Expert*innenstimme

Sputnik V und der „ostdeutsche Blick“ auf Russland

Von Gwendolyn Sasse 30.04.2021

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat mit seiner Russlandreise und seinem Vorstoß hinsichtlich des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V die Frage aufgeworfen, ob er auf „russlandfreundliche“ Positionen der ostdeutschen Wählerschaft zählen kann. Gwendolyn Sasse hat in einem Forschungsprojekt am ZOiS die Russlandansichten in Ost- und Westdeutschland untersucht und teilt ihre Einschätzungen mit uns.

Wenn von „russlandfreundlichen“ Ostdeutschen gesprochen wird, ist damit eigentlich eine Zustimmung zur russischen Regierung gemeint. Unterscheiden sich die Positionen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner Politik denn in Ost- und Westdeutschland?

Die Russlandaffinität der Ostdeutschen zieht sich als Annahme durch öffentliche Diskussionen. Oft wird sie verkürzt als Überbleibsel aus der Zeit vor 1989 dargestellt. Hier werden im Rückblick sowohl der direkte Kontakt zur Sowjetunion in der Alltagserfahrung der DDR als auch die positive Haltung gegenüber der Sowjetunion überschätzt, die ja darüber hinaus nicht mit dem heutigen Russland gleichzusetzen ist. Wie wir aus unserer Forschung am ZOiS wissen, gibt es in den Ansichten zu Russland und der Politik von Wladimir Putin Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, aber auch Alter, Geschlecht, persönliche Kontakte nach Russland und andere Faktoren spielen eine Rolle. Wenn man versucht, über Befragungen hinaus mit qualitativen Methoden die Argumentationsmuster hinter der vermeintlichen Russlandaffinität zu erfassen, wird schnell deutlich, dass Präsident Putin, sein Stil und seine wahrgenommene Durchsetzungskraft eher als eine Projektionsfläche dienen, um Kritik an der deutschen Innen- und Außenpolitik zum Ausdruck zu bringen. Es geht also weniger um eine Aussage über die russische Politik. Darüber hinaus sind persönliche Kontakte nach Russland begrenzt und ein allgemeines Unwissen über Russland wird weithin eingestanden.

Lässt sich eine positive Einschätzung der russischen Politik in Ostdeutschland feststellen?

Eine ZOiS-Umfrage im November 2020 zeigte, dass 60 Prozent der deutschen Bevölkerung den Namen Wladimir Putins mit Repressionen bzw. einer Bedrohung für Europa assoziieren. Das heißt, dass die Mehrheit – in Ost-und Westdeutschland – kein positives Bild von der russischen Politik hat. Dieser Trend hat sich im Vergleich zu unseren Daten aus 2019 weiter verstärkt – vermutlich ist dies eine Folge des in der deutschen Öffentlichkeit sehr präsenten Giftanschlags auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Paradoxerweise hat sich im Vergleich zu 2019 allerdings auch der Trend verstärkt, in Putin einen effektiven Präsidenten zu sehen, wenngleich diese Assoziation „nur“ für ein Viertel der Befragten deutschlandweit die wichtigste war.

Medien wie RT-Deutsch und Sputnik haben die Verbreitung von Falschnachrichten zu Corona befördert und der „Querdenker“-Bewegung zugearbeitet. Wäre es denkbar, dass nun deren Publikum mit Sputnik V für das Impfen begeistern werden kann, wie einige vermuten?

Eine Impfbegeisterung unter „Querdenkern“ ist mit oder ohne Sputnik V schwer vorstellbar. Sie passt nicht zur Logik der Bewegung. Wie russlandfreundlich die heterogene Gruppe der „Querdenker“ ist, ist darüber hinaus eine offene Frage. Allerdings liefert der Versuch einzelner Bundesländer, sich Sputnik-Kontingente zu sichern noch bevor die Zulassung des Vakzins in der EU erfolgt ist und damit ein geeintes Vorgehen in Deutschland bzw. in der EU zu unterlaufen, einen willkommenen Anknüpfungspunkt für „Querdenker“ und andere, die sich von der Politik der Bundesregierung distanzieren oder diese bewusst als schwach darstellen wollen.

Expertin

Wissenschaftliche Direktorin
Einstein-Professorin für Vergleichende Demokratie- und Autoritarismusforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin