ZOiS Spotlight 18/2023

Politische Präferenzen junger Pol*innen: Frischer Wind für die kommenden Wahlen?

Von Hakob Matevosyan 04.10.2023

Im Vorfeld der anstehenden Parlamentswahl in Polen zeigt eine Umfrage des ZOiS, dass die rechtsextreme Konfederacja vor allem unter jungen Wähler*innen beliebt ist. Ein erfolgreiches Wahlergebnis der Partei könnte die Machtverhältnisse und die künftige internationale Ausrichtung des Landes erheblich beeinflussen.

Eine Frau hält ein Plakat mit der Aufschrift "Seht mich wählen!" während einer Kundgebung in Warschau am 1. Oktober 2023. IMAGO / ZUMA Wire

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Polens Parlamentswahl am 15. Oktober wird entscheidenden Einfluss auf die künftige politische Entwicklung und internationale Rolle des Landes haben. Im Mittelpunkt dieser Wahl stehen Polens Verhältnis zu westlichen liberalen Werten, die Rolle des Landes in der NATO und seine Haltung zu Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die rechtsgerichtete Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) könnte sich eine noch nie dagewesene dritte Amtszeit sichern, was einen weiteren Zerfall demokratischer Standards befürchten lässt. Die Mitte-Rechts-Partei Bürgerplattform (PO), die mit einem liberaleren und proeuropäischeren Wahlprogramm auftritt, liegt in Umfragen momentan an zweiter Stelle. Allerdings wird das Wahlergebnis von kleineren Parteien und möglichen Koalitionen abhängen. Die rechtsextreme Konfederacja hat sich als erstaunlich erfolgreiche Außenseiterin entpuppt und könnte zur Partei mit dem dritthöchsten Stimmenanteil werden.

Von besonderer Bedeutung ist die Beliebtheit der Konfederacja vor allem bei der jüngeren Generation. Junge Wähler*innen könnten einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Dynamik dieser Wahl haben, da ihre aktive Beteiligung ohne Zweifel einen Beitrag zur Wahllandschaft leistet. Um einen tieferen Einblick in die politischen Identitäten und Einstellungen junger Menschen in Polen zu gewinnen, führte das ZOiS zwischen April und Mai 2023 eine Umfrage unter mehr als 2.000 Wähler*innen im Alter zwischen 16 und 34 Jahren durch. Die Ergebnisse machen deutlich, dass unter jungen Pol*innen ein hohes Interesse daran besteht, an der Wahl teilzunehmen. Hinsichtlich ihrer bevorzugten Parteien fallen ihre Präferenzen unterschiedlich aus, allerdings ist die Konfederacja diejenige Partei, die bei jungen Wähler*innen am beliebtesten ist.

Eine aufsteigende Kraft

Mehr als 69 Prozent der befragten jungen Pol*innen bekundeten ihr Interesse an der politischen Situation in Polen. Außerdem fühlten sich 54 Prozent von ihnen gut über die internen politischen Dynamiken in ihrem Land informiert, was zeigt, dass unter jungen Menschen ein bemerkenswertes Maß an politischem Bewusstsein herrscht.

Fast 75 Prozent der befragten jungen Pol*innen waren der Meinung, dass Polen sich momentan in eine falsche Richtung entwickle. Diese Überzeugung stellte einen wichtigen Beweggrund für ihre Wahlabsichten bei der kommenden Wahl dar, bei der etwa 74 Prozent der Befragten ihre Stimme abgeben wollen (Abbildung 1). Entscheidend für die zukünftige politische Entwicklung des Landes ist jedoch die Frage, ob sich die Absicht zu wählen, zusammen mit der tiefen Frustration junger Menschen, tatsächlich in abgegebene Stimmen verwandeln werden und sich somit die Rekordbeteiligung junger Menschen von 67 Prozent bei den polnischen Präsidentschaftswahlen 2020 wiederholen könnte.

Abbildung 1: Geplante Beteiligung an der Wahl

Junge Pol*innen tun sich schwer damit, eine politische Partei zu benennen, die wirklich ihren Interessen entspricht. Dies verdeutlicht sowohl die Aussichten als auch die Hürden einer Einbindung junger Menschen in die politische Arena. Junge Pol*innen, die für die Konfederacja stimmen wollen, waren am stärksten davon überzeugt, dass eine bestimmte politische Partei ihren Interessen entspricht. Dies deutet darauf hin, dass ihre Wahlabsichten voraussichtlich sehr stabil sein werden, falls sie an der Wahl teilnehmen.

Etwa 34 Prozent der Befragten haben für sich eine politische Partei gefunden, die ihren Interessen entspricht, was dafür spricht, dass diese Parteien erfolgreich auf die Sorgen und Werte der Jugend eingehen (Abbildung 2). Diejenigen jungen Pol*innen, die für die Konfederacja, PO oder PiS stimmen wollten, neigten eher dazu, die Frage nach der Bindung an eine bestimmte Partei positiv zu beantworten. Das heißt, sie brachten die Absicht zum Ausdruck, für die von ihnen bevorzugte Partei zu stimmen.

Abbildung 2: Schwierige Suche nach politischer Repräsentation

Im Gegenzug offenbarten jene 45 Prozent der Befragten, die sich durch keine politische Partei vertreten fühlten, eine erhebliche Lücke in der politischen Landschaft. Junge Pol*innen neigten außerdem dazu, für die PO, die Konfederacja oder andere kleinere Parteien stimmen zu wollen, wenn es ihnen schwerfiel oder sie sich weigerten, die Frage zu beantworten, ob eine Partei ihren Interessen entspreche. Diese Tendenz verdeutlicht, wie unsicher und zögerlich viele junge Wähler*innen sind, da immerhin eine*r von fünf Befragten in diese Kategorie fiel.

Eine Außenseiterin mit zweistelligen Umfragewerten

Die Konfederacja wurde in der Umfrage zum Spitzenreiter: 20 Prozent der Befragten gaben an, die Partei wählen zu wollen, was auf eine große Zustimmung gegenüber rechtsgerichteten Ideologien hindeutet (Abbildung 3). Laut aktuellen landesweiten Umfragen ist die Unterstützung für die Konfederacja in der Gesamtbevölkerung nur halb so groß. Knapp hinter der Konfederacja folgte die PO, die von 17,8 Prozent der Befragten unterstützt wurde. Eine proeuropäische Mitte-Rechts-Agenda verfügt demnach also über einen gewissen Rückhalt. Auch auf der nationalen Ebene zeigen Umfragen die PO an zweiter Stelle, allerdings mit 30 Prozent der Stimmen. Die PiS erreichte unter den Befragten mit 11,1 Prozent den dritten Platz; auf nationaler Ebene wird sie aktuellen Umfragen zufolge mit 37 Prozent als stärkste Kraft gehandelt.

Die Daten verdeutlichen auch die Vielfalt der politischen Präferenzen, wobei die verschiedenen Parteien unterschiedlich stark unterstützt werden – ein Hinweis auf die Komplexität der polnischen Politik. Auffällig ist, dass 28,3 Prozent der Befragten entweder Schwierigkeiten hatten, sich für eine Partei zu entscheiden, oder sich weigerten, die Frage zu beantworten, was auf ein gewisses Maß an Unsicherheit und Frustration über die politische Lage im Land unter jungen Pol*innen hindeutet.

Abbildung 3: Wahlabsichten

Ein katholisches Selbstverständnis ist ein wichtiger Faktor bei politischen Präferenzen, wenngleich seine Auswirkungen variieren können. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen einem Zugehörigkeitsgefühl zur katholischen Kirche und einer Unterstützung der Konfederacja, was auf eine gewisse Resonanz der Partei mit katholischen Werten und der PiS hinweist. Zugleich gibt es eine negative Korrelation zwischen einem katholischen Selbstverständnis und einer Unterstützung der PO, was die klare Diskrepanz zwischen der Partei und den Präferenzen katholischer Wähler*innen verdeutlicht.

Es bestehen zudem nennenswerte Unterschiede bei den Faktoren, die die Anhänger*innen der jeweiligen Parteien beeinflussen. Im Hinblick auf die Unterstützung der Konfederacja erweist sich Geschlecht als ein signifikanter Faktor, da sich besonders bei jungen Männern eine starke Präferenz für die Partei erkennen lässt. Ein höheres Bildungsniveau steht wiederum in einem positiven Zusammenhang mit einer Unterstützung der PO. Gleichzeitig besteht eine Verbindung zwischen der familiären Situation der Befragten und der Unterstützung der PiS-Partei, da sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Befragten unterstützt wird, die Kinder haben oder bekommen wollen.  

Diese Ergebnisse legen nahe, dass religiöse Werte und Überzeugungen einen entscheidenden Einfluss auf die politischen Entscheidungen junger Pol*innen besitzen. Das unterstreicht, wie wichtig es ist zu verstehen, welche Rolle Religion im Gesamtkontext der polnischen Politik spielt und wie sie den Ausgang von Wahlen beeinflusst. Parteien, die den religiösen Teil der Bevölkerung zu ihrer Zielgruppe erkoren haben, werden sich genau überlegen müssen, welche Positionen sie zu religiösen und sozialen Fragen einnehmen, um katholische Wähler*innen erfolgreich für sich zu gewinnen.

Während Polen auf eine folgenschwere Wahl zusteuert, veranschaulicht der Aufstieg der Konfederacja als ernstzunehmende Konkurrenz, wie sich die politische Landschaft verändert. Mit einer beträchtlichen Anhängerschaft unter jungen Pol*innen und der Möglichkeit, das Wahlergebnis zu beeinflussen, könnte die Konfederacja die polnische Politik von Grund auf verändern. Ob sie als eine aufstrebende Außenseiterpartei die Macht hat, Polens politische Entwicklung mitzubestimmen, wird sich am 15. Oktober zeigen.


Dr. Hakob Matevosyan ist Soziologe und forscht am ZOiS im Rahmen des ERC-geförderten Projekts Moving Russia(ns): Weitergabe von Erinnerungen zwischen den Generationen im Ausland und in der Heimat (MoveMeRU).