ZOiS Spotlight 26/2018

Social-Media-Netzwerke der postsowjetischen Minderheit in Deutschland

Von Tatiana Golova 11.07.2018
Das russische Facebook-Pendant vk.com ist auch unter postsowjetischen Migrant*innen in Deutschland beliebt. Vadym Dobrot, Alamy Stock Foto

Vor dem Hintergrund von Medienberichten über Bots und Trollfabriken stellte sich auch für die sozialwissenschaftliche Forschung die Frage: Inwiefern ist die Kommunikation auf Social-Media-Plattformen überhaupt authentisch? Für die am ZOiS seit 2017 laufende Studie „Postsowjetische Migranten und transnationale Öffentlichkeiten auf Social Media“ ergaben sich zwei Teilfragen: Kommunizieren im deutsch-russischen virtuellen Raum echte Menschen oder gesteuerte Accounts, und wie kann man beide Kategorien unterscheiden? Und können wir von der Online-Kommunikation auf reale Stimmungen von Russlanddeutschen und anderen postsowjetischen Migrant*innen in Deutschland schließen?

Konkret stellen sich diese Fragen beispielsweise für Gruppen auf dem russischen sozialen Netzwerk vk.com (Vkontakte), die auf Deutsch oder auf Russisch durchweg kritisch zum deutschen politischen System und zur Situation in Deutschland veröffentlichen. Dabei gehören die meisten Mitgliederaccounts (das lässt sich anhand der Namen beurteilen) dem russischen Kulturkreis an. Anhand oft unvollständiger, vor allem geografischer User-Daten, ist es schwer zu beurteilen, welche Bevölkerungsgruppe diese Einzelaccounts repräsentieren. Darüber hinaus sind Diskussionen auf Social-Media-Plattformen auch im Allgemeinen nicht für die Gesamtbevölkerung oder für bestimmte Teile davon repräsentativ. Die öffentliche Meinung kann allerdings nicht nur als Ergebnis zusammengerechneter individueller Einstellungen begriffen werden, wie sie sich beispielsweise in Umfragen manifestiert. Wenn es um die Konstruktion von Meinungen in kollektiven Kommunikationsprozessen geht, sind Diskussionen auf Online-Plattformen ein Teil solcher Prozesse und in diesem Sinne real. Strukturelle und inhaltliche Muster der Kommunikation haben vor diesem Hintergrund Priorität für die Forschung.

Digitale Netzwerke mit politischem Potenzial

Migrantische Communities nutzen die sozialen Medien, um Verbindungen zum Herkunftsland aufrechtzuerhalten, aber auch, um sich mit anderen Diasporaangehörigen zu vernetzen und um hybride Identitäten aufzubauen. Was ist also das politische Potenzial dieser digitalen Netzwerke im Fall der postsowjetischen Minderheit?

Für die Studie wurden Daten an Schnittstellen der populären russischen Social-Media-Plattform vk.com erhoben, die von Migrant*innen aus dem postsowjetischen Raum häufig genutzt wird. Analysiert wurde nicht das Nutzungsverhalten einzelner User, sondern Interaktionsdaten von Gruppen und Public Pages, die sich an Russlanddeutsche und andere Menschen mit postsowjetischem Hintergrund in Deutschland richtet oder sich von Deutschland aus im russisch-deutschen Setting positioniert. Immer wenn eine Gruppe den Inhalt einer anderen Gruppe oder öffentlichen Seite teilt, wurde dies als Verbindung ausgewertet, aus der sich zum einen auf eine inhaltliche Nähe beider Accounts, zum anderen auf einen inhaltlichen Einfluss der Quelle schließen lässt. Anhand dieser sogenannten Reposts ergeben sich komplexe Netzwerke, die mithilfe einer speziellen Software analysiert und interpretiert werden können.

Dabei zeigte sich zunächst, dass es keine geschlossenen Ökosysteme „postsowjetisch-deutscher“ digitaler Communities gibt. Stattdessen beziehen diese sich aktiv auf sehr unterschiedliche Onlineressourcen, das heißt auf individuelle wie auch kollektive Accounts im russischsprachigen Raum, die auf Politik oder auf Unterhaltung ausgerichtet sind, indem sie beispielsweise Zitate berühmter Persönlichkeiten, „Volksweisheiten“, Landschaftsbilder und weitere Inhalte übernehmen, die sich eignen, die Timelines der Konsumenten zu verschönern.  

Sich isolierende Gruppen sind Gruppen, die sich gar nicht oder nur ausnahmsweise auf andere Gruppen auf der Plattform beziehen. Dazu gehören öffentliche Auftritte von Parteien, die sich in den letzten Jahren mit unterschiedlichem Erfolg um die russlanddeutschen Spätaussiedler*innen bemüht haben: Die Gruppen „Alternative für Deutschland“ und „Die Einheit“ adressieren ihr Publikum auf vk.com, vernetzen sich aber nicht mit anderen Akteur*innen auf der Plattform. Im Fall der AfD ist eine andere, inoffizielle Gruppe, „Freunde der AfD“ dagegen sehr aktiv und mit anderen rechtsradikalen Gruppen oder Accounts gut vernetzt.

Die deutschen, politischen Accounts auf vk.com sind im rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Bereich oder alternativ in der Nähe bestimmter Akteur*innen der Partei Die Linke zu verorten. Die bisherige Netzwerkanalyse, besonders für den Zeitraum 2015–2018, hat ergeben, dass es Verbindungen zwischen „autochthon-rechten“ und „postsowjetisch-migrantischen“ politischen Subnetzwerken auf VKontakte gibt.

Zwischen anderen Gruppen existieren direkte Verbindungen über Reposts, einseitige oder wechselseitige, und sie nutzen für ihre Posts systematisch dieselben Quellen, so dass sich auch indirekt kleine Netzwerke herausbilden. Untereinander sind solche Subnetzwerke in den meisten Fällen punktuell verknüpft. Solche kommunikativen Verdichtungen zeigen sich um Gruppen wie „Deutsche Wahrheit“, „Germanija + Awstrija + Schweitsarija“ und eine Gruppe namens „Sahra Wagenknecht – Zukünftige Kanzlerin Deutschlands“, die aber keine offizielle Gruppe der Politikerin ist.

Fließende Übergänge: Ost und West, Politik und Unterhaltung

Anhand der Netzwerkanalysen wurde deutlich, dass postsowjetische politische Gruppen, darunter solche, die in der Ukraine-Krise die russische Staatsposition vertreten, inhaltlich einen Einfluss auf Gruppen im „deutschen“ Segment von VKontakte haben. Dies gilt nicht für das gesamte, ohnehin fragmentierte Netzwerk, sondern für bestimmte politische und identitätsbezogene Subnetzwerke. Diese beziehen sich aktiv auf postsowjetische Ressourcen und stellen dadurch eine öffentliche Nähe zu diesen her. Gerade für solche Subnetzwerke lässt sich bei der jetzigen Erhebungstiefe ein hoher Vernetzungsgrad feststellen, wie im oben genannten Fall.

Eine exemplarische Auswertung der Reposts nach bestimmten Stichwörtern zeigte, dass einige Gruppen politische Inhalte und Unterhaltungsangebote kombinieren. Dadurch können Betreiber*innen ein niedrigschwelliges Angebot für potentielle Follower jenseits des politisch extremen Bereichs erstellen.

Diese inhaltliche Durchlässigkeit funktioniert in beide Richtungen: Bei einigen punktuellen Verbindungen zwischen Subnetzwerken ist es überraschend, dass sie überhaupt existieren. So repostet das größte Subnetzwerk von Gruppen, die auf die lokale Vernetzung Russischsprachiger in deutschen Städten ausgerichtet ist, unter anderem aus der Public Page des deutschen rechtsradikalen „Anonymous Kollektiv“ und teilt einen Beitrag über „kriminelle Zigeunerbanden“. Auch geografisch erfolgt der Informationsfluss nicht nur von Osten nach Westen. Das auf mehreren Plattformen, darunter auf VKontakte, aktive Mediaprojekt „Golos Germanii“ („Stimme Deutschlands“) erklärt es zu seinem Ziel, Auftritte „deutscher Politiker, Journalisten und Kulturschaffender“ und „für den russischen Zuschauer besonders interessante Beiträge“ deutscher Medien ins Russische zu übertragen; dieser selektive Transfer gibt in der Tat die für das Publikum der russischen (halb-)staatlichen Medien gewohnte Inhalte und Interpretationen wieder, beispielsweise zum Syrienkrieg.

Insgesamt ergibt sich für den transnationalen Informationsfluss auf den sozialen Medien zwischen deutschen und russischen Kultur- und Politikraum ein vielfältiges Bild.


Tatiana Golova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS.