Expert*innenstimme

Zehn Jahre Neue Seidenstraße

Von Julia Langbein 07.09.2023

Vor zehn Jahren verkündete der chinesische Präsident Xi Jinping an der Nasarbajew-Universität in Astana, Kasachstan, die „Belt and Road“-Initiative (BRI), auch Neue Seidenstraße genannt. An dem riesigen interkontinentalen Investitions- und Infrastrukturprogramm sind mehr als 100 Länder mit einer Vielzahl von Projekten beteiligt. Im Interview mit Julia Langbein ziehen wir eine Bilanz der ersten Dekade. Grundlage dafür sind Einsichten aus einem Forschungsprojekt, an dem Julia Langbein gemeinsam mit ihren ZOiS-Kolleg*innen Beril Ocaklı und Valentin Krüsmann beteiligt ist.

Vor zehn Jahren war die Welt eine andere. Sind Chinas Ziele seitdem die gleichen geblieben?

Xi Jinping verkündete das Projekt „Neue Seidenstraße“ im September 2013 mit dem Ziel, die Konnektivität zwischen China und den beteiligten Ländern zum gegenseitigen Nutzen zu verbessern. Gerade unter westlichen Beobachter*innen sehen viele in der BRI ein zielgerichtetes Instrument für China zur Neugestaltung der globalen politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Andererseits sollte die BRI auch Chinas Wirtschaft unterstützen, da auf diese Weise chinesische Überkapazitäten im Infrastrukturbereich und überschüssiges Kapital exportiert werden konnte. In den letzten Jahren hat sich jedoch sowohl unter den Partnerländern als auch auf Seiten der chinesischen Führung eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Neben Erfolgsmeldungen gab es vermehrt Nachrichten darüber, dass angekündigte BRI-Projekte nicht oder nur mangelhaft durchgeführt wurden. Zudem belastet die Finanzierung vieler Projekte in Eigenregie mittlerweile den chinesischen Staatshaushalt.

Vor diesem Hintergrund nimmt die BRI inzwischen für die chinesische Führung nicht mehr die zentrale außenpolitische Rolle ein, sondern wird durch andere Initiativen ergänzt. Zudem beteiligt sich China inzwischen vermehrt an Infrastrukturprojekten, die multilateral finanziert werden. Mithilfe der finanziellen Diversifizierung minimiert China finanzielle Risiken, profitiert aber weiterhin von den Einnahmen, die sich aus der Projektdurchführung ergeben. Zudem laufen nicht alle Projekte notwendigerweise unter dem Label der Neuen Seidenstraße, was die BRI im Zweifelsfall auch vor Kritik schützt. Insofern haben sich vielleicht nicht die Ziele, die China mit der BRI verfolgt, geändert, aber die Instrumente werden angepasst.

Welchen Rückhalt hat das Projekt heute in den beteiligten Ländern?

Hier muss man differenzieren. Mit Blick auf Mittel- und Osteuropa hat die Tatsache, dass viele geplante Projekte nicht realisiert worden sind und Peking zudem nicht eindeutig Stellung gegen den russischen Angriff auf die Ukraine bezieht, das Verhältnis zwischen China und vielen Ländern dieser Region in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert. So sind die baltischen Staaten mittlerweile aus der 2012 gegründeten 17+1 Kooperationsinitiative mit China ausgetreten. Polen, die Slowakei und Tschechien sind zwar noch Teil dieser Initiative, jedoch mit inzwischen zunehmend kritischer Haltung gegenüber China. In den autoritär regierten Ländern Ungarn und Serbien hingegen werden viele Projekte unter dem BRI-Label trotz lokaler Proteste umgesetzt. Beide Regierungen sind zugunsten der Realisierung von Infrastrukturprojekten bereit, (trans)nationale Regularien für mehr Transparenz und/oder soziale Verträglichkeit zu umgehen und eine China-freundlichere Außenpolitik zu betreiben. Auch in Georgien werden die meisten angekündigten Projekte mit chinesischer finanzieller Beteiligung bislang nicht umgesetzt, aber wenn ein Infrastrukturprojekt mit chinesischen Bauträgern realisiert wird, nehmen es die georgischen Behörden mit Transparenz und Sozialverträglichkeit nicht sehr genau.  Diese Beispiele zeigen auch, dass lokale Akteure und Kontextbedingungen einen großen Einfluss auf die Art und Weise des chinesischen Engagements haben.

Das Infrastruktur-Projekt betrifft auch Mitglieder und Kandidatenländer der Europäischen Union sowie Länder der Östlichen Partnerschaft. Was bedeutet das für die EU?

Chinas gestiegenes Interesse an einer multilateralen Finanzierung von Infrastrukturprojekten kann von der EU und ihren finanzkräftigeren Mitgliedstaaten sowie internationalen Geberinstitutionen genutzt werden, um mit China bei der Realisierung von Infrastrukturvorhaben zu kooperieren. Ein Beispiel wäre der Ausbau des sogenannten „mittleren Korridors“, der aktuell u.a. durch die östlichen EU-Partnerländer Georgien und Aserbaidschan führt. Hier haben sowohl die EU, China als auch die Transitländer selbst ein Interesse daran, die Abhängigkeit von der durch Russland führenden Nordroute, die seit dem Beginn des russisches Kriegs gegen die Ukraine blockiert ist, zu reduzieren. Wenn mit China kooperiert wird, muss aber stärker als bisher auf Transparenz bei den Vergabeverfahren sowie die Durchsetzung von europäischen bzw. internationalen Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards geachtet werden. Ansonsten riskieren die EU und andere westliche Geber, ihre eigene Legitimität zu untergraben. Bislang zeigen unsere Einsichten aus Georgien, dass die finanzielle Beteiligung, beispielsweise der Europäischen Investitionsbank oder einzelner EU-Mitgliedstaaten, nicht notwendigerweise dazu führt, dass Infrastrukturprojekte unter dem Label der BRI transparent oder sozialverträglich ablaufen.


Julia Langbeins Forschung zu diesem Thema erfolgt im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts "De:link//Re:link: Local perspectives on transregional processes of entanglements and disentanglements".

Expertin

Leitung Forschungsschwerpunkt
Politische Ökonomie und Integration​​​​​​​