Wem gehört die (schwierige) Vergangenheit in Polen?
Die nationalistische PiS-Partei in Polen ist zwar nicht mehr an der Regierung, doch ihre spaltende Erinnerungspolitik setzt sich unter dem neuen Präsidenten Nawrocki fort. Einige polnische und deutsche Initiativen zum Gedenken an die Nachkriegslager für Deutsche stellen dagegen Versöhnung vor Reparationen.
Als Karol Nawrocki, Historiker und ehemaliger Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), 2025 Präsident Polens wurde, machte er in seinen ersten öffentlichen Äußerungen deutlich, dass die „Geschichtspolitik” eines der wichtigsten Instrumente der politischen Kommunikation des Staates im In- und Ausland bleiben würde. Dieser Ansatz entspricht seit langem der Linie der rechtsnationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die ihn nominiert hatte. Im Mittelpunkt steht dabei ein Narrativ, das sich auf Kriegsreparationen, Nationalstolz und die „Verteidigung der polnischen Würde” konzentriert, während die eher ambivalenten Aspekte der gemeinsamen polnisch-deutschen Vergangenheit im Schatten bleiben. Ein Beispiel dafür sind die Lager für Deutsche in Polen, die zwischen 1945 und 1950 von den polnischen kommunistischen Behörden eingerichtet wurden – oft an den Standorten ehemaliger deutscher Konzentrationslager. Diese Lager, die von Gewalt und hoher Sterblichkeit geprägt, aber nicht auf systematische Vernichtung ausgelegt waren, gehören zu Polens schwierigem Nachkriegserbe.
Geschichte als Instrument der Machtpolitik
Die blinden Flecken im Umgang mit diesem Erbe wurden bei Nawrockis Antrittsbesuch in Berlin im September dieses Jahres deutlich, als er die Forderung nach Kriegsreparationen von Deutschland wiederholte – eine Forderung, deren Höhe eine von der PiS eingesetzte Kommission auf 1,3 Billionen Euro beziffert. Die Rhetorik des Präsidenten, den die Süddeutsche Zeitung als Boten mit einer „alten Rechnung” beschrieb, belebte einen in der polnischen Politik vertrauten Topos wieder: die Nation als moralisches Opfer der Geschichte. Bei Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Friedrich Merz drängte Nawrocki auch auf die Rückgabe von Kulturgütern aus Kriegszeiten und verband dabei Erinnerungspolitik mit Appellen an Gerechtigkeit und Nationalstolz.
Diese Strategie ist vor allem im eigenen Land wirksam. Sie spricht Emotionen an, hält ein Narrativ kollektiver Kränkung aufrecht und stärkt die Legitimität des Staates durch eine moralisierende Sprache. Gleichzeitig schränkt sie jedoch den Raum für öffentliches Gedenken ein: Was nicht in den heroischen und martyrologischen Rahmen passt – wie beispielsweise die Geschichte der Nachkriegslager für Deutsche – wird verschwiegen, lokal begrenzt oder seiner moralischen Komplexität beraubt.
Jenseits offizieller Narrative
Was aber kommt zum Vorschein, wenn man über die staatliche Version der Vergangenheit hinausblickt und den Stimmen auf beiden Seiten der polnisch-deutschen Grenze Gehör schenkt? Forschungen zur Erinnerung an die Nachkriegslager in Świętochłowice, Łambinowice und Potulice (2021–2023) zeigen, dass die Erinnerung dort weiterlebt, wo offizielle Narrative verstummen: unter Nachkommen der Überlebenden, Mitgliedern der deutschen Minderheit, Vertriebenenverbänden in Deutschland und Organisationen in der Grenzregion Schlesien, wo sich viele der Lager befanden.
In Polen wird diese Episode unter dem Begriff „Oberschlesische Tragödie” zusammengefasst, einer Welle von Nachkriegsrepressionen, die sich hauptsächlich gegen Deutsche oder als solche wahrgenommene Personen richtete und Verhaftungen, Deportationen, Zwangsarbeit und Internierung in Lagern umfasste. In Deutschland wiederum wird sie als Teil der Vertreibungswelle von Deutschen aus den ehemaligen deutschen Gebieten in Mittel- und Osteuropa nach dem Krieg eingeordnet.
Lokale Gruppen in Oberschlesien haben eine Sprache des Gedenkens entwickelt, die eine Brücke zwischen polnischer und deutscher Perspektive, Opfer und Täter, Staat und Individuum schlägt. In Łambinowice beispielsweise findet auf dem Friedhof für die Opfer des dortigen Arbeitslagers eine jährliche Gedenkfeier statt, die von der lokalen deutschen Minderheit gemeinsam mit polnischen Partnern organisiert wird. Eine ähnliche Veranstaltung in Potulice wurde in den 1990er Jahren von einem polnischen Überlebenden des ehemaligen deutschen Konzentrationslagers und einem deutschen Überlebenden des darauffolgenden Nachkriegslagers ins Leben gerufen. An diesen Gedenkfeiern nehmen Nachkommen der Lageropfer, Mitglieder der deutschen Minderheit, schlesische Gruppen, die lokale Gemeinschaft und gelegentlich auch Vertreter*innen von Vertriebenenverbänden in Deutschland und sogar polnische Abgeordnete teil. Bottom-up-Praktiken wie diese zeigen, dass selbst wenn der offizielle Diskurs solche Gesten ablehnt, Erinnerung nationale Grenzen überschreiten und eine Landschaft des Gedenkens offenbaren kann, die in Bezug auf Reichweite, emotionale Tiefe und Grad der Politisierung vielfältig ist.
Die Grenzen der Empathie
Das kollektive Gedächtnis Polens beruht nach wie vor auf einer Hierarchie des Leids, in der das polnische Trauma als zentraler moralischer Bezugspunkt dient. Das Leid der deutschen Zivilbevölkerung in dieses Deutungsmuster einzubeziehen, bleibt politisch und emotional umstritten. In Deutschland hingegen verhindert die Norm der historischen Verantwortung oft eine offene Auseinandersetzung mit dem deutschen Nachkriegsleid. Das Ergebnis ist ein schmaler Korridor der Empathie – breit genug für symbolische Gesten, aber zu schmal für einen echten Dialog über gemeinsame und verflochtene Vergangenheiten.
Das Nebeneinander von staatlicher und gesellschaftlicher Erinnerung offenbart zwei gegensätzliche Logiken. Die erste, die staatliche Erinnerungspolitik, ist vertikal und selektiv: Geschichte wird genutzt, um zu bestimmen, wer zur moralischen Gemeinschaft der Nation gehört. Die zweite, die dialogische Erinnerung, entsteht von unten – in den Praktiken lokaler Gemeinschaften, von Minderheitenorganisationen und kulturellen Institutionen – und fördert eher Koexistenz als Konkurrenz, eher Empathie als Hierarchie.
Diese Spannung ist heute eine der zentralen Dimensionen der polnisch-deutschen Beziehungen. Sie erklärt, warum Streitigkeiten über Reparationen oder historische Verantwortung selten zu einer Versöhnung führen, denn diese bewegen sich eher im Bereich der symbolischen Macht und nicht des gegenseitigen Verständnisses.
Jenseits selektiver Erinnerung
Achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt die Erinnerung an die Nachkriegslager für Deutsche in Polen unvollständig und wird in Archiven, lokalen Gedenkstätten und den Erinnerungen einer schwindenden Zahl von Zeitzeug*innen bewahrt. Dennoch prägt sie weiterhin die Wahrnehmung der Vergangenheit und das Erleben von Trauma. In der aktuellen Phase der Erinnerungspolitik unter Präsident Nawrocki strebt der Staat keine Amnesie an, sondern eine größere Kontrolle darüber, was erinnert wird und auf welche Weise.
Die Aufgabe der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft besteht daher nicht darin, ein Narrativ durch ein anderes zu ersetzen, sondern den Raum zu erweitern, in dem Erinnerung geteilt anstatt vereinnahmt wird. Die entscheidende Frage für die kommenden Jahre ist nicht, ob Polen und Deutschland unterschiedlich erinnern, sondern ob sie lernen können, gemeinsam zu erinnern.
Magdalena Lemańczyk ist Assistenzprofessorin für Soziologie und stellvertretende Direktorin für Forschung am Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften (ISP PAN). Ein Buch über die Nachkriegslager der Deutschen in Polen, das sie gemeinsam mit Piotr Madajczyk und Paweł Popieliński verfasst hat, soll 2026 unter dem Titel „Breaking the Conspiracy of Silence: The Politics, Memory, and Commemoration of the Postwar Camps for Germans in Poland (1945–1949)“ bei Routledge erscheinen.