Expert*innenstimme

Vor dem Treffen von Biden und Putin

Von Gwendolyn Sasse 14.06.2021

Am 16. Juni trifft US-Präsident Joe Biden im Rahmen seiner Europareise auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Begegnung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beziehungen zwischen beiden den Ländern sehr angespannt sind. Der neue US-Präsident hat über seine Meinung zu Putins Umgang mit politischen Gegnern keinen Hehl gemacht, der seinerseits bereits von einem neuen Kalten Krieg mit den USA spricht. ZOiS-Direktorin Gwendolyn Sasse erklärt, was von den Gesprächen in der derzeitigen Situation zu erwarten ist.

US-Präsident Biden hat das Treffen mit Putin initiiert, gleichzeitig aber eine konsequente Haltung gegenüber der russischen Regierung angekündigt. Wie ist das zu interpretieren?

Es beschreibt das Grunddilemma in den Beziehungen zwischen den USA und Russland bzw. der EU und Russland: Ein Maß an Dialog ist erforderlich, aber es fehlt an effektiven Mitteln, die russische Politik zu beeinflussen. Bidens Angebot, Putin zu treffen, trug zur Deeskalation während des russischen Truppenaufbaus in der Nähe der ukrainischen Grenze bei und kommt zugleich Putins Interesse entgegen, international auf Augenhöhe mit den USA zu agieren. Die US-Administration hat im Vorfeld des Treffens bewusst auf die Beschreibung eines „Neuanfangs“ in den Beziehungen zu Russland verzichtet. Es wäre allerdings schon „neu“, über den direkten Kontakt auf höchster Ebene eigene Interessen und Werte direkt und regelmäßiger zu kommunizieren.

Die Ukraine war zuletzt mit der Verstärkung russischer Truppen an seiner Grenze konfrontiert, indessen geht der von Russland unterstützte Krieg weiter. Welche Reaktionen gibt es dort auf das Treffen?

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij reagierte kritisch auf die Initiative Bidens. Er hätte ein persönliches Treffen mit Biden vor dessen Zusammenkunft mit Putin für angemessener gehalten. Im Gegenzug hat Biden ihn für den Sommer ins Weiße Haus eingeladen. Biden hatte während des russischen Truppenaufbaus im April mit Selenskij telefoniert und ihm Unterstützung zugesichert. Darüber hinaus reiste US-Außenminister Antony Blinken Anfang Mai in die Ukraine. Auf diese Weise wurde der Botschaft, dass man die Ukraine bei Reformen und in der Auseinandersetzung mit Russland unterstützen wolle, Nachdruck verliehen.

In welchen Punkten scheint eine Zusammenarbeit oder Verständigung in dieser Situation wahrscheinlich oder überhaupt nur möglich?

Konkrete inhaltliche Vereinbarungen sind von diesem Treffen nicht zu erwarten. Die Agenda ist von beiden Seiten offen angelegt worden. Rüstungskontrolle, Klimawandel, die Auswirkungen der Pandemie, das Nuklearprogramm des Iran und Syrien sind zumindest rhetorisch die Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit. In erster Linie geht es jedoch darum, ob ein gewisser modus vivendi für den bilateralen Dialog etabliert werden kann, der einen Grad an Vorhersehbarkeit und Regelhaftigkeit ermöglicht. Momentan steht dabei die Eindämmung von Risiken im Vordergrund. Präsident Biden hat darüber hinaus angekündigt, russische Cyberangriffe und das Vorgehen des Kreml gegen Oppositionelle und Medien zu thematisieren. Letzteres wäre ein Signal der Unterstützung an die russische Zivilgesellschaft, aber seine Worte werden kaum im breiteren öffentlichen Diskurs ankommen. Biden verzichtet bewusst auf eine gemeinsame Pressekonferenz nach dem Treffen und begrenzt somit die Möglichkeiten eines öffentlichen Schlagabtauschs und die Medienwirksamkeit in den russischen Staatsmedien.

Expertin

Wissenschaftliche Direktorin
Einstein-Professorin für Vergleichende Demokratie- und Autoritarismusforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin