ZOiS Spotlight 36/2021

FC Sheriff Tiraspol in der Champions League: Fußballdiplomatie oder Geschäftsmodell?

Von Sabine von Löwis 13.10.2021
Das Sheriff-Stadion in Tiraspol, Transnistrien. IMAGO / Vitalii Kliuiev

Der 25. August 2021 versetzte viele Fußballexpert*innen und Fans in Erstaunen. Der völlig unbekannte Fußballclub Sheriff Tiraspol qualifizierte sich für die Gruppenphase 2021/22 der UEFA Champions League, dem prestigeträchtigsten Wettbewerb des Vereinsprofifußballs in Europa. Dass der Außenseiter Ende September in einem beeindruckenden Spiel gegen den Fußballriesen Real Madrid gewann, trug nicht minder zur Faszination der Sportwelt für den kleinen Club bei. Außenseiter ist der FC Sheriff in zweierlei Hinsicht: Zum einen stammt er aus der relativ kleinen Republik Moldau, die bisher nicht durch besonders herausragenden Fußball aufgefallen ist, zum anderen ist der Verein in der Hauptstadt Transnistriens beheimatet, das sich 1990 für unabhängig erklärte und seitdem eine De-facto-Republik bildet.

Der FC Sheriff Tiraspol

Der FC Sheriff Tiraspol gründete sich 1996 mit dem Namen „Tiras Tiraspol“ als regionaler Fußballclub und wird seit 1998 vom transnistrischen Sheriff-Unternehmenskomplex finanziert. Der Club spielt in Tiraspol im eigenen Sportkomplex, der im Jahr 2000 erbaut wurde und neben einem Stadion über eine Schwimm- und Tennisanlage verfügt sowie eine Sportakademie beheimatet. Es ist das modernste Stadion in Transnistrien und der Republik Moldau und wird gelegentlich auch von moldauischen Mannschaften genutzt.

Der FC Sheriff spielt als moldauischer Verein, andernfalls könnte er nicht an der Champions League teilnehmen. Die Republik Moldau ist Mitglied der FIFA, dem Weltfußballverband, der in der Regel nur Vereine aus international anerkannten Staaten aufnimmt, aber gelegentlich Ausnahmen macht. Mitglied in der UEFA ist seit 2016 etwa der Kosovo, der inzwischen von 115 Staaten anerkannt wird.

Der Weg in die Champions League

Der Erfolg des FC Sheriff hängt in erster Linie mit Geld zusammen, wie der Profifußball in Europa und weltweit. Die Förderung und Ausleihe guter internationaler Spieler ist entscheidend für den Aufstieg des Clubs, der wiederum Fußballern aus Osteuropa, Südamerika oder Afrika als Sprungbrett dient. Von den 30 Spielern des FC Sheriff Tiraspols stammt nur eine Handvoll aus Moldau und noch weniger aus Transnistrien selbst, der überwiegende Teil jedoch aus Afrika, Südamerika und Europa. Der derzeitige Trainer ist Ukrainer.

Eine weitere Voraussetzung zur Teilnahme an der Champions League ist, dass Transnistrien seit seiner Unabhängigkeitserklärung keine eigene Fußballliga aufbaute, wie es andere De-facto-Staaten getan haben – so zum Beispiel Abchasien, Südossetien, Nagorno-Karabach oder Nordzypern. Diese Ligen und Fußballvereine werden von der FIFA nicht anerkannt und können nicht an internationalen Spielen teilnehmen.

De-facto-Staaten treten häufig der Confederation of Independent Football Associations (ConIFA) bei, die für eine Reihe von Staaten, Nationen und Regionen unterschiedlicher Verfasstheit und Herkunft weltweit Meisterschaften organsiert. Außer Transnistrien sind alle postsowjetischen De-facto-Staaten hier Mitglied, auch die Klubs der selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine. Transnistrien ist gewissermaßen ein Sonderfall, denn durch die Übereinkunft mit Moldau, transnistrische Klubs in der moldauischen Liga spielen zu lassen, können sie an internationalen Turnieren teilnehmen. Vergleichbares ist in Georgien oder der Ukraine derzeit nicht vorstellbar.

Strippenzieher des Erfolgs

Der Namensgeber des Clubs ist das Sheriff-Unternehmenskonglomerat, das Wiktor Guschan, der Präsident des FC Sheriff Tiraspol, zusammen mit seinem Geschäftspartner Ilja Kasmaly seit Beginn der 1990er Jahre mit vielen undurchsichtigen, aber sehr gewinnbringenden Geschäften in Transnistrien aufgebaut hat. Sheriff kontrolliert inzwischen ewa 60 Prozent der Wirtschaft Transnistriens und verfügt seit Beginn der transnistrischen Unabhängigkeit über beste Beziehungen zur De-facto-Regierung bis hin zur Dominanz des politischen und ökonomischen Geschehens in Transnistrien.

Für die Teilnahme an der Gruppenphase der Champions League erhält der Club aktuell 20,6 Millionen Euro, der Wert des Teams wird derzeit auf 12 Millionen Euro geschätzt. Für den Club und seinen Präsidenten springen dabei sowohl Prestige als auch gut investiertes Geld heraus. Was Guschans originäres Interesse an der Finanzierung des Clubs ist, ist schwer zu sagen. Es mag ein Hobby sein, das er mit anderen Oligarchen teilt. Es mag Geldwäsche dahinterstecken, was ebenfallsein häufig beobachtetes Motiv für Kauf oder Sponsorentätigkeit von Fußballclubs ist und dem Unternehmen seit langem vorgeworfen wird. Oder es könnte die Intention dahinterliegen, in der globalisierten und kommerzialisierten Fußballwelt zu zeigen, dass ungeachtet diplomatischer Anerkennung auch in einem De-facto-Staat wie Transnistrien ein respektabler Fußballclub existieren kann.

Transnistriens De-facto-Staatlichkeit

Auf das Verhältnis zwischen Moldau und der abtrünnigen Republik Transnistrien und somit den Konflikt hat die Teilnahme des Tiraspoler Clubs in der Champions League keine Auswirkung, sondern zeigt im Gegenteil, dass die Beziehungen jenseits der politischen und ideologischen Differenzen oft gut funktionieren.

Ein transnistrisches Nationalgefühl, für das ein Fußballclub häufig ein Symbol ist, wird der FC Sheriff Tiraspol vermutlich nicht hervorrufen. Es spielen ohnehin kaum Transnistrier im Team. Die Republik Moldau wird pragmatisch-sportlich stolz auf den Erfolg einer aus ihrer Sicht moldauischen Mannschaft sein.

Auch für den moldauischen und transnistrischen Fußball und die Förderung des Sports durch große Konzerne wird sich nichts verändern. Transnistrien und auch Moldau haben zu knappe Kassen, um den Sport zu finanzieren. Sheriff wird seinen eigenen Club weiter ausbauen. Der FC Sheriff ist aber nicht der einzige Fußballclub Transnistriens. Einige kleine Klubs spielen in der zweiten und dritten moldauischen Liga und hoffen auf lokale Sponsoren. Vielleicht werden sie ihre Aktivität aber auch einstellen, da es zu wenig Nachwuchs gibt und das Geld fehlt.

Am 24. November findet das Rückspiel gegen den mehrfachen Sieger der Champions League, Real Madrid, in Tiraspol statt. Vielleicht wird auch eine Reihe internationaler Fans anreisen. Das könnte dem kleinen De-facto-Staat Transnistrien Aufmerksamkeit und vielleicht auch ein paar Einnahmen einbringen. Für eine Annäherung der Menschen und die Überwindung von Differenzen zwischen Transnistrien und Moldau sind aber die Spiele transnistrischer und moldauischer Klubs in der zweiten und dritten Liga wertvoller.


Dr. Sabine von Löwis ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin des Forschungsschwerpunkts "Konfliktdynamiken und Grenzregionen" am ZOiS.