ZOiS Spotlight 44/2021

Der 6. Gipfel zur Östlichen Partnerschaft: Was ist zu erwarten?

Von Julia Langbein 08.12.2021
Außenminister*innentagung der Östlichen Partnerschaft und der Europäischen Union am 15. November 2021. European Commission

Nach vier Jahren findet am 15. Dezember in Brüssel wieder ein offizieller Gipfel zur Östlichen Partnerschaft (ÖP) statt. Inhaltliche Grundlage ist ein von der Europäischen Kommission und dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik im Juli 2021 vorgelegtes Papier zur Neuausrichtung der ÖP. Es ist das Resultat eines mehrjährigen Konsultationsprozesses zwischen den östlichen Partnerländern Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und Ukraine und den EU-Mitgliedstaaten. Im Mittelpunkt steht der Begriff der Resilienz, definiert als „die Fähigkeit von Staaten und Gesellschaften, Reformen durchzuführen und so internen und externen Krisen zu widerstehen und sich von ihnen erholen zu können“. Mit Blick auf die sechs Partnerländer leiten sich daraus fünf langfristige Kernziele der künftigen ÖP ab: 1) resiliente, nachhaltige und integrierte Volkswirtschaften, 2) rechenschaftspflichtige Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, 3) ökologische Resilienz und Klimaresilienz, 4) digitaler Wandel sowie 5) faire und inklusive Gesellschaften.

Daneben bemüht sich die Agenda, dem Ruf nach spürbaren Ergebnissen für die Bevölkerung in den Partnerländern gerecht zu werden und die bislang überwiegend positive Haltung zur EU in den ÖP-Ländern angesichts anhaltender Desinformationskampagnen aus Russland nicht aufs Spiel zu setzen. Hierfür werden die langfristigen Kernziele durch zehn konkrete Ziele ergänzt, die bis 2025 erreicht werden sollen. Geplant ist beispielsweise die Unterstützung von 500.000 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), der (Aus-)bau von 3.000 km Straßen und Eisenbahnstrecken im Einklang mit EU-Standards, der Zugang zum Hochgeschwindigkeits-Internet für 80 Prozent der Haushalte (darüber hinaus ist eine 80-prozentige Senkung der Kosten für internationale Roaming-Gebühren geplant), die Bekämpfung hybrider und Cyberbedrohungen sowie die Unterstützung der Mobilität von 70.000 Studierenden, Forscher*innen und jungen Menschen.

Wirtschaft und Regierungsführung als zentrale Pfeiler

Ein zentraler Pfeiler der Agenda ist der Europäische Wirtschafts- und Investitionsplan, durch den die EU in den nächsten fünf Jahren 2,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will, zu denen zusätzlich bis zu 17 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen kommen sollen. Konkrete Länderleitinitiativen für alle östlichen Partner sollen der Forderung nach maßgeschneiderten Ansätzen Rechnung tragen (wobei jene für Belarus an eine demokratische Entwicklung geknüpft ist).

Die Investitionen im Rahmen des Wirtschafts- und Investitionsplans sollen an Fortschritte im Bereich der Regierungsführung (Governance) gebunden werden. Dies ist der zweite Pfeiler der neuen ÖP-Strategie, der in erster Linie auf Reformen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Korruptionsbekämpfung basiert. Allerdings sind die Ziele in diesem Bereich bis auf einige Ausnahmen, wie die geplante Offenlegung der Vermögenswerte von Staatsbediensteten im höheren Dienst, bisher weniger konkret formuliert worden als im Wirtschaftsbereich. In der Praxis wird sich daher zeigen, an welche Reformschritte in der Regierungsführung die finanzielle Unterstützung für wirtschaftliche Entwicklung gebunden sein wird. Darüber hinaus könnten auch die EU-Mitgliedstaaten selbst noch deutlich mehr zur Bekämpfung der Elitenkorruption und zur „De-oligarchisierung“ in den Partnerländern beitragen, indem sie zügig und konsequent das im Juli 2021 von der Europäischen Kommission vorgelegte Paket zur Bekämpfung der Geldwäsche verabschieden und umsetzen, um damit Möglichkeiten für Geldwäsche in ihren jeweiligen nationalen Kontexten konsequenter als bisher zu unterbinden.

Substantielle Aufwertung der Sicherheitsdimension nicht in Sicht

Fast alle östlichen Partner sehen sich mit konflikthaften Auseinandersetzungen konfrontiert. Insbesondere Georgien, Moldau und die Ukraine wünschen sich daher von der EU mehr Solidarität sowie ein stärkeres sicherheitspolitisches Engagement für den Schutz ihrer territorialen Integrität. Auch in westlichen Expertenkreisen wird diese Forderung mit Blick auf den Konflikt um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan und andere Konflikte in der Region erhoben. Eine substantielle Aufwertung der Sicherheitsdimension der ÖP ist aufgrund unterschiedlicher Interessen innerhalb der EU aber auch unter den Partnerländern jedoch nicht in Sicht. Daher ist eine engere Kooperation vor allem in weniger sensiblen Bereichen wie der Cybersicherheit im Rahmen der ÖP geplant.

Darüber hinaus verweist das Papier auf potentielle Unterstützung im Rahmen der neu geschaffenen Europäischen Friedensfazilität (EFF), einem haushaltsexternen Finanzierungsinstrument für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. In diesem Sinn verhandeln die EU-Mitgliedstaaten schon seit einigen Monaten (und nicht erst seit dem jüngsten russischen Truppenaufzug an der ukrainischen Grenze) darüber, Georgien, Moldau und der Ukraine finanzielle Unterstützung im Rahmen der EFF zukommen zu lassen. Am 2. Dezember beschloss der Rat der EU entsprechende Maßnahmen im Volumen von knapp 51 Millionen Euro über drei Jahre. So soll Georgien nichtletale medizinische und technische Ausrüstung bereitgestellt werden. In der Ukraine sollen etwa militärmedizinische Einheiten, wie Feldlazarette, finanziert werden. Gleichzeitig setzt die EU weiterhin auf das, was sie nach eigener Aussage besser als andere kann: soft power. Dazu passt auch, dass am Rande des ÖP-Gipfels ein Treffen zwischen den Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens stattfinden soll.

Belarus und die ÖP

Belarus hat seine Teilnahme an der ÖP im August 2021 ausgesetzt. Vertreter des Regimes von Aljaksandr Lukaschenka werden an dem Gipfeltreffen nicht teilnehmen (und sind auch nicht eingeladen worden). Definitiv geplant ist eine Veranstaltung mit Vertreter*innen der belarusischen Zivilgesellschaft am Rande des Gipfeltreffens. Abgesehen von der Unterstützung für Belarus*innen im Exil, bedarf es seitens der EU auch durchdachter Konzepte, die es erlauben, zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Belarus zu unterstützen und gleichzeitig eine Kooperation mit dem Lukaschenka-Regime zu vermeiden. Vom Tisch ist hingegen die Teilnahme der Kandidatin der manipulierten Präsidentschaftswahlen 2020, Swjatlana Zichanouskaja, am Gipfel selbst. Zwar wäre dies ein deutliches Signal der Unterstützung für alldiejenigen in und außerhalb von Belarus gewesen, die sich für eine demokratische Entwicklung des Landes einsetzen. Gleichzeitig wäre dieser Schritt de facto einer Anerkennung Zichanouskajas als belarusisches Staatsoberhaupt durch die EU gleichgekommen und stieß daher von vornherein mit Blick auf das Völkerrecht auf Vorbehalte bei vielen Mitgliedstaaten.

Graduelle Integration in den Binnenmarkt statt Beitrittsperspektive

Seitdem Georgien, Moldau und die Ukraine die Bedingungen für visumfreies Reisen in die EU erfüllt haben, wird die EU dafür kritisiert, keine neuen Anreize entwickelt zu haben, um den Reformprozess zu unterstützen. Da eine Beitrittsperspektive für die drei Länder auch weiterhin kein Thema ist, wird über Alternativen nachgedacht. Die Gemeinsame Erklärung im Anschluss an den jüngsten EU-Ukraine-Gipfel bietet einen Vorgeschmack, wie diese aussehen könnten. In früheren Erklärungen war bislang von verstärkten Wirtschafts- und Handelsbeziehungen die Rede, welche durch die effektive Implementierung des Assoziierungsabkommens (AA) und der damit einhergehenden tiefen und umfassenden Freihandelszone (DCFTA) erreicht werden sollen. Die jüngste Erklärung verweist darüber hinaus erstmals explizit auf die weitere graduelle Integration in den Binnenmarkt, wie sie im Rahmen des AA bereits in Aussicht gestellt wird. Ob damit langfristig tatsächlich die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums zwischen der EU und den drei assoziierten Partnern auf Basis der Vier Freiheiten des Binnenmarkts gemeint ist, bleibt offen. Die Frage, wie diese graduelle Integration genau aussehen und in welches institutionelle Format sie münden könnte, ist in Expertenkreisen bereits Thema, sollte jedoch in Zukunft auch auf politischer Ebene konkreter diskutiert werden, um der ÖP eine echte Vision zu geben.


Julia Langbein leitet den Forschungsschwerpunkt Politische Ökonomie und Integration am ZOiS.