ZOiS Spotlight 6/2023

Chinas Friedensplan für die Ukraine: Ein Beispiel für verantwortungsvolle Führung?

Von Valentin Krüsmann 22.03.2023

Präsident Xi Jinping plant Berichten zufolge ein Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten. Doch Chinas Haltung gegenüber Russland zeigt, dass es kein geeigneter Vermittler ist, sondern vielmehr den Krieg nutzt, um sich dem globalen Süden als verantwortungsbewusste Führungsmacht zu präsentieren.

Chinas Präsident Xi Jingping und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Abendessen im Moskauer Kreml © IMAGO / ITAR-TASS

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking

Ein Jahr nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine veröffentlichte China einen Zwölfpunkteplan, der eine „Politische Lösung der Ukrainekrise“ skizziert. Einen Monat später, am 21. März, traf sich der chinesische Staatspräsident Xi Jinping mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau, wobei dieser behauptete, Russland sei „bereit, die Vorschläge zu diskutieren“ und „immer offen für einen Verhandlungsprozess“. Obwohl Chinas Plan derzeit große Aufmerksamkeit erregt, wiederholt er im Großen und Ganzen lediglich altbekannte chinesische Positionen: Neben Lippenbekenntnissen zum Prinzip der Souveränität enthält er einen Aufruf zum Respekt vor den „legitimen Sicherheitsinteressen und Anliegen aller Länder“ und fordert ein Ende unilateraler Sanktionen. Trotz Berichten, der chinesische Präsident plane später im März mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sprechen, macht die chinesische Haltung deutlich, dass China den Krieg als eine Gelegenheit sieht, sich im globalen Süden als eine verantwortungsvolle Führungsmacht zu profilieren, die für Frieden und Stabilität steht, während den USA das Gegenteil unterstellt wird.

Der globale Süden als Adressat

Es ist kaum verwunderlich, dass Chinas Friedensplan in den westlichen Hauptstädten wenig Anklang gefunden hat. Wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell es zusammenfasste: „Es handelt sich nicht wirklich um einen Friedenplan, und größtenteils wiederholt er nur altbekannte chinesische Positionen […]. Das Hauptproblem ist, dass er keinen Unterschied zwischen Aggressor und Opfer macht.“ Obwohl sie ein Treffen zwischen Xi und Selenskyj grundsätzlich begrüßen würden, haben führende westliche Politiker*innen klargemacht, dass Chinas Plan keine glaubwürdigen Vorschläge für ein Ende des Krieges enthält.

Beijing ist sich darüber im Klaren, dass der Entwurf in Europa oder den USA auf wenig Gegenliebe stoßen wird. Adressat*innen des Plans sind vielmehr die eigene Bevölkerung und der globale Süden. Besondere Beachtung hat in diesem Kontext die Tatsache verdient, dass die Regierung in Beijing nur drei Tage, bevor sie ihren Friedensplan vorlegte, ein Strategiepapier veröffentlichte, in dem die wichtigsten Eckpfeiler skizziert werden, um im Rahmen ihrer momentan im Aufbau befindlichen Globalen Sicherheitsinitiative den „Weltfrieden“ zu sichern. Das Papier erwähnt Chinas Rolle als multilateraler Kooperationspartner, der sich vor allem mittels der von China geleiteten oder ins Leben gerufenen Institutionen wie der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestehenden BRICS-Gruppe oder dem Chinesisch-Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsforums für Frieden einsetze. China behauptet, dass die Initiative bereits von über 80 Ländern und regionalen Organisationen unterstützt wird.

Grundlage des chinesischen Vorstoßes ist die wachsende Sichtbarkeit Chinas als Konfliktmediator im globalen Süden. Es hat diese wichtige Rolle an Orten wie dem Südsudan, am Horn von Afrika oder Myanmar eingenommen. Im Jahr 2021 legte China einen Vierpunkteplan zur Deeskalation des Konflikts zwischen Israel und den Palästinenser*innen vor, der ähnlich vage gehalten war wie der chinesische Friedensplan für die Ukraine. Auch der überraschende diplomatische Durchbruch zwischen Iran und Saudi-Arabien, die sich am 10. März 2023 auf eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen einigten, kam auf Vermittlung Chinas zustande. Chinas Plan für die Ukraine muss also vor dem Hintergrund umfassenderer Bemühungen Beijings gesehen werden, sich als einen verantwortungsvollen Partner für den Frieden zu profilieren.

Chinas Position stößt auf Resonanz

Obwohl es unter den Ländern des globalen Südens eine Vielzahl von unterschiedlichen Auffassungen gibt, stößt die Vorstellung einer Verhandlungslösung für den Krieg in der Ukraine bei vielen von ihnen auf Resonanz. Immer mehr Länder des globalen Südens wünschen sich unter anderem wegen seiner globalen Auswirkungen ein schnelles Ende des Kriegs in der Ukraine oder hegen Sympathien für die russische Kritik an der NATO-Erweiterung und Versuchen des Westens, sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen – eine Position, die auch von China häufig aufgegriffen wird. Zwar stimmten insgesamt 141 Staaten für die UN-Resolution vom Februar 2023 an, in der Russland dazu aufgerufen wurde, alle Feindseligkeiten in der Ukraine einzustellen. Allerdings gab es auch einige nennenswerte Enthaltungen. Neben China enthielten sich auch Indien und Südafrika. Letzteres hatte erst kurz zuvor im Indischen Ozean gemeinsame Militärübungen mit Russland und China durchgeführt.

In diesem Zusammenhang erklärte die namibische Premierministerin Saara Kuugongelwa, dass es für Namibia darum gehe, „das Problem zu lösen […] und nicht um Schuldzuweisungen.“ Auf eine ähnliche Weise äußerte sich der brasilianische Außenminister Mauro Vieira: „Um die Voraussetzungen für eine Lösung zu schaffen […], müssten wir Schritt für Schritt vorgehen und vielleicht zunächst eine Atmosphäre schaffen, in der Verhandlungen möglich sind.“ Darüber hinaus erklärten Vertreter*innen Indiens am Rande des G20-Gipfels in Bengaluru im Februar 2023, dass die G20 kein politisches Treffen seien, und behaupteten, dass „die gegen Russland bestehenden Sanktionen sich negativ auf die Welt auswirkt haben.“ Mit der Veröffentlichung eines Positionspapiers, das auf eine politische Lösung der Krise drängt, nimmt China genau solche Gemütslagen ins Visier und gibt ihnen eine Stimme. Gleichzeitig verschafft es sich damit Glaubwürdigkeit als globale Führungsmacht.

Gleichzeitig arbeitet Beijing eifrig daran, die USA zu diskreditieren. Chinas Vorschläge behandeln Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine als Folge von Großmachtpolitik. Die Autonomie der Ukraine spielt in ihnen kaum eine Rolle. Stattdessen richten sie sich immer wieder gegen die USA und die NATO als treibende Kräfte hinter dem Krieg. Qin Gang sprach bei seiner ersten Pressekonferenz als Chinas neuer Außenminister am 07. März davon, dass es „anscheinend eine ‚unsichtbare Hand‘ gibt, die auf eine Verlängerung und Eskalation des Konflikts drängt.“ In diesem Zusammenhang präsentiert Beijing sich als direktes Gegenmodell zu Washington und als Führungsmacht der, wie Xi es ausdrückt, „fortschrittlichen Kräfte der Welt, die sich Hegemoniestreben und Machtpolitik widersetzen.“

China setzt auf Glaubwürdigkeit

China möchte gegenüber dem globalen Süden als eine verantwortungsbewusste Führungsmacht auftreten, die für Frieden und Stabilität steht, sieht sich aber mit einer Reihe von Widersprüchen und Dilemmata konfrontiert. Seit Beginn der russischen Invasion hat die Regierung in Beijing versucht, einen Balanceakt zwischen drei unvereinbaren Positionen zu vollziehen: Sie versucht den Grundsätzen der Nichteinmischung und des Respekts für die staatliche Souveränität und territoriale Integrität anderer Länder, die sich China seit langem auf die Fahnen geschrieben hat, treu zu bleiben, gleichzeitig an ihrer strategischen Partnerschaft mit Russland festzuhalten und sekundäre Sanktionen oder wirtschaftliche Zerwürfnisse mit dem Westen zu vermeiden.

In früheren Konflikten in denen China vermitteln konnte, war es häufig gezwungen, die Grenzen seiner Politik der Nichteinmischung auszutesten. Während die Regierung in Beijing dies auch im Fall der Ukraine tut, macht sie mit ihrer Unterstützung Russlands deutlich, dass sie trotz ihres verbalen Beharrens auf langjährigen Prinzipien der Souveränität und territorialen Integrität bereit ist, ihre Position im Hinblick auf diese Prinzipien aufzuweichen. China legt stärkeren Wert auf die strategische Partnerschaft mit Russland als auf gute wirtschaftliche Beziehungen mit Europa.

Von grundlegenderer Bedeutung ist womöglich, dass China in früheren Konflikten ein gemeinsames Interesse mit seinen regionalen und westlichen Partnern hatte, für Frieden zu sorgen. Und obwohl Xis Pläne, mit Selenskyj zu sprechen, wohlmöglich eine wichtige Veränderung in der chinesischen Haltung bedeutet, legt der Inhalt des chinesischen Friedensplans nahe, dass keine unmittelbaren Ergebnisse zu erwarten sind, zumal die USA und der Westen weiterhin von China als treibende Kräfte hinter dem Krieg dargestellt werden. Wie Putin während des Besuchs von Xi in Moskau erklärte, kann der Plan tatsächlich nur vorgelegt werden, wenn „sie im Westen und in Kiew bereit sind“. Da Beijings Zwölfpunkteplan auf den „legitimen Sicherheitsinteressen aller Seiten“ beharrt, scheidet China weiterhin als ernsthafter Vermittler aus. Solange Chinas Bemühungen, sich als verantwortungsvolle Führungsmacht zu präsentieren, auf offene Ohren stoßen, kann das Land den Krieg in der Ukraine nutzen, um sich selbst als führende Stimme der Vernunft zu präsentieren und gleichzeitig andere Staaten zu diskreditieren.


Valentin Krüsmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am ZOiS. Seine Forschung erfolgt im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts "De:link//Re:link: Local perspectives on transregional processes of entanglements and disentanglements".