Pressemitteilung

Wie die Antigender-Haltung der ukrainischen Kirchen die Istanbul-Konvention bremst

18.03.2021

Die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt ist in der Ukraine umstritten. Ein neuer ZOiS Report untersucht die einflussreiche Position der orthodoxen Kirchen, die deren Ratifizierung einheitlich ablehnen. Neben einer theologisch begründeten Zurückweisung des Genderbegriffs werten einige kirchliche Statements Gender als Ideologie, die die ukrainische Identität bedroht. Rechtskonservative und geopolitische Einflüsse spielen dabei eine wichtige Rolle.

In ihrem Report untersucht die Theologin Regina Elsner, welche Rolle religiöse Akteure als Hindernis bei der Ratifizierung der Istanbul-Konvention spielen und wie das Thema häusliche Gewalt in verschiedenen ukrainischen Kirchen diskutiert wird. Dafür analysiert sie die Dokumente des Allukrainischen Rats der Kirchen und Religionsgemeinschaften (AUCCRO), der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOC) und der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OCU).

Antigenderismus und Religion

Die Haltung kirchlicher Akteure in der Ukraine zur Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist einheitlich ablehnend. „Als Hauptgrund dafür wird der in der Konvention verwendete Genderbegriff angeführt, der einem Weltbild mit binärem Geschlechtersystem widerspricht. Häusliche Gewalt wird als individuelle Verfehlung betrachtet, wodurch eine Anerkennung struktureller Ursachen, die mit Genderrollen zu tun haben, ausbleibt“, erläutert Regina Elsner.

Die Ablehnung des Genderbegriffs ist in rechtskonservativen Kreisen international verbreitet, und findet sich auf politischer Ebene wie auch in kirchlichen Positionen in vielen zentral- und osteuropäischen Ländern.

Theologische, strukturelle und geopolitische Aspekte der orthodoxen Position

Auf inhaltlicher Ebene wird die Auflösung einer binären Geschlechtsidentität als Angriff auf zentrale religiöse Inhalte, wie die Vorstellung vom Menschen als Ebenbild Gottes, verstanden. Damit wird die Chance vertan, über verbindende Themen wie Gerechtigkeit, Würde und Gleichberechtigung Brücken zu schlagen. Die Genderkonzepte werden von den Kirchen als Ideologie bezeichnet und mit der Sowjetherrschaft und ihren, für die Ukraine zum Teil fatalen, Folgen gleichgesetzt. Darüber hinaus werden sie als ein der ukrainischen Identität fremdes und für die ukrainische Gesellschaft sogar bedrohliches Element gekennzeichnet. “Diese Argumentationen markieren eine rechtskonservative Ausrichtung, die die Ausräumung von Missverständnissen bezüglich des Genderbegriffes verhindert und theologische Forschung zu Genderrollen, Gendergerechtigkeit und genderbasierter Gewalt erschwert“, führt Elsner aus. 

Ungewöhnliche Allianzen

Der Antigender-Diskurs ist auch in der Ukraine ein vereinendes Element verschiedener Kirchen, deren Verhältnis auf anderen Gebieten vor allem von gegenseitigen Vorbehalten geprägt ist, etwa zwischen den zwei ukrainischen orthodoxen Kirchen oder zwischen protestantischen und orthodoxen Kirchen. Die katholische Kirche und die protestantischen Kirchen in der Ukraine bauen dabei auf dem Widerstand gegen den Genderbegriff in westlichen Staaten auf. Für die orthodoxen Kirchen in der Ukraine ist es eine besondere Herausforderung, zwischen der russischen Vereinnahmung aller wertkonservativer Positionen einerseits und der Unterstützung der europäischen Integrationen andererseits eigene Argumente in ihrem Widerstand gegen den Gender-Begriff zu finden.

Kirchliche Maßnahmen gegen häusliche Gewalt

Genderbasierte Gewalt wird unter dem Begriff der häuslichen Gewalt seit kurzem auch von den ukrainischen Kirchen verhandelt, die große Kampagnen dagegen aufgezogen haben. „Um den Verdacht auszuräumen, dass es sich nur um oberflächliche Kampagnen handelt, die eine europäische Haltung signalisieren sollen, muss jedoch eine tiefergehende theologische Auseinandersetzung mit struktureller Gewalt und Ungerechtigkeit vonseiten der ukrainischen Kirchen folgen“, schließt Regina Elsner.

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