Schwierige Entscheidung: Kasachstan und der Bau neuer Atomkraftwerke
Kasachstan plant unerwartet den Bau gleich mehrerer Atomkraftwerke sowohl durch einen russischen als auch einen chinesischen Staatskonzern. Damit setzt das Land seinen geopolitischen Drahtseilakt fort, weicht aber von seiner bisherigen Position zum Thema Atomenergie ab. Was steckt hinter diesen Entscheidungen?
Warum hat sich Kasachstan für den Bau seiner ersten Atomkraftwerke überraschend nicht nur für den russischen Staatskonzern Rosatom, sondern auch das staatliche chinesische Unternehmen CNNC entschieden?
Die Bekanntgabe war sorgfältig inszeniert, um die beiden wichtigsten Bewerber zufriedenzustellen – Russland und China, die zugleich die beiden geopolitisch entscheidenden Akteure für Kasachstan sind. Erst bekam Russland den Zuschlag für das erste AKW. Kurz darauf wurde völlig unerwartet ein neues, zweites Projekt mit China angekündigt – vage, aber mit großen Versprechungen. Gleichzeitig betonte die Regierung ein wissenschaftlich begründetes Auswahlverfahren: ein Kriterienkatalog u. a. mit Fokus auf Sicherheit, Kosten, lokaler Einbindung und Ausbildung. Die Regierung betonte zudem, dass nicht Geopolitik, sondern nationale Interessen den Ausschlag gegeben hätten. Doch die Entscheidungen spiegeln auch Kasachstans Balanceakt zwischen seinen beiden mächtigen Nachbarn wider und sind zweifellos geopolitisch motiviert.
Warum haben Russland und China so großes Interesse am Bau eines AKW in Kasachstan?
Für Russland wie China hat der Bau internationaler AKWs hohe geopolitische Bedeutung. Der russische Präsident Wladimir Putin hat zum Beispiel der Nuklearenergie 2023 per Verordnung eine Rolle als Werkzeug der Diplomatie zugeschrieben. Der geplante Bau des AKW in Kasachstan wurde entsprechend auf höchster Ebene erörtert. Die chinesische Regierung trat in den Monaten zuvor mit großer Offensive – teils gezielt gegen russische Konkurrenz – auf. Astana betont, dass mit der Inbetriebnahme die Verantwortung für das AKW ganz auf Kasachstan übergehe – ausländische Einflussnahme sei dann ausgeschlossen. Wenn sich ein Land wie Kasachstan für einen bestimmten Bauträger entscheidet, legt es sich damit in der Regel auf eine bestimmte Technologie fest. Das schafft eine langfristige Abhängigkeit und macht Nachfolgebauträge wahrscheinlicher. Im Augenblick zeichnet sich weiterhin eine Art Wettbewerb zwischen Rosatom und CNNC hinsichtlich Kosten und Datum der Fertigstellung ab. Es bleibt abzuwarten, ob Kasachstan davon profitieren kann.
Welche innenpolitischen Herausforderungen bringt die Entscheidung für den Ausbau der Atomenergie in Kasachstan mit sich?
Die Entscheidung für den Bau von AKWs weicht von der bisherigen Politik ab und ist innenpolitisch heikel. Nach der Unabhängigkeit hatte sich Kasachstan klar von der Nutzung jeglicher Kerntechnik distanziert – unter anderem wegen der Folgen der sowjetischen Atomtests im Gebiet Semipalatinsk im Osten des Landes. 1999 wurde das aus der Sowjetzeit stammende AKW in Aktau aus politischen Gründen stillgelegt. In der Bevölkerung gibt es bis heute viele Vorbehalte gegenüber dem Thema. Gleichzeitig steigt der Energiebedarf, Strom muss bereits importiert werden, die bestehenden Kohlekraftwerke sind veraltet. Die Lösung sieht die Führung des Landes in Atomkraft, die in Kasachstan als grün, weil CO₂-neutral, gilt. Deshalb hat sich der kasachische Präsident Kassym-Dschomart Tokajew im Oktober 2024 durch ein nicht unumstrittenes Referendum formal den Rückhalt in der Bevölkerung gesichert. Im Augenblick sind keine größeren Proteste zu erwarten.