Expert*innenstimme

Kirgistans vorgezogene Parlamentswahl 2025 als Wendepunkt

Von Beate Eschment 27.11.2025

Am 25. September hat das Parlament Kirgistans beschlossen, sich aufzulösen und vorgezogene Wahlen anzusetzen. Die Wahl am 30. November könnte ein Parlament hervorbringen, das weitgehend aus regierungsnahen Einzelpersonen besteht und Dschaparows Macht absichert – eine nächste Etappe im autoritären Umbau des Landes.

Wie lassen sich die Auflösung des Parlamentes und die Ansetzung von Neuwahlen erklären?

Offiziell wurde mitgeteilt, das Parlament habe sich ein Jahr vor Ablauf der Legislaturperiode aufgelöst, um eine zeitliche Nähe zur Präsidentschaftswahl am 24. Januar 2027 zu vermeiden und organisatorische Probleme auszuschließen. Dabei hatten die Verantwortlichen den Termin der Präsidentschaftswahl erst im Frühjahr 2025 verschoben, ohne mögliche Überschneidungen zu berücksichtigen. Weil das Parlament bisher stets im Sinne des Präsidenten handelte, spricht vieles dafür, dass auch der – nicht unerwartete – Beschluss zur Auflösung und die Vorziehung des Wahltermins im Interesse des amtierenden Präsidenten Sadyr Dschaparow liegt. In der gegenwärtigen Volksvertretung gibt es noch Abgeordnete, die es wagen, kritische Kommentare abzugeben. Ziel der Neuwahl ist ein Parlament, in dem vom Präsidenten abhängige, ihm loyale Abgeordnete sitzen, die seine Wiederwahl uneingeschränkt unterstützen und weitere Schritte seiner Machtkonsolidierung absichern.

Welche Rolle spielt das neue Wahlsystem für die Wahlen und die Zusammensetzung des neuen Parlamentes?

Seit der Unabhängigkeit 1991 hat Kirgistan sein Wahlsystem fast so oft geändert wie die Verfassung. Im Frühjahr wurde das zuletzt geltende gemischte System aus Proportionalwahl (Parteiliste) und Mehrheitswahl in Wahlkreisen durch ein reines Direktwahlsystem ersetzt. In jedem neu zugeschnittenen Wahlkreis sollen drei Abgeordnete gewählt werden, die ohne Parteibindung kandidieren können. Parteien spielen damit endgültig keine Rolle mehr. Praktisch alle Kandidat*innen, auch amtierende Abgeordnete, treten nun als Unabhängige an. An der Parlamentswahl 2021 hatten noch 21 Parteien teilgenommen. Viele Kandidat*innen sind nur lokal bekannt und stützen sich auf lokale Netzwerke, Ressourcen und Patronagesysteme. Eine Machtbasis in der Hauptstadt haben sie nicht. Auch der sehr kurze Wahlkampf ist auf die Wahlkreise und lokale Fragen konzentriert, eine breite politische Diskussion über nationale Themen findet nicht statt. Das dürfte genauso im Sinne des Präsidenten sein, wie dann im Ergebnis ein Parlament aus unverbundenen Einzelpersonen.

Welche möglichen Folgen hat die Wahl für die zukünftige Entwicklung in Kirgistan?

Sadyr Dschaparow hat seit seiner Wahl im Januar 2021 mit Hilfe der von ihm initiierten Verfassungsänderungen zurück zu einem Präsidialsystem ein zunehmend autoritäres Regime errichtet, das er offensichtlich auch in Zukunft ausbauen will. Wahlen dienen ihm als Mittel zur Machtsicherung, gelten aber zugleich als Gefahr für die Stabilität des eigenen Regimes. Eine Woche vor der Wahl wurden zehn bekannte Kritiker*innen des Präsidenten verhaftet und durch U-Haft bis Mitte Januar 2026 aus dem Verkehr gezogen, darunter der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei und der Sohn des früheren Präsidenten Almasbek Atambajew. Ihnen wird vorgeworfen, nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses Unruhen geplant zu haben.

Parlamentswahlen haben in Kirgistan bereits in den Jahren 2005 und 2020 Unruhen ausgelöst und zum Rücktritt der amtierenden Präsidenten geführt, weil die Ergebnisse offenkundig eher ihren Wünschen als dem Willen der Wähler*innenschaft entsprachen. Derzeit gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass sich ein ähnliches Szenario wiederholt. Die oppositionelle Basis ist geschwächt, viele Akteur*innen sind im Exil und das politische Klima ist stärker kontrolliert als in früheren Jahren.

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