ZOiS Spotlight 41/2021

Probleme internationaler Friedensmissionen in Eurasien

Von Nina Lutterjohann 17.11.2021
Donezk, Ukraine. Mitglieder der Sonderbeobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). IMAGO / Russian Look

Nach dem Global Peace Index 2021 hat der Frieden in vielen Teilen der Welt nicht zugenommen, sondern sogar um 0,07 Prozent abgenommen, und weist somit einen kontinuierlichen Trend auf. Für die Wahrung des internationalen Friedens zeichnen die Vereinten Nationen (VN) verantwortlich, deren Engagement in zahlreichen Konflikten weltweit wächst, nicht jedoch in Eurasien.

Mehr Aufgaben, mehr Kritik

Bei den Friedensoperationen der VN geht es darum, durch internationales Recht die Zivilbevölkerung in Konfliktgebieten zu schützen, Kämpfer zu entwaffnen und die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Dass der Aufgabenbereich der Weltinstitution mit ihren 193 Mitgliedstaaten stetig wächst, zeigt sich nicht zuletzt am personellen Aufwuchs. Auch greifen die VN zunehmend während einer Konfliktsituation ein, statt in den gesellschaftlichen Aufbau danach, ihrer eigentlichen Hauptrolle. Dies zeigt, dass die Krisenprävention akuter und gefragter wird. In Kooperation mit der Afrikanischen Union (AU) sind die VN mit über 100.000 Soldat*innen im Sudan und der Demokratischen Republik Kongo (DRC) vertreten. Im Jahr 2016 lagen 94 Prozent der Missionen in Afrika sowie im Nahen Osten.

Bei so viel globaler VN-Präsenz stellt sich die Frage, weshalb die internationale Gemeinschaft nicht auch in den eurasischen Konflikten mehr Engagement zeigt.  Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte in seiner Rede zur 76. Generalversammlung der VN am 23. September 2021 dazu auf. Er kritisierte die internationale „Untätigkeit“ im Hinblick auf die russische Aggression gegenüber der Ukraine und sprach von den VN als einer überholten Institution, die längst reformiert werden müsse: Sie sei ein „Superheld im Ruhestand“, der seine Fähigkeiten längst vergessen habe. Wenig Gehör findet hierbei die unterstützende Rolle der verschiedenen VN-Nebenorganen, die sich vor Ort um die Menschenrechtslage und den humanitären Aufbau des Landes kümmern.  

Mehr Einsatz erwünscht

Die Botschaft ist klar: Trotz aller Kritik, die friedensstiftende Arbeit der VN ist gewünscht. Warum haben sie also nicht überall dort ein Mandat, wo sie gebraucht werden? In den langwierigen eurasischen Konflikten findet sich in der Tat nur ein einziges, mittlerweile beendetes VN-Mandat.

Im August 1993 hatte eine im Sicherheitsrat der VN verabschiedete Resolution eine Beobachtermission in Georgien und seinen Konfliktgebieten Südossetien und Abchasien  auf den Weg gebracht, die jedoch 2009 durch das russische Veto beendet wurde. Tatsächlich sind es andere Organisationen, die in den Konflikten Osteuropas eine aktive Rolle einnehmen, allen voran die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Zwar ist die OSZE-Mission in Georgien ebenfalls seit 2008 beendet, jedoch ist die Organisation in einer Reihe weiterer, zum Teil benachbarter Konflikte präsent – ein Umstand, der nicht zuletzt zu Komplikationen führen kann.

Mandats-Chaos?

Ein Beispiel hierfür sind die Spannungen, die es vor Kurzem in der Minsk Group des OSZE-Mandats für den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Nagorno-Karabkah gab. Armenien legte bis Ende März 2021 sein Veto gegen die Verlängerung des OSZE-Mandats in der Ukraine ein, um den Einsatz der Organisation im dortigen Konflikt zu beenden, der aus Sicht Armeniens unverhältnismäßig große Aufmerksamkeit erhielt. Dieser Schachzug bestätigt die generelle Vertrauensschwäche in äußere Beobachter. In der Tat war es das durch Russland ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen am 9. November 2020, das den Konflikt um Nagorno-Karabakh zumindest militärisch beendete und nicht die OSZE oder die Vereinten Nationen.

Auch eine Überfokussierung von zu vielen Akteuren kann die Beilegung von Konflikten erschweren. Das zeigt sich etwa am Ukraine-Konflikt mit seinen vielfältigen Kommunikationskanälen, unter anderem in Kiew, Minsk, New York, Wien, Genf, Brüssel, Paris, Berlin und Washington, und dem Einsatz von Diplomat*innen, die schon in anderen postsowjetischen Konflikten vermittelten. Allein die Aufzählung der Orte macht deutlich, dass Absprachen und Zuständigkeiten erschwert werden können. Die Diskussion um eine mögliche Involvierung der VN ist ein Beispiel dafür. Während die Ukraine den Einsatz der VN zu Beginn befürwortete, bemühte sich erst ein paar Jahre später Russland im Sicherheitsrat um die Errichtung einer VN-Mission gemeinsam mit der OSZE, was auf die Ablehnung, unter anderem, der USA und Deutschlands stieß. Ein Jahr danach zirkulierte das vom damaligen Ukraine-Sondergesandten der OSZE Martin Sajdik entworfene Diskussionspapier, das ebenso zu einer gemeinsamen Mission der beiden Organisationen aufrief. Dieser Vorstoß wurde dann jedoch allgemein abgelehnt. 

Die Realität von Konfliktdynamiken

Ein weiteres Problem ist, dass die spezifischen Ausrichtungen der Mandate zur Konfliktlösung mitunter von der Realität überholt werden. Die Ukraine-Mission der OSZE war zu Beginn nicht dafür vorgesehen und ausgestattet, das Ausmaß eines militärischen Konfliktes und Krieges zu bewältigen. Die bewaffneten Unruhen in der Südostukraine überforderten auch die politischen Abkommen, beispielsweise das Kiewer Abkommen vom Februar 2014, das unter anderem vorgezogene Präsidentschaftswahlen und ein Übergangskabinett mit Mitgliedern aus der Opposition vorsah, oder die Genfer Erklärung vom April 2014, die ein Versuch der USA war, Russland an den Verhandlungstisch zu holen und der OSZE die Vermittlerrolle zu geben.

Konsens statt Kontrolle

Bei der Langlebigkeit der Mandate stellt sich trotz einiger positiver Entwicklungen und unzähliger Abkommen also die Frage nach deren Effizienz bei der politischen Lösung von Konflikten. Zudem besteht stets die Gefahr der Instrumentalisierung der Organisationen durch die Interessen der Konfliktparteien und der fehlenden Kontrolle. Dass die Vereinten Nationen bei eurasischen Konflikten eine geringfügige Rolle spielen, minimiert die Möglichkeit, Strategien zur Konfliktlösung auf dieser Ebene zu diskutieren. Der Ukraine-Konflikt wird zwar regelmäßig von Russland auf die Tagesordnung gesetzt, doch könnte dies auch dazu dienen, zu demonstrieren, dass Moskau sich nicht als Akteur sieht, denn eine Konfliktpartei darf nicht selbst an Gesprächen im Sicherheitsrat teilnehmen. Die mangelnde Schlagkraft der VN in heutigen Konflikten lässt einmal mehr die Einigung zu ihrer Gründung wie ein Wunder erscheinen. Spannend bleibt abzuwarten, welches Gewicht der Einsatz der OSZE und der EU als regionale Organisationen und Institutionen in den Konflikten Eurasiens haben werden. 


Nina Lutterjohann war bis vor kurzem Gastwissenschaftlerin im Rahmen eines Post-Doc-Stipendiums des DAAD am Harriman Institute der Columbia University in New York. Derzeit erforscht sie die geopolitischen und kulturellen Implikationen, Wahrnehmungen und Diskurse von Langzeitkonflikten und De-facto-Entitäten im postsowjetischen Raum. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Konfliktlösung, Identitätsbildung, Migration und Radikalisierung/Extremismus.