Expert*innenstimme

Angela Merkels Treffen mit Wolodymyr Selenskyj

Von Gwendolyn Sasse 23.08.2021

Am 22. August besuchte Angela Merkel die Ukraine. Das Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wird einer der letzten internationalen Auftritte in ihrer Zeit als Bundeskanzlerin sein. Nur zwei Tage zuvor hatte sich Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In einer neuen Ausgabe der Expert*innenstimme blickt ZOiS-Direktorin Gwendolyn Sasse zurück auf das Treffen in Kiew.

Welche Bedeutung hatte die Ukraine in der Außenpolitik von Bundeskanzlerin Merkel?

Merkel hat die Ukraine zu einer Priorität der deutschen Politik gemacht. Sie war die treibende Kraft hinter dem Versuch, im Normandie-Format mit Frankreich, der Ukraine und Russland den Krieg in der Ostukraine zu deeskalieren. Das 2015 ausgehandelte Minsker Abkommen ist immer noch das einzige bestehende Verhandlungsformat, auch wenn die Umsetzung unrealistisch geworden ist. Die umfassende Unterstützung für den internen Reformprozess in der Ukraine, zum Beispiel den Dezentralisierungsprozess, zeigt ebenfalls, dass sie die Ukraine nicht nur durch das Prisma Russland sieht. Allerdings ist Merkels Name auch eng mit Nord Stream 2 verbunden. Sie hat es immer wieder als rein wirtschaftliches Projekt bezeichnet – trotz seiner sicherheitspolitischen Konsequenzen für die Ukraine.

Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Selenskyj sprachen bei ihrem Treffen auch über Nord Stream 2. Wie geht es mit diesem umstrittenen Projekt weiter?

Dem Treffen war seine kühle Atmosphäre deutlich anzumerken. Auch bei der gemeinsamen Pressekonferenz fand Selenskyj sehr klare Worte, um die deutsche Nord Stream 2-Politik zu kritisieren. Merkel hatte sich für einen Teil-Erhalt des russischen Gastransits durch die Ukraine bis 2024 und eine längerfristige Perspektive eingesetzt. In der Ukraine steht man russischen Zusagen, gleich welcher Art, jedoch verständlicherweise skeptisch gegenüber. Merkel hatte offensichtlich nach ihrer Reise nach Moskau keine neue Perspektive im Gepäck. Die Pipeline steht vor der Vollendung; danach geht es möglicherweise um an die Nutzung geknüpfte Konditionen und Sanktionen. Diese bleiben vorerst unpräzise und bräuchten nach der Bundestagswahl ein Momentum aus Berlin.

Heute, einen Tag nach dem Treffen mit Selenskyj, findet die Gründungsveranstaltung der Krim-Plattform statt, an der auch die deutsche Regierung teilnimmt. Worum geht es bei der Krim-Plattform und welche Ziele verbindet die Ukraine damit?

Die Krim-Plattform ist eine Initiative der Selenskyj-Administration. Die Plattform versteht sich als internationales Konsultations- und Koordinationsforum auf der Ebene von Regierungen, Parlamenten und Expert*innen. Sie soll neue Aufmerksamkeit auf die Annexion von 2014 und ihre Folgen lenken und hat die Re-Integration der Krim in den ukrainischen Staat zu ihrem langfristigen Ziel erklärt. Die Krim-Thematik benötigt in der Tat eine größere internationale Öffentlichkeit. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich Selenskyj diesem Thema zu einem Zeitpunkt widmet, an dem seine Wahlversprechen – die Korruptionsbekämpfung und die Beilegung des Kriegs in der Ostukraine – schleppend bis gar nicht vorankommen. Er arbeitet somit mit dieser Initiative auch an seinem eigenen Profil.

Expertin

Wissenschaftliche Direktorin
Einstein-Professorin für Vergleichende Demokratie- und Autoritarismusforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin