ZOiS Spotlight 16/2025

Stille Frontlinie: Wie der Krieg die Natur zerstört

Von Rebecca Hirschfeld 10.09.2025

Von Wasserverschmutzung und Bodenverödung bis hin zur Zerstörung von Ökosystemen – Kriege wie Russlands Angriff auf die Ukraine haben schwerwiegende Folgen für die Natur, die Generationen überdauern und die Gesundheit und Lebensgrundlage ganzer Bevölkerungsgruppen beeinträchtigen können.

Ein Mann mit einem Ruder steht auf einem Boot, das durch eine überflutete Straße fährt
Überflutete Straßen in Cherson nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms 2023 © IMAGO / Pond5 Images

Am 6. Juni 2023 verfolgte die Weltöffentlichkeit, wie der Kachowka-Damm am Dnipro in der Ukraine brach. Die unmittelbaren Bilder waren dramatisch: überflutete Städte, flüchtende Familien, weggespülte Infrastruktur. Doch hinter den Schlagzeilen kam eine langsamere Katastrophe zum Vorschein. Riesige Wassermengen rissen Industriegebiete und Ackerland mit sich und spülten giftige Chemikalien, Schwermetalle und Öl in die Dnipro-Bug-Mündung und ins Schwarze Meer, wodurch wichtige Lebensräume verschmutzt und unzählige Wasserlebewesen getötet wurden.

Die ökologischen Folgen des Dammbruchs waren beträchtlich: Feuchtgebiete, Flussufer und Meeresökosysteme wurden dauerhaft geschädigt, und die von diesen Ressourcen abhängigen Gemeinden gerieten in Not. Auch wenn es Jahre dauern wird, bis die gesamten Kosten abgeschätzt werden können, ist der Dammbruch eine große ökologische Katastrophe, deren Folgen noch lange nach dem Rückgang des Hochwassers zu spüren sein werden.

Die Umwelt: das unsichtbare Opfer des Krieges

Wenn Menschen an Krieg denken, stellen sie sich zerstörte Städte, geflüchtete Menschen und zerstörte Lebensläufe vor. Aber die Auswirkungen von Konflikten gehen weit über unmittelbare Opfer und soziale Verwerfungen hinaus. Neben den menschlichen Opfern hat Krieg noch eine weitere tiefgreifende, aber oft unterschätzte Folge: direkte und indirekte Umweltschäden. Diese Zerstörung kann verschiedene Formen annehmen, dazu gehören Entwaldung, Bodendegradation, Wasserverschmutzung, Schäden an Nutztieren, Schädigung von Ökosystemen und Verlust der biologischen Vielfalt. Die Narben, die in der Natur hinterlassen werden, können über Generationen hinweg bestehen bleiben und die Gesundheit, die Lebensgrundlagen und die Zukunft ganzer Bevölkerungsgruppen prägen.

Die Umweltauswirkungen von militärischen Konflikten sind ebenso vielfältig wie tiefgreifend und treten über Zeit und Raum hinweg mit Folgen auf, die über Schlachtfelder hinausgehen. Einige Effekte sind unmittelbar und sichtbar, während andere sich langsam entfalten und verborgen bleiben. Bestimmte Auswirkungen erweisen sich als irreversibel und verändern ökologische Systeme für Generationen grundlegend.

Die Zerstörung von Ökosystemen ist eine der deutlichsten Formen von Umweltschäden in Kriegszeiten. Brände, Explosionen und Truppenbewegungen zerstören systematisch Lebensräume, fragmentieren Landschaften und stören wichtige Migrationsrouten. In der Ukraine wurden mehr als 12.000 Quadratkilometer Naturschutzgebiete in aktive Kriegsgebiete verwandelt, und durch Beschuss ausgelöste Brände haben über 100.000 Hektar Wald und Grasland zerstört. Diese Zerstörung führt zum Verlust seltener Arten, zur Vernichtung jahrzehntelanger Naturschutzarbeit und zur Freisetzung von Kohlenstoff und Feinstaub in die Atmosphäre, wodurch die Luftqualität in der gesamten Region verschlechtert wird.

Die Verschmutzung von Böden und Gewässern ist vielleicht die tückischste Form von Umweltschäden in Kriegszeiten, da diese Auswirkungen oft unsichtbar bleiben und dennoch tiefgreifende langfristige Schäden verursachen. Durch Explosionen gelangen giftige Substanzen wie Schwermetalle, Kraftstoffrückstände und manchmal auch abgereichertes Uran in die Umwelt. Beschädigte Industrieanlagen und Kraftstoffdepots lassen Chemikalien in Flüsse und Grundwasser austreten, wo sie die Trinkwasserversorgung verschmutzen und Wasserlebewesen töten.

In der Ukraine sind die Böden mit Schwermetallen und Sprengstoffrückständen verseucht worden, was Ackerland für die Landwirtschaft unsicher oder unbrauchbar macht und eine der wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes gefährdet. Gleichzeitig gelangen durch bombardierte Industrieanlagen und zurückgelassene Militärausrüstung weiterhin giftige Chemikalien in Flüsse und Meere, was eine anhaltende Gefahr für aquatische Ökosysteme und das gesamte Schwarze Meer darstellt und grenzüberschreitende Umweltauswirkungen hat, die noch Jahrzehnte andauern können.

Die Folgen von Kriegen reichen durch die langfristige Verschmutzung weit über die aktiven Kriegsphasen hinaus. Landminen, nicht explodierte Kampfmittel und chemische Rückstände bleiben nach Beendigung der Kämpfe auf unbestimmte Zeit zurück und stellen eine Gefahr für die Umwelt dar, die die Erholung der Ökosysteme und die Wiederansiedlung von Menschen verhindert. Nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen bedroht die weit verbreitete Landminenverseuchung in der Ukraine derzeit Millionen von Menschen und könnte Jahrzehnte dauern, bis sie beseitigt ist, was zur Folge hat, dass große Gebiete praktisch nicht mehr produktiv genutzt werden können.

Krieg führt auch zu massiven Vertreibungen nicht nur von Menschen, sondern auch von Tieren, was sekundäre Umweltbelastungen verursacht, die die direkten Auswirkungen des Konflikts noch verstärken. Indem Wildtiere gezwungen werden, ihre gewohnten Nistplätze und Lebensräume zu verlassen, stört der Konflikt Fortpflanzungszyklen und Wanderungsmuster, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben. Geflüchtete Menschen lassen sich oft in ökologisch empfindlichen Gebieten nieder, was die ohnehin schon belasteten Ökosysteme zusätzlich unter Druck setzt und zu einem Wettbewerb um begrenzte natürliche Ressourcen führt. Diese Vertreibung hat einen Dominoeffekt, bei dem die Umweltschäden über die unmittelbaren Konfliktgebiete hinausgehen.

Diese Muster der Umweltzerstörung sind nicht nur bei aktuellen Konflikten zu beobachten, sondern ein wiederkehrendes Merkmal der modernen Kriegsführung. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist nur das jüngste Kapitel in einer langen Geschichte von Umweltzerstörung durch militärische Konflikte. Während des Golfkriegs 1990–1991 setzten sich die sich zurückziehenden irakischen Streitkräfte kuwaitische Ölquellen in Brand, wodurch riesige giftige Rauchwolken entstanden, die den Boden und das Wasser in der gesamten Region verseuchten und die Luftqualität über Jahre hinweg beeinträchtigten. Ähnlich war es während des Kosovo-Kriegs 1998–1999, als NATO-Luftangriffe auf Industrieanlagen in Serbien gefährliche Chemikalien in die Donau freisetzten, was schädliche Folgen für die Wasserversorgung und die Artenvielfalt in einem großen Gebiet hatte.

Langfristige Folgen

Umweltzerstörung während eines Krieges ist mehr als nur ein unglücklicher Nebeneffekt: Sie ist ein Auslöser für anhaltendes menschliches Leid. Durch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden führt Krieg zu schweren Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Beim Brechen des Kachowka-Staudamms in der Ukraine im Jahr 2023 gelangten zum Beispiel Maschinenöl, Düngemittel und schätzungsweise 83.000 Tonnen Schwermetalle in die flussabwärts gelegenen Gebiete, wodurch die Bewohner einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt waren. Giftige Kriegsrückstände können ganze Regionen für Jahrzehnte gefährlich machen. Nicht nur das, auch die Lebensmittelversorgungsketten reagieren sehr empfindlich auf die ökologischen Folgen von Kriegen. Verschmutzte Böden und Gewässer stören die Landwirtschaft und Fischerei, was zu Ernährungsunsicherheit und wirtschaftlichen Schwierigkeiten für ländliche Gemeinden führt.


Rebecca Hirschfeld ist Politik- und Umweltwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf Umweltschäden in Konflikten und angehende Doktorandin am King’s College London.