Spotlight on Ukraine 16

Universitäten in Charkiw: Arbeitsbedingungen an der Front

Von Daria Yashkina 14.05.2025

Auch für ukrainische Universitäten ist der Krieg eine Herausforderung: von physischen Gefahren für Mitarbeiter*innen bis zur Tatsache, dass viele von ihnen über die ganze Welt verstreut sind. Für diejenigen, die nach Hause zurückkehren wollen, sollten entsprechende Bedingungen geschaffen werden.

Charkiw, Ukraine, Mai 2023: Hörsaal der Nationalen Universität Charkiw, zerstört nach Beschuss durch russische Truppen. IMAGO / Ukrinform

Drei Jahre nach Beginn der umfassenden Invasion Russlands haben sich die Universitäten in der Ukraine unterschiedlich angepasst. In einigen Regionen ist hybrides Arbeiten mit partiellem Präsenzunterricht möglich, während in anderen Regionen die Mitarbeiter*innen ausschließlich im Homeoffice arbeiten. Insgesamt arbeitete 2024 etwa ein Drittel der Universitätsangestellten im Land im Homeoffice. Gleichzeitig ist die Zahl der Wissenschaftler*innen und Lehrkräfte in der Ukraine rückläufig.

Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, liegt 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt und ist unter ständigem Beschuss. Daher findet der Unterricht dort nach wie vor überwiegend online statt. Die Möglichkeit, von überall auf der Welt aus zu unterrichten, vereinfacht zwar das Leben der Mitarbeiter*innen, entfremdet sie aber auch von ihren Kolleg*innen. Dass die Teams über die ganze Welt verteilt sind, führt aus organisatorischer Sicht zu einer gewissen Fragmentierung und erfordert Flexibilität von den Universitäten. Gleichzeitig kann es dazu beitragen, Fachkräfte nicht zu verlieren.

Um herauszufinden, wie Universitäten und Forschungsinstitute in den Frontgebieten den Verlust von Personal vermeiden, habe ich im Frühjahr 2025 eine Reihe von Interviews mit wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der V.N. Karazin Kharkiv National University geführt. Die Studie ist Teil des Forschungsnetzwerks Ukraine Research Network@ZOiS. Die Gespräche zeigten, was Forschende und Lehrkräfte dazu motiviert, trotz der schwierigen Umstände vor Ort weiterzuarbeiten.

Ein Team, viele Kontexte

Die Mitarbeiter*innen der Universitäten in Charkiw sind über viele verschiedene Standorte verteilt, die jeweils ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringen, deren gemeinsamer Nenner jedoch der Krieg ist. Für diejenigen, die im Ausland leben, geht es darum, sich an das Gastland anzupassen und gleichzeitig die Verbindung zur Ukraine aufrechtzuerhalten, wo die Universität und verbliebene Verwandte möglicherweise die einzigen direkten Kontaktpunkte sind. Auch diejenigen, die in andere Städte der Ukraine geflüchtet sind, sind ständig auf der Suche nach ihrer Identität, oft ohne die Unterstützung, die im Ausland verfügbar ist. Und diejenigen, die noch in Charkiw leben, müssen mit der direkten, oft anhaltenden Lebensgefahr umgehen.

Je nach Standort sind die Menschen mit unterschiedlichen Ursachen für Stress und verschiedenen Erwartungen und Zugehörigkeitsgefühlen konfrontiert. Diejenigen, die weit weg von Charkiw leben, fühlen sich möglicherweise von den anderen Mitgliedern ihres Teams abgekoppelt. Obwohl nicht alle in Charkiw lebende Universitätsmitarbeiter*innen regelmäßig persönlich an ihrer Universität anwesend sind, fühlen sie sich allein durch diese Möglichkeit näher als diejenigen, die über die ganze Welt verstreut sind. Forschende im Ausland haben oft ein höheres Maß an Angst und Ungewissheit und fühlen sich tendenziell isolierter als diejenigen, die in der Ukraine geblieben sind.

Luftschutzsirenen in Charkiw heulen manchmal stundenlang, und das Luftabwehrsystem hat aufgrund der Nähe der Stadt zur Grenze oft nicht genügend Zeit, Raketen aus Russland abzuschießen, sodass die Menschen dort unter ständigem Stress stehen. Interviews mit Mitarbeiter*innen zeigten, dass es erhebliche Spannungen zwischen denen geben kann, die in Charkiw geblieben sind, und denen, die die Stadt verlassen haben. So zeigten einige in Charkiw verbliebene Akademiker*innen wenig Verständnis für die Probleme ihrer im Ausland tätigen Kolleg*innen. Dies deutet auf eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Arbeitserfahrung einerseits und deren Wahrnehmung andererseits hin. Die unterschiedlichen Erfahrungen erfordern eine neue Form der Empathie innerhalb der Teams, da das Leid eines Menschen nicht mehr oder weniger gültig ist als das eines anderen.

Geschlechtsspezifische Ungleichheiten

Der umfassende Krieg in der Ukraine hat auch strukturelle Ungleichgewichte in Bezug auf die Mobilität aufgezeigt, die in erster Linie mit dem Geschlecht zusammenhängen. Da ukrainische Männer Ausreisebeschränkungen unterliegen, haben diejenigen, die im Land bleiben, nur begrenzten Zugang zu internationalen akademischen Ressourcen wie Praktika oder Konferenzen.

Im Gegensatz dazu sind Frauen im Ausland oft mit institutioneller Marginalisierung konfrontiert: befristete Verträge, ein unsicherer Status und mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten. Darüber hinaus tragen Frauen die Hauptlast der Kinderbetreuung und den Druck, sich an ein neues Land anzupassen, was ihre akademische Produktivität beeinträchtigt. Diejenigen, die in der Ukraine bleiben, behalten zwar ihren Zugang zu heimischen Netzwerken, werden aber zunehmend von der internationalen Zusammenarbeit ausgeschlossen. Diejenigen, die das Land verlassen, werden hingegen nicht mehr in die akademische Agenda der Ukraine einbezogen. Diese Chancenungleichheit hat zu asymmetrischen Karriereverläufen geführt.

Zurück in den Hörsaal?

Drei Jahre Fernarbeit haben den Alltag der Hochschulmitarbeitenden verändert. Für Universitäten in Frontgebieten wie Charkiw ist die Aussicht auf eine Rückkehr zum Präsenzunterricht nicht nur eine logistische Frage, sondern auch eine ethische, persönliche und motivationale Herausforderung. Die Rückkehr zum Präsenzunterricht wird als Notwendigkeit angesehen, ist aber auch eine traumatische Schwelle, die viele Mitarbeiter*innen möglicherweise nicht bereit sind zu überschreiten.

Für einige ist der Präsenzunterricht Teil der Rückkehr zur Normalität: die Wiederherstellung der direkten Kommunikation und die Stärkung der Identität der Universität als realer und nicht als virtueller Ort. Für andere ist er eine Bedrohung, da er bedeutet, eine sichere Umgebung und neue Arbeitsweisen aufzugeben, sei es anderswo in der Ukraine oder im Ausland.

Eine pragmatische Rückkehr zum Präsenzunterricht

Bevor darüber gesprochen werden kann, wie die Mitarbeiter*innen nach Charkiw zurückkehren könnten, muss man verstehen, was die Menschen motiviert, im ukrainischen Hochschulsystem an einer Universität an der Front zu bleiben. Für einige ist es die Bürgerpflicht: Die Arbeit an einer Universität wird als eine Form der Unterstützung angesehen. Für andere ist es eine gewisse berufliche Trägheit oder ein Mangel an Alternativen. Einige sehen wiederum ihre Universität als ihre Identität, ein fester Bezugspunkt in einem Leben, das auseinandergebrochen ist.

Weitere Faktoren sind Erschöpfung, Burnout und Misstrauen gegenüber der Hochschulpolitik, die als übermäßig formell oder repressiv empfunden wird. Unter solchen Bedingungen besteht die Hauptaufgabe einer Universität nicht darin, um jeden Preis zur Rückkehr zu ermutigen, sondern Bedingungen zu schaffen, unter denen eine Rückkehr möglich und als bewusste Entscheidung wünschenswert ist. Dies erfordert die Anerkennung, dass die Mitarbeiter*innen unterschiedliche Lebenswege und Bedürfnisse haben, und die Entwicklung flexibler Beschäftigungsmöglichkeiten, einschließlich Übergangswegen zurück zum Präsenzunterricht und hybriden Lehrformen.


Dr. Daria Yashkina ist Dozentin an der V.N. Karazin Kharkiv National University und Fellow im Ukraine Research Network@ZOiS.