ZOiS Spotlight 5/2023

Getreidehandel im Krieg

Von Linde Götz 09.03.2023

Der russische Angriff auf die Ukraine trieb die Getreidepreise in die Höhe, unterbrach Lieferketten und bedrohte ohnehin bereits von Hunger betroffene Länder. Die Sorge, Russland könne seine Macht als größter Weizenexporteur der Welt als Waffe im Krieg einsetzen, ist groß. Wie steht es um den globalen Getreidehandel?

Maisernte in der Region Winnyzja, Ukraine. IMAGO / Ukrinform

Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte ist Russland vom Importeuer zum größten Weizenexporteur der Welt aufgestiegen. Gleichzeitig hatten auch die Getreideexporte der Ukraine stark zugenommen. Etwa 30 Prozent der weltweiten Weizenexporte, 25 Prozent der Gerstenausfuhren und 15 Prozent der globalen Maisexporte entfielen auf Russland und die Ukraine zusammen.

Russischer Weizen wird hauptsächlich in die Länder im Nahen Osten und Nordafrika exportiert, allen vorweg in die Türkei und Ägypten. Hinzu kommen die zunehmend von Nahrungsmittelimporten abhängigen Länder Subsahara-Afrikas. Dabei macht russischer Weizen ein Viertel der Einfuhren Afrikas insgesamt aus. Aber auch die Ukraine exportiert viel Getreide nach Afrika und konkurriert dort mit Russland.

In der Öffentlichkeit wurde viel darüber diskutiert, inwieweit Russland seine Getreideexporte als Waffe im Krieg gegen die Ukraine nutzen könnte. Es wurde erwartet, dass Russland seine Weizenexporte reduziert, um politischen Druck gegenüber westlichen Ländern aufzubauen. Doch haben sich diese Befürchtungen bewahrheitet?

Weizenexport Russlands oftmals beschränkt

Staaten weltweit nutzen Exportbeschränkungen für Nahrungsmittel als Kriseninstrument. Russland drosselt häufig seine Weizenexporte, um die heimischen Märkte vor steigenden Weltmarktpreisen zu schützen. So wurde während der Nahrungsmittelkrise 2007/08 erstmals eine Exportsteuer für Weizen eingeführt und während der Trockenheit 2010/11 ein Exportverbot auferlegt (Abbildung 1). Seit der Corona-Pandemie wird die russische Weizenausfuhr durch eine Exportsteuer limitiert, welche zeitweise um eine Exportquote und ein Exportverbot in die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion ergänzt wurde. Entgegen der Erwartungen, Russland würde infolge seiner Invasion der Ukraine die russische Weizenexportsteuer erhöhen, wurde sie im Juli und September 2022 sogar reduziert, um die Wettbewerbsfähigkeit russischer Weizenexporte zu verbessern.

Abbildung 1: Weizenexportbeschränkungen Russlands

Datenquellen: UN COMTRADE, Refinitiv Eikon, International Grains Council

Verringerte Wettbewerbsfähigkeit

Denn Russland liefert weiterhin Weizen in die importabhängigen Länder des Globalen Südens, die meist eine neutrale Position gegenüber dem russischen Angriffskrieg einnehmen. Und die großen westlichen Getreideexportländer, die den Krieg eindeutig verurteilen, konkurrieren nach wie vor mit Russland auf den globalen Getreidemärkten.

Jedoch haben die von der russischen Zentralbank eingeführten Kapitalverkehrskontrollen und die westlichen Sanktionen den Rubel zunächst stark aufwerten lassen, wodurch der russische Weizen auf den internationalen Märkten weniger wettbewerbsfähig wurde. Zudem sind infolge des Kriegsrisikos die Versicherungskosten des Schiffsverkehrs im Schwarzen Meer angestiegen. Hinzu kommt das Risiko der Importeure von russischem Getreide, mit Sekundärsanktionen belegt zu werden. Diese erhöhten Handelskosten, zusätzlich zur Weizenexportsteuer, haben die Importnachfrage nach russischem Weizen geschwächt. Daher wird Russland das große Exportpotenzial, das sich aus der Rekordernte 2022 ergibt, möglicherweise nicht vollständig ausschöpfen können.

Diese makroökonomischen Marktbedingungen könnten verhindert haben, dass der Kreml Weizenexporte als Waffe einsetzen konnte. Dies liegt in erster Linie daran, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit von Weizen aus Ländern mit hohen Transportkosten dadurch verbessert hat. So sind die russischen Einfuhren in die Länder Subsahara-Afrikas zwar zurückgegangen, Weizenexporte aus Argentinien und Brasilien sind für diese Länder jedoch erschwinglicher geworden.

Ukrainische Agrarexporte haben an Fahrt gewonnen

Die ukrainischen Agrarexporte brachen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und der militärischen Blockade der ukrainischen Häfen zwar zunächst ein. Jedoch wurden schnell alternative Logistikstrecken im Rahmen der EU-Solidaritätsrouten aufgebaut. Hier wird Getreide, insbesondere Weizen, Gerste und Mais, per Bahn, per Schiff über Donauhäfen und per Lkw exportiert (Abbildung 2). Nach dem Abschluss des Getreideabkommens zwischen der Ukraine und Russland im Juli 2022 nahm die Ukraine die Agrarexporte zusätzlich über drei seiner Häfen am Schwarzen Meer und den Getreidekorridor wieder auf. Schneller als erwartet hatten die Getreideexporte der Ukraine bereits wieder annähernd das Vorkriegsniveau erreicht. Jedoch sind die Transportkosten hoch geblieben und tragen dazu bei, dass die Getreidepreise in der Ukraine weit unter dem Weltmarktpreis liegen.

Abbildung 2: Getreideausfuhren der Ukraine über die Solidaritätslinien und den Getreidekorridor

Datenquelle: Landwirtschaftsministerium der Ukraine

Rückläufige Weizenimporte Afrikas weitgehend ausgeglichen

In den wichtigsten Empfängerländern für Getreide aus Russland und der Ukraine trafen die Auswirkungen des Kriegs auf das globale Nahrungsmittelsystem auf die immer noch anhaltenden Folgen der Corona-Pandemie durch den weltweit unterbrochenen Schiffstransport.

Seit Beginn des Kriegs sind die Weizenimporte aus Russland und der Ukraine der meisten afrikanischen Länder, insbesondere der Länder Subsahara-Afrikas, zurückgegangen. Dagegen haben nordafrikanische Länder wie Ägypten und der Sudan, die enge politische Beziehungen zu Russland unterhalten, ihre Weizenimporte aus Russland erhöht.

Im Gegenzug sind die Weizenimporte aus anderen Ländern angestiegen, insbesondere aus Frankreich, Bulgarien, aber auch aus Argentinien und Brasilien. Diese Handelseffekte haben den Rückgang der Weizenexporte Russlands und der Ukraine weitgehend kompensiert.

Dennoch sind die Risiken im globalen Getreidehandel stark angestiegen. Gerade die Befürchtung, dass die eingeschränkte Getreideversorgungskette seitens Russlands als Waffe eingesetzt wird und die Wirtschafts- und Finanzsanktionen der westlichen Länder noch verschärft werden, haben die Getreidepreise weltweit angefacht. Hinzu kam die Gefahr, Russland würde das russisch-ukrainische Getreideabkommen aussetzen. Die Ernährungssicherheit Afrikas war daher weniger von ausbleibenden Lieferungen, als vielmehr von hohen Nahrungsmittelpreisen betroffen. Inzwischen sind die internationalen Weizenpreise wieder auf Vorkriegsniveau, vergleichbar mit den Preisen während der Covid-19-Pandemie, gesunken.

Neuauflage des Getreideabkommens unabdingbar

Am 18. März 2023 läuft das derzeitige Getreideabkommen aus. Die Ukraine fordert, das Abkommen um ein Jahr zu verlängern und weitere ukrainische Häfen zu öffnen. Derzeit ist die Abfertigung der Schiffe im Gemeinsamen Koordinierungszentrum in Istanbul verlangsamt, ähnlich wie während der Verlängerungsverhandlungen im November 2022. Die Getreideschiffe benötigen fünf bis sechs Wochen, um das Schwarze Meer zu verlassen, 140 Schiffe stehen im Stau. Aufgrund der Unsicherheit, ob das Abkommen verlängert wird, sinkt die Bereitschaft der Händler, ukrainisches Getreide zu kaufen und daher geht auch der Preis des ukrainischen Getreides zurück. Damit die weltweiten Getreidepreise nicht erneut ansteigen, ist es deshalb wichtig, dass das Getreideabkommen verlängert wird.


PD Dr. Linde Götz ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Agrarmärkte und Internationaler Handel am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) und lehrt an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale).