ZOiS Spotlight 44/2019

Das Regime Lukaschenka: in sommerlichen Jugendcamps verwurzelt?

Von Kristiina Silvan 27.11.2019
Jugendcamp in Belarus. Kristiina Silvan

Für die belarussische Führung ist jetzt die Steuerung der politischen Ansichten und des öffentlichen Engagements junger Menschen von besonderer Bedeutung, da das Land sich in einer geopolitisch kritischen Zeit und zwischen zwei Wahlen befindet. Welchen Beitrag leisten junge Menschen für die Bestrebungen der Regierung, diesen Urnengängen Legitimität zu verleihen und sie reibungslos und berechenbar ablaufen zu lassen? 

Aus spielerischer Erholung werden politische Ressourcen

Die Sommerlager des BRSM sind gemeinsame Campingfahrten für Aktivist*innen der Organisation und dauern gewöhnlich drei Tage. Es gibt zwar einige Unterschiede zwischen den Lagern, die meisten bestehen aber aus Erholungsaktivitäten zum Teambuilding. Gewöhnlich treten die Teams im spielerischen Wettkampf gegeneinander an, im Sport oder bei künstlerischen Aktivitäten. Neben den Mannschaftswettbewerben wird – als weiterer wichtiger Bestandteil – am Lagerfeuer Gitarre gespielt und gesungen.

Die Sommerlager sind zwar vor allem zur Erholung gedacht, erfüllen aber auch einen ernstzunehmenden politischen Zweck. Der BRSM wurde 2002 mit dem ausdrücklichen Ziel gegründet, die Unterstützung der Jugend für Lukaschenka sicherzustellen. Der Verband hat allerdings bei jungen Belaruss*innen nie eine echte, weitreichende Popularität genossen. Eine neue Studie des ZOiS belegt, dass die Mehrheit der jungen Menschen dem BRSM notgedrungen beitreten und nicht aus freien Stücken. Die Kombination aus bevormundender patriotischer Rhetorik, einer streng hierarchischen Struktur, die nur minimal Initiativen von unten zulässt, und einer expliziten Bindung an einen Mann, der als letzter Diktator Europas bezeichnet wurde, lässt die Organisation zum Gegenstand des Spottes werden, besonders unter Universitätsstudierenden.

Gleichwohl kann der BRSM trotz des gewissen Stigmas, mit dem eine aktive Mitgliedschaft verbunden ist, an den Universitäten Erfolge verzeichnen. Trotz der häufig verpflichtenden Mitgliedschaft, ist eine nicht unerhebliche Minderheit junger Aktivist*innen – nach Beobachtungen der Autorin ist es etwa ein Dutzend an jeder Fakultät – aufrichtig und freiwillig in der Organisation engagiert. Belohnungen für den Aktivismus sind ein Teil der Geschichte: Aktivist*innen dürfen Seminare und Vorlesungen verpassen, um Veranstaltungen zu organisieren und zu besuchen. Und zumindest in der Theorie sollen diese außeruniversitären Aktivitäten auch von zukünftigen Arbeitgebern positiv gewertet werden.

Der relative Erfolg des BRSM ist nicht nur auf diese spürbaren materiellen und immateriellen Vergünstigungen zurückzuführen. Die Organisation kann auch als Plattform zur Selbstverwirklichung und als Ort dienen, an dem neue Freunde gefunden werden können. Die Sommerlager bieten ihrerseits die seltene Möglichkeit für ein freies spaßbetontes Abenteuer und sind eine Gelegenheit, Zeit mit anderen jungen Leuten zu verbringen.

Peer-Solidarität und politische Legitimierung

Im autoritär regierten Belarus, wo die Zivilgesellschaft schweren Beschränkungen unterworfen ist, ist der BRSM die einzige Jugendorganisation, bei der die Behörden eine Beteiligung von jungen Menschen nicht nur tolerieren, sondern unterstützen. Die Regierung hofft, das jugendliche Engagement zu Praktiken zu kanalisieren, die die Legitimität des Regimes – und damit dessen Stabilität – fördern, obwohl doch autoritäre Führer sonst eher eine nicht mobilisierte Gesellschaft bevorzugen.

Bislang scheint die Strategie der Regierung erfolgreich zu sein. Selbst wenn Aktivist*innen des BRSM eine negative Haltung gegenüber den offen politischen Tätigkeiten der Organisation haben mögen, etwa hinsichtlich der Wahlkampfunterstützung für Kandidat*innen, hinter denen das Regime steht, so beteiligen sie sich dennoch weiterhin daran. Sie tun das nicht aus Loyalität zu Lukaschenka, sondern zu ihren Altersgenossen. Diese Loyalität innerhalb der Organisation wird während Erholungsaktivitäten wie den Sommerlagern erzeugt. Das ist der Grund, warum diese Lager so wichtig und – obwohl sie scheinbar der Erholung dienen – durch und durch politisch sind.

Idealerweise sollen die Lager dazu beitragen, den BRSM zu legitimieren und dabei ein Engagement in der Organisation für Studierende attraktiver zu machen. Von den Insidern der Organisation wird erwartet, dass sie bei ihren Altersgenossen implizit oder explizit das Engagement fördern. Wenn man erst einmal durch freundschaftliche Beziehungen verbunden ist, fällt es leichter, unpopuläre Tätigkeiten zu übernehmen, indem man etwa als Wahlbeobachter*in gegenüber Wahlfälschungen die Augen verschließt.

Jetzt, wo sich Belarus auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im August 2020 vorbereitet, stützt sich die Regierung erneut auf die mobilisierende Unterstützung des BRSM. Tausende junger Aktivist*innen der Organisation werden in den Wahlkommissionen sitzen und als externe, nicht parteigebundene Wahlbeobachter*innen unterwegs sein. Diese Tätigkeiten sind nicht nur durch finanzielle Anreize oder blinde Loyalität zum gegenwärtigen politischen Establishment motiviert, sondern durch Freundschaften, die im Sommer am Lagerfeuer geschmiedet wurden.


Kristiina Silvan ist Doktorandin an der Universität Helsinki. In ihrem Dissertationsprojekt untersucht sie der regierungsnahen Jugendaktivismus in Belarus und Russland.