ZOiS Spotlight 32/2022

Die verborgene Gewalt in kirgisischem Gold

Von Beril Ocaklı 19.10.2022
Goldbergbau in Kirgistan ist ein bedeutender Wirtschafsfaktor für das zentralasiatische Land. IMAGO / ZUMA Wire

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

„Wo ist das Gold hin?“ – diese Frage beschäftigt Kirgistan immer wieder aufs Neue. Seit der kirgisische Staat im Mai 2021 die Kumtor-Goldmine übernommen hat, ist die Verwaltung des Goldbergbaus in Kirgistan immer mehr außer Kontrolle geraten und die Kontroversen um die nationalen Ressourcen haben ein neues Level an Absurdität erreicht. Immer wieder verschwindet Gold aus Kumtor auf mysteriöse Weise, nur um plötzlich wiederaufzutauchen.

Die Vergabe der Lizenz für die größte Goldmine des Landes an den kanadischen Investor Cameco im Jahr 1992 war in den Augen vieler Beobachter*innen die Erfolgsgeschichte der Unabhängigkeitsära. Kumtor löste nicht nur einen hemmungslosen Goldrausch in Kirgistan aus, sondern rief auch Widerstand hervor. Rund um den Goldbergbau ist eine unregulierte, zutiefst von Gewalt und Korruption geprägte Infrastruktur entstanden. Der Goldabbau sollte Wohlstand bringen, schadete dem Land aber letztendlich mehr als seine Entwicklung voranzubringen.

Gold gegen Gletscher

Dreißig Jahre und vierzehn Vereinbarungen später befindet sich die Kumtor-Goldmine nun komplett in der Hand des kirgisischen Staats. Regierungssprecher Erbol Sultanbajew bezeichnete die Verstaatlichung der Mine, die mit einer Höhe von 4000 Metern über dem Meeresspiegel zu den höchsten der Welt gehört, als einen großen Sieg. Sie soll angeblich Jahrzehnte des Unrechts beendet haben, für die ein ausländischer Investor verantwortlich gewesen sei.

Diese Ungerechtigkeiten waren jedoch das Ergebnis eines Zusammenspiels von globalen Paradigmen und nationalen Prozessen. Kirgistan öffnete sich in den 1990er-Jahren einer zu diesem Zeitpunkt immer ressourcenintensiver und neoliberaler gewordenen Weltwirtschaft. Mit der Hilfe und Beratung internationaler Finanzinstitutionen wie der Weltbank oder der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung tauschte die herrschende Elite Kirgistans unter dem damaligen Präsidenten Askar Akajew die Gletscher ihres Landes gegen Gold ein. Als die Betreibergesellschaft von Kumtor (Kumtor Operating Company) 1997 mit dem kommerziellen Goldabbau begann, mussten aufgrund des Permafrosts, der in diesen Höhenlagen vorkommt, buchstäblich Gletscher geschliffen werden, um die unter ihnen verborgenen Goldvorräte freizulegen.

Im Jahr 2015 erklärte der Leiter der Umweltabteilung von Kumtor mir in einem Interview, dass die verwendeten Abbauverfahren und ihre möglichen ökologischen Auswirkungen schon in der ursprünglichen Umweltverträglichkeitsprüfung beschrieben worden seien, die damals von der kirgisischen Regierung abgesegnet wurde. „Es ist interessant“, fuhr er fort, „dass es so viel Kritik an dem Projekt gibt, wenn doch alles, was passieren würde, bereits in der Umweltverträglichkeitsprüfung vorausgesagt und erörtert wurde.“ Umso interessanter ist es, dass die Regierung die von ihr vorangetriebene Wiederverstaatlichung der Mine 2021 mit Umwelt- und Sicherheitsverstößen begründete und der Betreibergesellschaft eine „barbarische Einstellung gegenüber den Gletschern“ vorwarf.

Weniger sichtbar, aber nicht weniger brutal

Wie die UN-Generalversammlung im Juli 2022 erklärte sind Umweltrechte Menschenrechte. Kirgistan hat sich bei der Abstimmung über die UN-Resolution „für den ganzen Planeten“ zwar enthalten, erkennt aber zumindest auf dem Papier das in der Verfassung verankerte Recht auf eine gesunde Umwelt und den Zugang zu öffentlichen Informationen und Beratungen an, wenn Gefahr besteht, dass Projekte dieses Recht untergraben.

Praktisch verletzt der kirgisische Staat pausenlos die Umwelt- und damit auch Menschenrechte der Bevölkerung, tut dies aber auf eine schleichende, heimtückische Art und Weise. Weil sich der Goldbergbau nach der Unabhängigkeit unter mangelnder Aufsicht der Strafverfolgungsbehörden vollzog, entwickelten sich zunächst Kumtor und später auch andere kirgisische Minen zu umstrittenen Orten. Unter dem Deckmantel neoliberaler Plattitüden, wonach der Staat im Wesentlichen deregulierend tätig sein würde, unternahm Kirgistan große Anstrengungen, den Rohstoffsektor des Landes so zu regulieren, dass die herrschenden Eliten und ihre Netzwerke aus ihm Profit schlagen konnten.

Zu Gewalt kam es im Umfeld der Mine zunächst durch die Zerstörung von Hab und Gut. Ausgetretene Giftstoffe und tödliche Unfälle führten dazu, dass Gewässer verseucht wurden und Menschen ihre Existenzgrundlage oder sogar ihr Leben verloren. Als Betroffene vor Ort Gerechtigkeit für die Zerstörung von menschlichem und nicht-menschlichem Leben forderten, verweigerte der Staat ihnen Stück für Stück ihre Grundrechte auf Information und eine angemessene Beteiligung und überging ihre Forderungen und Wünsche. Mit jedem neuen Kumtor-Deal, jeder neuen, hinter geschlossenen Türen verhandelten Konzession und jedem neuen Gerichtsverfahren griff der Staat erneut auf physische und psychologische Gewalt zurück, um den Widerstand einfacher Leute gegen den Goldabbau zu brechen.

Als die Proteste gegen diese Ungerechtigkeiten und Verbrechen ab 2010 immer lauter wurden, verschärfte sich auch die Gewalt. Politiker*innen versuchten nun, sich die Sorgen der einfachen Leute zunutze zu machen und sie moralisch aufzuladen, ob durch Rufe nach einer Verstaatlichung der Kumtor-Mine, oder indem sie vermeintlich „gute“ und „schlechte“ Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielten. Unter anderem vom heutigen Präsidenten Sadyr Dschaparow erhobene Forderungen nach einer Rückgabe der nationalen Ressourcen an die Menschen des Landes blieben ein Jahrzehnt lang ohne Folgen – bis zu diesem Jahr. Allerdings ist die Verstaatlichung von Kumtor nicht nur ein Versuch des kirgisischen Staats, über eigene Fehler hinwegzutäuschen, sondern zeigt beispielhaft, wie neoliberale Politik, Populismus und autoritäre Herrschaft koexistieren und einander sogar ergänzen können.

Jenseits von Kumtor

Es ist nur wenig darüber bekannt, was sich an der Kumtor-Goldmine abspielt, seit Dschaparows Regierung mit der Verstaatlichung begonnen hat. Angeblich aus Sicherheitsgründen gibt es keine Informationen darüber, wieviel Gold vor Ort abgebaut und wohin es exportiert wird. Bekannt ist jedoch, dass die Mine jetzt von einer staatlichen Holding namens „Erbe der großen Nomaden“ verwaltet wird, die im Dezember 2021 gegründet wurde. Sie hat sich in kürzester Zeit zu einem undurchsichtigen One-Stop-Shop für strategische Investitionen in das Land entwickelt. Im August 2022 unterzeichnete sie zusammen mit der China National Heavy Machinery Corporation eine Absichtserklärung für gemeinsame Projekte in den Bereichen Bergbau, Wasserkraft und Logistik. Wie bei einer Reihe von anderen Partnerschaften mit chinesischen Bergbauunternehmen ist leider auch bei dieser neuen Partnerschaft nichts Näheres über die vereinbarten Bedingungen oder ihren zeitlichen Rahmen bekannt.

Die Politisierung und Verstaatlichung der Kumtor-Goldmine werden wahrscheinlich nicht dazu führen, dass Politik und Staat wirkliche Verantwortung für sie oder andere, weniger im Rampenlicht stehende Minen übernehmen. Der kirgisische Staat versucht lieber weiter, die Öffentlichkeit mit verlorenem und wiedergefundenem Gold von seinen Verstrickungen im Bergbausektor abzulenken. Der kirgisische Goldbergbau ist Autoritarismus und Gewalt unter dem Deckmantel der Entwicklung.


Dr. Beril Ocaklı forscht am ZOiS, wo sie das vom Bundeministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „China, die EU und wirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa und Eurasien“ leitet.