und ihr Einkommen transparent machen. Statt als „ausländische Agenten“, wie es in der Version von März 2023 hieß, werden die betroffenen Institutionen nun als „Organisationen, die Interessen einer ausländischen Macht vertreten“ bezeichnet. Mit Tsypylma Darieva und Julia Langbein haben wir über die aktuelle Lage gesprochen.

Was würde ein solches Gesetz für die Zivilgesellschaft in Georgien bedeuten?

Tsypylma Darieva: Dieses Gesetz bedeutet einen Rückschlag für die Zivilgesellschaft in Georgien. Kritischen Stimme warnen davor, dass das Gesetz ähnlich wie in Russland künftig von Jahr zu Jahr verschärft werden kann.

Die Einführung der Registrierung kann zu administrativen Schwierigkeiten der Individuen bzw. der NGOs führen. In der Folge würden Beamte Ermessensentscheidungen treffen und somit wäre das Gesetz eine Grundlage für ungerechtfertigte Schikanen und Korruption. Vor allem sind NGOs betroffen, die sich für Menschenrechte, Frauenrechte, Minderheiten, LGBTQ+ oder alleinerziehende Elternteile einsetzen. Human Rights Watch berichtet, dass das Gesetz auch unabhängige Gewerkschaften treffen kann. Der Kreml hat den erneuten Versuch, das Gesetz einzuführen, ausdrücklich begrüßt. Damit sind die demokratischen Errungenschaften von drei Jahrzehnten georgischer Unabhängigkeit sowie der rechtlich-politische Entwicklungsprozess im Sinne der Europäisierung Georgiens in Gefahr.

Warum hält die georgische Regierung trotz massiver Proteste vor einem Jahr und auch heute an dem Gesetz fest?

Tsypylma Darieva: Die Regierungspartei Georgischer Traum will ihre Macht im Vorfeld der kommenden Parlamentswahlen sichern. In diesem Zusammenhang sieht die Regierungspartei insbesondere unabhängige Medien und NGOs, die zum Großteil von der finanziellen Unterstützung westlicher Staaten und internationaler Organisationen abhängig sind, als Hauptgegner.

Bereits im Herbst 2023 verabschiedete die Regierungspartei eine umstrittene Gesetzänderung, die die Versammlungsfreiheit einschränkt. Demnach ist es nicht mehr erlaubt, während der Demonstrationen Barrikaden und Zelte zu errichten. Diese Änderung hat zwar große Kritik, aber keine Massenproteste hervorgerufen. Vermutlich hat dies bei der georgischen Regierung die Vorstellung geweckt, dass eine Annäherung an die EU auch trotz ihres undemokratischen Verhaltens möglich ist.

Die Rückkehr des Oligarchen Bidzina Ivanishvili in die georgische Spitzenpolitik war ein weiterer wichtiger Faktor für den erneuten Versuch der georgischen Regierung, das antiliberale Gesetz über „ausländische Agenten“ einzuführen. Im Dezember 2023 übernahm er den Posten des Ehrenvorsitzenden der Regierungspartei Georgischer Traum. Die Handelsbeziehungen zu Russland haben sich seit dem Beginn der Vollinvasion in der Ukraine intensiviert und die Ukraine hatte in der Vergangenheit bereits Sanktionen gegen Ivanishvili eingeführt. Mit der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes könnte Ivanishvili sich gegen mögliche weitere Sanktionen wappnen, die in Zukunft auf ihn und sein Umfeld zukommen können.

Im Dezember 2023 erhielt Georgien von der EU den Beitrittskandidatenstatus. Entsprechend wurde das geplante Gesetz von EU-Vertreter*innen stark kritisiert. Was bedeutet dieser Vorgang für Georgiens Beziehungen zur EU?

Julia Langbein: Die georgische Regierung riskiert mit der Verabschiedung des Gesetzes bewusst, dass die EU den Beitrittsprozess auf Eis legt. Das Gesetz widerspricht klar europäischen Normen und Standards, wonach die Zivilgesellschaft frei agieren darf. Darauf haben führende EU-Politiker*innen, aber auch Bundeskanzler Scholz, deutlich hingewiesen. Der georgischen Regierung ist daran gelegen, dass nicht sie, sondern die EU für ein Stocken des Beitrittsprozesses verantwortlich gemacht wird. Denn während die Regierung einen autoritären Kurs verfolgt, um ihren Machterhalt zu sichern, gibt es neben einer lebendigen Zivilgesellschaft auch einen beeindruckenden Investigativjournalismus in Georgien, der genau dies zu verhindern sucht. Zudem sprechen sich rund 80 Prozent der georgischen Bevölkerung für einen EU-Beitritt aus.

Aktuell gibt es seitens der EU noch keinen klaren Zeitplan, bis wann die neun Bedingungen (zwischen)evaluiert werden und wann auf dieser Grundlage die Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfolgt.

Wenn das Gesetz nicht verabschiedet wird, sollte die EU gegenüber der georgischen Regierung daher für Mitte 2024 eine Zwischenevaluierung ankündigen. Dieser Schritt würde es proeuropäischen Kräften in Georgien erleichtern, ihre Regierung weiter unter Druck zu setzen, für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen notwendige Reformen zeitnah umzusetzen.

Sollte das Gesetz tatsächlich verabschiedet werden, dürfte die EU die Beitrittsperspektive Georgiens nicht infrage stellen, um proeuropäische Kräfte im Land nicht zu schwächen. Vielmehr sollte die EU in diesem Fall der georgischen Öffentlichkeit deutlich aufzeigen, warum der Beitrittsprozess nicht vorangeht. Dies ist auch angesichts der anstehenden Parlamentswahlen in Georgien im Oktober 2024 von großer Bedeutung.

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