ZOiS Spotlight 12/2025

Aufstieg an die Spitze: Moskaus neue Eliten aus den Regionen Russlands

Von Irina Busygina 18.06.2025

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die russische Führung vor Herausforderungen gestellt und neuen politischen Eliten eine Chance eröffnet. Junge Politiker aus den Regionen Russlands übernehmen Positionen in Moskau und könnten zu ernsthaften Konkurrenten von Putins alter Garde werden.

Mai 2025: Mikhail Degtyarev (3.v.l.) und Anton Alikhanov (links) gehören zu den ehemaligen Gouverneuren, die jetzt Bundesminister in Moskau sind - hier bei einem Treffen mit Premierminister Mikhail Mishustin. IMAGO / SNA

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat zwar die Beziehungen zwischen dem Zentrum und den Regionen Russlands nicht grundlegend verändert, allerdings hat er Herausforderungen für die Staatsführung mit sich gebracht, die neue Akteure erfordern – Menschen, die sowohl loyal als auch professionell sind. Erstmals in der postsowjetischen Geschichte kommen solche Kräfte aus den Regionen Russlands. Im Jahr 2024 wurden einige Regionalgouverneure zu Bundesministern ernannt. Seitdem bauen sie ihre eigenen Patronagenetzwerke zwischen der föderalen und der regionalen Ebene weiter aus.

Diese neue Generation der russischen politischen Elite, bekannt als die „jungen Wölfe“, kann flexibler und kreativer agieren als die alte Garde um Präsident Wladimir Putin. Sie nutzt die durch den Krieg entstandene Öffnung und könnte die alte Garde herausfordern, wird aber dennoch eine konservative Kraft bleiben, die das autoritäre, personalistische Regime aufrechterhalten will.

Der Krieg als Chance

Russlands politische Eliten werden oft als monolithischer Block beschrieben, der sich um Putin herum verfestigt hat. Analyst*innen weisen auch auf das hohe Alter dieser Eliten hin: Laut dem Journalisten Andrey Pertsev „ähnelt das russische Regime zunehmend der Gerontokratie, die die späte Sowjetunion regierte, in der ältere Beamte andere ältere Beamte ersetzten und einige sogar im Amt starben“.

Diese Eigenschaften führen dazu, dass die Eliten als unbeweglich und unflexibel wahrgenommen werden – als eine Gruppe von Menschen, die zwar kreativ denkt und energisch handeln wollen, deren Alter ihr dies jedoch nicht mehr erlaubt. Und tatsächlich wäre Russland vielleicht zu einer neuen Gerontokratie geworden und Putins alte Garde wäre einfach weggestorben – hätte dieser nicht Anfang 2022 einen Krieg gegen die Ukraine begonnen.

Da der Krieg nun schon mehr als drei Jahre andauert, steht die russische Führung vor der enormen Herausforderung, ihn in alle Dimensionen des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens zu integrieren. So hat sich ein Zeitfenster für eine neue Elite geöffnet, die sich nun erstmals in der postsowjetischen Geschichte des Landes mit Vertretern der Regionen formiert hat.

Wer sind Russlands junge Wölfe?

Die Präsidentschaftswahlen 2024 in Russland und die anschließende Bildung einer neuen Regierung schufen die Möglichkeit für umfangreiche personelle Veränderungen. Die neue Strategie des Regimes sah vor, die vielversprechendsten Regionalgouverneure in föderale Positionen nach Moskau zu berufen.

Es gab fünf solcher Gouverneure, von denen vier zu Bundesministern ernannt wurden. Michail Degtyarev, Gouverneur von Chabarowsk, wurde zum Sportminister ernannt. Anton Alikhanov aus Kaliningrad wurde Minister für Industrie und Handel. Roman Starovoyt aus Kursk bekam den Posten als Verkehrsminister und Sergei Tsivilev, der die Region Kemerowo leitete, wurde zum Energieminister berufen. Der bemerkenswerteste Aufstieg gelang jedoch Aleksey Dyumin, dem Gouverneur der Region Tula, der zu Putins Berater und Sekretär des Staatsrats ernannt wurde. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war es bisher, die Bundesregierung und das staatliche Unternehmen Rostec dabei zu unterstützen, die ununterbrochene Lieferung von Waffen an die russischen Truppen in der Ukraine aufrechtzuerhalten.

Gleichzeitig wurden auch die Patronagenetzwerke, die die Machtverteilung in Russland maßgeblich bestimmen, umstrukturiert. Während früher die Regionalgouverneure den in Moskau ansässigen Politikern unterstellt waren, unterhalten nun ehemalige Gouverneure, die in föderale Ämter aufgestiegen sind, enge Beziehungen zu ihren Nachfolgern in den Regionen. Auf diese Weise entstand etwa im Falle von Dyumin ein neues Netzwerk, das ihn in Moskau, seinen Nachfolger in Tula und seinen Protegé in der Region Samara verbindet. In ähnlicher Weise hat auch eine Gruppe um Dyumin und den Direktor der Nationalgarde, Viktor Zolotov, ihren Einfluss ausgebaut.

Im Allgemeinen bestehen die jungen Wölfe aus Männern im Alter von 40 bis 50 Jahren. Was ihren Hintergrund betrifft, so handelt es sich hauptsächlich um ehemalige oder amtierende Gouverneure von Regionen im europäischen Teil Russlands, die entweder wirtschaftlich mächtig sind, wie Tula, Samara und Moskau, oder geopolitisch wichtig, wie Kaliningrad. Bezeichnenderweise sind oder waren alle Gouverneure aus Regionen mit russischer Bevölkerungsmehrheit. Außerdem verfügen sie über keine Managementerfahrung aus der Sowjetzeit: Ihre Karrieren haben sich unter Putins Herrschaft entwickelt, und sie haben während der Covid-19-Pandemie und des Krieges gegen die Ukraine viel Erfahrung im Krisenmanagement gesammelt.

Trends in der Machtdynamik zwischen Föderation und Regionen

Das russische Modell der Beziehungen zwischen Zentrum und Regionen ist während des Krieges weitgehend unverändert geblieben. Die regionalen Gouverneure halten weiterhin am autoritären Status quo fest. Der Krieg hat den Gouverneuren jedoch neue Möglichkeiten eröffnet, in Positionen innerhalb der föderalen Exekutivorgane aufzusteigen. Putin stand vor dem Dilemma, einerseits neue Akteure in Machtpositionen bringen zu müssen, andererseits aber das Risiko einzugehen, nicht die volle Kontrolle über sie zu haben. Er scheint dieses Risiko als minimal eingeschätzt zu haben und vertraut auf die absolute Loyalität der Politiker aus den Regionen.

Diese neuen regionalen Persönlichkeiten gehören noch nicht zum inneren Kreis Putins – mit der möglichen Ausnahme von Dyumin –, aber sie streben danach, Teil davon zu werden. Ihr Ziel ist es, ihre Karrierechancen in Kriegszeiten zu maximieren. Wenn es ihnen gelingt, sich sowohl horizontal mit anderen, die während des Krieges an Bedeutung gewonnen haben, zu koordinieren, als auch vertikal mit ihren Nachfolgern als Gouverneure, werden sie in der Lage sein, nicht nur Putins alte Garde, sondern auch den Präsidenten selbst herauszufordern.

Es ist jedoch wichtig, sich vor Augen zu halten, dass diese Gruppe unter keinen Umständen Reformen unterstützen wird. Es handelt sich nicht um eine reformistische, sondern um eine konservative Kraft, die eine Umverteilung der politischen Macht zu ihren Gunsten unter Beibehaltung des autoritären Status quo befürwortet. Diese neue Generation von Politikern hat durchaus das Potenzial, das Putin-System nach dessen Abgang wiederzubeleben.


Irina Busygina ist Politikwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS. Sie ist außerdem Fellow am Davis Center for Russian and Eurasian Studies der Harvard University und Senior Fellow am Center for European Policy Analysis in Washington, D.C.