Expert*innenstimme

Vorgezogene Präsidentschaftswahlen in Aserbaidschan

Von Tsypylma Darieva 06.02.2024

Im Dezember 2023 hat Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew per Dekret vorgezogene Präsidentschaftswahlen für den 7. Februar 2024 anberaumt. Alijew ist seit 2003 im Amt und regiert das Land autokratisch. Seine momentane vierte Amtszeit wäre eigentlich Anfang 2025 zu Ende gegangen. Im September 2023 hat Aserbaidschan die mehrheitlich von Armenier*innen bewohnte De-facto-Republik Bergkarabach in einer Militäroffensive komplett unter seine Kontrolle gebracht.

Gründe für die vorgezogene Wahl hat Alijew nicht angegeben. Was könnte sich hinter der Entscheidung verbergen?

Ursprünglich sollte die Wahl im November 2025 stattfinden. Die Abhaltung der Wahlen 15 Monate vor Ablauf seiner Amtszeit weist darauf hin, dass der Staatschef sich nicht ganz sicher fühlt und schon im Vorfeld sein Mandat erneuern will, um seine Macht für weitere sieben Jahre zu sichern. Alijew geht es darum, die Kontrolle über die Gesellschaft und die Medien zu festigen, bevor eine Reihe großer außen- und innenpolitischer Herausforderungen auf ihn zukommt. In den nächsten zwei Jahren werden einige Unruheherde für die aserbaidschanische Regierung auftreten: 2024 etwa die Wahlen in Russland und in den USA, Verhandlungen über den Friedensvertrag mit Armenien, der noch nicht in Sicht ist, sowie die Ausrichtung der nächsten UN-Klimakonferenz in Baku als Öl- und Gasstaat. Manche Expert*innen äußern die Vermutung, dass jetzt der beste Zeitpunkt für Alijew sei, die Wahlen abzuhalten, da er als siegreicher Präsident nach der militärische Einnahme Bergkarabachs seine bislang höchste Popularität erreicht hat.

Die Entscheidung hängt sicherlich auch mit weiteren wichtigen politischen Ereignissen im Jahr 2025 zusammen, wie den Parlamentswahlen in Aserbaidschan und dem Ende von Russlands Peacekeeping Mission in Bergkarabach. So muss Aserbaidschan 2025 mit Russland darüber verhandeln, was mit den sogenannten Friedenstruppen passieren soll. Im Moment ist es ungewiss, ob russische Friedentruppen im Jahr 2025 das Territorium von Bergkarabach tatsächlich verlassen oder mit Blick auf die außenpolitische und wirtschaftliche Allianz mit Alijew weiterhin in der Region präsent bleiben werden. Die veränderte Sicherheitslage nach der Einnahme Bergkarabachs und die Flucht der armenischen Bevölkerung aus Karabach führte zur deutlichen Verschlechterung des Verhältnisses zu westlichen Staaten. Insbesondere im Europarat wurde die Menschenrechtslage im Zusammenhang mit Bergkarabach kritisiert.

Wie steht es um die innenpolitische Situation in Aserbaidschan nach der Einnahme Bergkarabachs?

Bergkarabach als Bestandteil der nationalen Identität spielt in Aserbaidschan eine enorm wichtige Rolle. Nach der militärischen Einnahme Bergkarabachs hat Alijew seine Popularität in der Gesellschaft innenpolitisch stabilisiert und konsolidiert. Mittels populistischer nationaler Rhetorik der siegreichen „Wir-Nation“ ist es ihm sogar gelungen, auch oppositionelle pro-demokratische Stimmen für sich zu gewinnen. Die wenigen Antikriegsstimmen wurden von der Staatsmacht als „Verräter“ abgestempelt und unter massiven Druck gesetzt. Es entstand ein neues nationales Opfer-Narrativ, das sich zum Beispiel in Museen und Schulbüchern wiederfindet, die durch Hass, Misstrauen und militaristisches Gedankengut gekennzeichnet sind, was die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Armenier*innen und Aserbaidschaner*innen erschweren wird.

Dennoch tut sich ein Risiko für das Regime auf, da mit der Kontrolle über Bergkarabach das wichtigste integrative Symbol schnell wegfallen kann. Mit Blick auf die Stagnation der aserbaidschanischen Wirtschaft (das Wirtschaftswachstum 2023 war das niedrigste unter allen GUS-Ländern), sowie auf die zunehmende soziale Kluft und soziale Spannungen können kritische Stimmen sowohl im In- und Ausland zukünftig hörbarer werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass die versprochene Rückkehr der displaced persons nach Karabach äußerst langsam vorankommt. Darüber hinaus gibt es erhebliche Probleme mit Korruption und sozialer Ungerechtigkeit. 

In welcher Verfassung ist die Opposition in Aserbaidschan?

Die kurzfristige Ankündigung außerordentlicher Wahlen am 7. Dezember 2023 hat politische Oppositionsparteien durchaus überrascht. Die Wahlen am 7. Februar 2024 werden praktisch ohne jegliche politische Konkurrenz stattfinden, da die oppositionellen Parteien (wie z.B. Musavat, ReAL) aus Protest verkündet haben, nicht an der Wahl teilnehmen zu wollen. Das autokratische Regime hat in den letzten zehn Jahren einen stark repressiven Staatsapparat entwickelt, was zu ständigen Inhaftierungen Andersdenkender und massiven Einschränkungen freier Medien führt. Dazu gehört der Einsatz eines modernen digitalen Überwachungssystems. So wurden 2021 mehrere aserbaidschanische Dissident*innen und Journalist*innen als Zielscheibe der Spionagesoftware Pegasus identifiziert.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) stuft Aserbaidschan in ihrem Weltindex für Pressefreiheit auf Platz 151 von 180 Ländern ein. Ähnlich wie in den vergangenen Jahren begannen vor der Ankündigung zur vorgezogenen Wahl eine Reihe von Attacken auf jene Medien, die nicht mit den Staatsmedien kooperieren. Das harte Vorgehen gegen investigative Journalisten traf zum Beispiel Abzag Media, wo im Herbst 2023 sechs Journalist*innen verhaftet wurden. Abzag Media hatte massive Korruptionsfälle bei präsidentennahen Eliten und deren Beteiligung an Aufbauprojekten in Karabach aufgedeckt. Regimekritische Journalist*innen sind gezwungen das Land zu verlassen und werden auch im Ausland verfolgt. Vor allem aus Tbilissi wird immer wieder von Hassbotschaften und Einbrüchen berichtet. Einige wurden auch in Europa persönlich bedroht und eingeschüchtert. Die wenigen kritischen Stimmen sind da, aber haben derzeit wenig Einfluss auf die innere Politik in Aserbaidschan.

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