ZOiS Spotlight 18/2025

Wie Russland die Ernährungssicherheit in Afrika als Waffe einsetzt

Von Pavlo Martyshev 09.10.2025

Russlands Getreideexporte haben den Hunger in vielen afrikanischen Staaten nicht gemildert – im Gegenteil. Der Kreml nutzt den Getreidehandel, um sich die Loyalität autokratischer Regime zu sichern und seinen geopolitischen Einfluss auszuweiten. Die „Getreidediplomatie der Ukraine folgt einer ganz anderen Logik.

Landwirtschaftliche Weizenernte mit einem Mähdrescher auf einem Feld
Viele afrikanische Länder sind auf Weizenimporte aus der Schwarzmeerregion angewiesen. Russland nutzt diese Abhängigkeit aus. Imago / Pond5 Images

Russlands umfassende Invasion der Ukraine hat verheerende Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit des afrikanischen Kontinents. Im Zeitraum von 2022 bis 2024 stieg die die Zahl der hungernden Menschen von 272,9 auf 306,5 Millionen. Dieser Hunger steht in direktem Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, denn die Schwarzmeerregion ist seit langem eine wichtige Getreidequelle für Afrika. Im Jahr 2020 importierten mindestens 15 afrikanische Länder mehr als die Hälfte ihres Weizens aus der Ukraine oder Russland. Durch die Blockade der ukrainischen Häfen vonseiten Russlands in den sechs Monaten nach dem Angriff auf die Ukraine gingen die ukrainischen Getreideexporte drastisch zurück. Zwar wurden diese Exporte nach Aufhebung der Blockade allmählich wieder aufgenommen, doch in vielen afrikanischen Ländern hat sich die Ernährungssicherheit trotz eines seit 2023 zu verzeichnenden Abwärtstrends bei den weltweiten Getreidepreisen weiter verschlechtert. Einer der Gründe ist, dass Russland den Getreidehandel mit Afrika nutzt, um seine geopolitischen Ziele zu verfolgen.

Russlands „Rückkehr nach Afrika”

Russlands Anteil an den gesamten Weizenimporten Afrikas ist in den letzten zwei Jahrzehnten von 13 auf 32 Prozent gestiegen. Der Anstieg der ukrainischen Weizenexporte nach Afrika war im gleichen Zeitraum mit 5 bis 8 Prozent deutlich geringer. Russland hat seine Weizenexporte geografisch über den gesamten Kontinent ausgebreitet, vor allem in der Subsahara-Region. Es nutzte die Blockade der ukrainischen Häfen im Jahr 2022, um seine Dominanz auf den afrikanischen Getreidemärkten weiter auszubauen. Diese Expansion muss im Zusammenhang mit der „Rückkehr Russlands nach Afrika” gesehen werden, nachdem sich die Beziehungen zum Westen nach Putins „Münchner Rede” im Jahr 2007 zu verschlechtern begannen. Bei der Erneuerung seiner diplomatischen Beziehungen zu afrikanischen Staaten baute Russland auf dem Erbe des sowjetischen Einflusses auf dem Kontinent während des Kalten Krieges auf. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Jahr 2014 hat die Präsenz Russlands in Afrika deutlich zugenommen. Die Wagner-Gruppe – eine kremltreue Söldnertruppe, die im selben Jahr von Jewgeni Prigoschin gegründet wurde – knüpfte enge politische, wirtschaftliche und militärische Beziehungen auf dem Kontinent. In Ländern wie Angola, der Demokratischen Republik Kongo und dem Sudan trug sie dazu bei, undemokratische Regime im Austausch gegen wertvolle natürliche Ressourcen zu stützen. Nach der Meuterei der Gruppe in Russland im Juni 2023 und dem Tod Prigoschins unter mysteriösen Umständen übernahm die russische Regierung die milliardenschweren Operationen der Gruppe in Afrika. Seitdem sind die Beziehungen Russlands zu den Ländern, in denen Wagner früher tätig war, noch stärker geworden.

Nirgendwo ist der Zusammenhang zwischen den Aktivitäten von Wagner und der sich verschlechternden Ernährungssicherheit so deutlich zu sehen wie in Mali. Seit 2021 unterstützt das Unternehmen die Militärjunta, die durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen ist. Söldner beteiligten sich aktiv an Operationen gegen Rebellen, lieferten Waffen und bildeten malische Soldaten aus. Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zeigen, dass sich zwischen 2021 und 2023 der Anteil unterernährter Menschen im Land fast verdoppelt hat und die Zahl der hungernden Menschen um 81 Prozent gestiegen ist. Der Anstieg dieser Indikatoren für ganz Afrika war im gleichen Zeitraum mit 6 bzw. 11 Prozent deutlich geringer.

Russlands wachsender Anteil an den Weizenimporten afrikanischer Staaten (2005–2024)

2005–2013

Karten vom Autor unter Verwendung von Daten der ITC Trade Map erstellt.

2014–2024

Getreidelieferungen, die den Hunger verschärfen

Warum hat sich die Ernährungssicherheit in vielen afrikanischen Ländern, die auf russische Getreideimporte angewiesen sind, verschlechtert? Wie die Karte unten zeigt, besteht seit 2014 ein Zusammenhang zwischen einem relativ hohen Anteil russischer Weizenimporte und einem niedrigen Wert auf dem Demokratieindex. Wie zuvor die Wagner-Gruppe pflegt Russland Beziehungen zu autokratischen Regierungen, oft in politisch instabilen Kontexten, in denen es keine Politik zugunsten der ärmeren Bevölkerung oder Maßnahmen seitens der Regierungen gibt, die eine faire Verteilung der Lebensmittelexporte gewährleisten. Staaten mit autokratischen Regierungen sind auch anfälliger für Unruhen als Folge von Lebensmittelknappheit. Dass viele Regime bei der Versorgung mit Nahrungsmittel von Russland abhängig sind, hat außerdem weitreichendere geopolitischen Auswirkungen: Afrikanische Länder neigten dazu, sich bei Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilten, der Stimme zu enthalten oder ihr Veto einzulegen.

Anteile russischer Weizenimporte an den Gesamtweizenimporten afrikanischer Länder und niedrige Werte im Demokratieindex (2014–2024)

Karten vom Autor unter Verwendung von Daten aus der ITC Trade Map und der Economist Intelligence Unit erstellt.

All dies zeigt, wie Russland die Anfälligkeit vieler afrikanischer Staaten in Bezug auf die Ernährungssicherheit für seine eigenen geopolitischen Zwecke ausnutzt. Der Getreidehandel ist zu einer Waffe des Kremls geworden, mit der er afrikanische Länder auf seine Seite zieht, den westlichen Einfluss in der Region schwächt und sich wertvolle natürliche Ressourcen als Puffer gegen westliche Sanktionen sichert. Dieser Prozess wurde noch dadurch unterstützt, dass sich viele multinationale Rohstoffhändler aus dem russischen Getreideexportmarkt in den letzten Jahren zurückgezogen haben. Große staatliche Unternehmen haben diese Lücke gefüllt. Sie kontrollieren nun wichtige Eisenbahn- und Hafeninfrastrukturen, wodurch der Kreml seine Kontrolle über die Getreideströme ausbauen und die Exportgeografie mit einem wachsenden Fokus auf BRICS+-Länder gestalten kann.

Die „Getreidedplomatie”-Offensive der Ukraine

Die ukrainischen Getreideexporte nach Afrika folgen einer ganz anderen Logik. Während Russland die Getreideabhängigkeit ausnutzt, um sich die Unterstützung der afrikanischen Eliten für die Position des Kremls in der UNO zu sichern, konzentriert sich die Ukraine seit 2022 auf die Bekämpfung des Hungers in Afrika. Als Reaktion auf die Expansion Russlands auf dem afrikanischen Getreidemarkt startete sie das humanitäre Programm „Getreide aus der Ukraine” unter der Leitung des Welternährungsprogramms der UNO. Als Instrument der „Getreidediplomatie“ zwischen der Ukraine und dem Globalen Süden ist es das Gegenteil von Russlands Instrumentalisierung von Getreide. Die Initiative liefert humanitäre Nahrungsmittelhilfe an Länder in Afrika und im Nahen Osten, wobei der Schwerpunkt auf afrikanischen Ländern mit geringer bis mäßiger Ernährungssicherheit liegt. Seit 2022 wurden mehr als 16 Millionen Menschen dadurch unterstützt. Obwohl die Ukraine auf dem afrikanischen Getreidemarkt eine viel kleinere Rolle spielt als Russland, leistet sie einen weitaus größeren Beitrag zur Ernährungssicherheit und bietet eine Alternative zu den russischen Getreideexporten, die einige afrikanische Länder im Einflussbereich des Kremls halten.


Dr. Pavlo Martyshev ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kyiv School of Economics (Ukraine) und Fellow im Kompetenzverbund Interdisziplinäre Ukrainestudien Frankfurt (Oder) – Berlin (KIU).