ZOiS Spotlight 18/2020

Polens virale Wahl

Von Félix Krawatzek 06.05.2020
Protest gegen die bevorstehende Wahl in Polen aufgrund der Corona-Krise. © imago images / Eastnews

Inmitten des Lockdowns, in dem sich Polen wegen der Covid-19-Pandemie befindet, halten die hitzigen politische Diskussionen darüber, ob die Wahlen wie geplant am 10. Mai abgehalten werden können, an. Im Vorfeld der Wahl hat das ZOiS eine Umfrage unter jungen Pol*innen durchgeführt, um deren fragmentierte politische Ansichten zu beleuchten. Ein beträchtlicher Anteil der polnischen Jugend teilt die konservativen Werte der Regierung. Andere haben sich jedoch beispielsweise gegen deren Sozialpolitik und die Beschränkung richterlicher Unabhängigkeit gestellt, wenn auch ohne einen eindeutigen Schwerpunkt

Die möglichen Chancen in einer Krise

Krisen eröffnen Chancen, Dinge zu erledigen, die zuvor unerreichbar schienen. Entscheidungen, die während einer Krise getroffen werden, wirken sich oft langfristig auf Gesellschaft und Politik aus. Die Covid-19-Pandemie stellt weltweit eine solche Krise dar und Polen wird vor die Entscheidung gestellt, wie mit der bevorstehenden Präsidentschaftswahl umzugehen ist.

Bisher ist Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der konservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), mit seinen Krisenmanövern erfolgreich. Anfang April wurde durch eine Änderung des polnischen Wahlgesetzes die Briefwahl eingeführt, womit der Postbehörde faktisch die Rolle der Wahlkommission zufiel. Gleich nachdem das Gesetz im Unterhaus des polnischen Parlaments bewilligt wurde, ist Tomasz Zdzikot, der stellvertretende Verteidigungsminister des Landes, zum Leiter der Postbehörde ernannt worden. Am 5. Mai hat der – von der Opposition kontrollierte – Senat die Durchführung der Wahl per Briefwahl abgelehnt und dieser Möglichkeit damit die legale Grundlage entzogen.

Glaubt man ihrer Selbstdarstellung, dann hat die polnische Führung mit Entschlossenheit auf die Pandemie reagiert. Die daraus resultierenden Einschränkungen haben den Wahlkampf jedoch weitestgehend verhindert und die Opposition demobilisiert. Es ist unklar, was für eine politische Botschaft momentan bei den Wähler*innen auf Zuspruch stoßen könnte. Die polnische Regierung hat die Pandemie als Chance genutzt, unter Verweis auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit politische Freiheiten weiter einzuschränken. Trotzdem genießt der aktuelle Präsident Andrzej Duda weiterhin eine hohe Zustimmung und wird im PiS-dominierten Fernsehen positiv dargestellt. Umfragen haben dennoch kürzlich gezeigt, dass PiS Unterstützer*innen an die oppositionelle Polnische Volkspartei verliert.

Die Situation in der Pandemie könnte sich jedoch genauso schnell ändern wie die Stimmung in der Bevölkerung, insbesondere wenn sich Zweifel an den offiziellen Fallzahlen der an Covid-19 Erkrankten verbreiten. Das Timing der Wahl ist deshalb entscheidend. Im Einklang mit der aktuellen Gesetzgebung ist eine Wahl, bei der die Bürger*innen zur Wahlurne gehen, für kommenden Sonntag geplant, auch wenn dies praktisch nicht durchführbar scheint. Sollte die Wahl jedoch verschoben werden, könnte es die Kampagnen der Opposition stärken, wenn die verheerenden ökonomischen Konsequenzen der Pandemie erkennbar werden. Kaczyński selbst hat angekündigt, dass Polen sich dann darauf konzentrieren müsse, die ökonomische Krise zu bekämpfen: „Die Menschen geben unter solchen Umständen immer den Behörden die Schuld.“

Widerstand gegen eine Durchführung der Wahl im Mai, gab es auch aus den Reihen der Regierenden selbst, insbesondere von Premierminister Mateusz Morawiecki und Gesundheitsminister Łukasz Szumowski. Der Vizepremierminister Jarosław Gowin trat im Zuge der Kontroverse zurück und führt die Anfechtung der Briefwahl als Vorsitzender der Partei Porozumienie an.

Junge Pol*innen und die Wahl

Bei den letzten Wahlen machte vor allem die Unterstützung junger Pol*innen für rechtsextreme Parteien Schlagzeilen. Junge Menschen haben jedoch auch gegen kontroverse Gesetzesinitiativen der PiS mobilisiert, etwa gegen eine weitere Verschärfung des strengen polnischen Abtreibungsgesetzes.

Das ZOiS hat eine Online-Umfrage unter jungen Menschen durchgeführt, um mehr darüber zu erfahren, wie sie politisch eingestellt sind und wen sie bei der Präsidentschaftswahl wählen wollen. Zwischen 18. und 31. März 2020 befragten wir 2.000 Pol*innen zwischen 16 und 34 Jahren, die in Städten mit mehr als 100.000 Einwohner*innen leben. Unter den Befragten im wahlfähigen Alter hatten zwei Drittel vor, sich an der Präsidentschaftswahl zu beteiligen; das übrige Drittel war entweder unentschlossen (19 Prozent) oder wollte nicht wählen gehen (15 Prozent).

Der größte Teil der jungen Menschen, insbesondere diejenigen, die in Warschau leben, gaben an, dass sie in der ersten Runde des zweistufigen Wahlverfahrens für den Amtsinhaber stimmen wollen (siehe Grafik 1). Die Präferenzen der übrigen Befragten verteilten sich quer über die Opposition. Robert Biedrón, ein progressiver und offen schwuler Kandidat, der katholische Fernsehstar Szymon Hołownia, der junge, rechtsextreme Euroskeptiker Krzysztof Bosak, der für einen Austritt Polens aus der EU wirbt, und Małgorzata Kidawa-Błońska von der Mitte-rechts-Partei Bürgerplattform konnten in der Umfrage alle zwischen 11 und 16 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen.

Verglichen mit der Gesamtbevölkerung bekunden junge Menschen signifikant weniger Unterstützung für Duda. Stattdessen verteilen sich ihre politischen Präferenzen gleichmäßiger über das weite politische Feld des Landes. Polnische Jugendliche bevorzugen Kandidat*innen mit klaren, offenherzigen Botschaften – seien sie progressiv oder konservativ.

Grafik 1: Wahlabsichten junger Menschen in Polens Präsidentschaftswahl 2020

Was ist für die Wahlabsichten junger Pol*innen ausschlaggebend? In der fragmentierten politischen Landschaft Polens zeigen sich junge Menschen besonders von Biedroń und Bosak überzeugt (siehe Grafik 2). Im Gegensatz dazu war für eine Präferenz für Kidawa-Błońsk die Ablehnung des Amtsinhabers oder ein wahrgenommener Mangel an Alternativen ausschlaggebend. Nur 30 Prozent der Befragten gaben an, dass sie für Kidawa-Błońsk stimmen würden, weil sie dieselben politischen Ansichten verträte. Bei denjenigen, die für Duda stimmen würden, waren vor allem zwei Gründe maßgeblich: Zum einen, dass die Befragten seine politischen Überzeugungen teilen, zum anderen, dass sie einen Mangel an Alternativen wahrnehmen.

Grafik 2: Gründe für die Wahlabsichten junger Menschen in Polens Präsidentschaftswahl 2020

Die Wahl findet inmitten eines Klimas schwachen politischen Vertrauens statt. Die meisten polnischen Institutionen haben seit mindestens zwei Jahren insgesamt niedrige Vertrauenswerte. Den Medien, der katholischen Kirche und dem Parlament werden am wenigsten vertraut, während der Präsident in einem etwas weniger schlechten Licht erscheint (siehe Grafik 3). Die Polarisierung der polnischen Politik und die Erosion demokratischer Standards haben jedoch scheinbar deutliche Spuren in den Meinungen hinterlassen, die die Menschen von den Institutionen haben.

Grafik 3: Vertrauen in Polens Institutionen, 2019-2020

Vier Tage vor der geplanten Wahl ist immer noch unklar, ob sie durchgeführt wird. Im Falle einer Verschiebung, sind mehrere Szenarien möglich. Es erscheint immer wahrscheinlicher, dass die Regierung den Notstand ausruft, um die Wahl bis August zu verschieben und sie gleichzeitig mit einer vorgezogenen Parlamentswahl abzuhalten. Oder sie könnte die Verfassung ändern und damit die Amtszeit des Präsidenten um zwei Jahre zu verlängern. Wie auch immer das Ergebnis ausfallen wird, die vergangenen Wochen haben die politischen und sozialen Möglichkeiten einer unvorhergesehenen Krisensituation offengelegt. Die Untergrabung demokratischer Standards in Polen könnte sich dennoch für die politische Führung in den kommenden Wochen noch rächen und zur gravierendsten politischen Krise im Land seit 1989 führen.


Félix Krawatzek ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZOiS.