ZOiS Spotlight 36/2017

Sind zwei Weihnachten besser als eins?

Von Regina Elsner 20.12.2017
Weihnachtsbeleuchtung in Kiew, Ukraine. Leonid Andronow

In der Ukraine wird in diesem Jahr zum ersten Mal auch der 25. Dezember ein arbeitsfreier Tag sein. Am 2. Dezember trat ein entsprechendes Gesetz in Kraft, nach dem in Zukunft nicht nur der orthodoxe Weihnachtstermin – nach dem julianischen Kalender am 7. Januar – sondern auch der westliche Termin am 25. Dezember als arbeitsfreier Tag festgelegt wird.

Zwei Weihnachtstermine in einem multikonfessionellen Land scheinen zunächst kein besonders beachtenswertes Ereignis. In Belarus und in Moldova sind beide Tage arbeitsfrei. In der Ukraine ist die Vielfalt der christlichen Kirchen aufgrund der bewegten Geschichte des Landes besonders groß. Allerdings ist es gerade nicht der Weihnachtstermin, der diese Kirchen im Alltag trennt: Insgesamt mehr als 70% der Bevölkerung der Ukraine feiern Weihnachten am 7. Januar. Der Weihnachtstermin am 25. Dezember betrifft also nur die nicht sehr zahlreichen römisch-katholischen Gemeinden sowie die nicht unbedeutende Zahl protestantischer Gemeinden. Dass man ihnen mit einem landesweiten arbeitsfreien Tag entgegenkommt, scheint nun wiederum gar nicht so selbstverständlich.

Zwei Weihnachtstermine zur „Vereinigung des Volkes“?

In kaum einem anderen Land ist die konfessionelle Zugehörigkeit so stark mit nationalen, ethischen oder kulturellen Identitäten in der Bevölkerung und für das gesamte Land verknüpft. So führten die Identitätssuche und Unabhängigkeitsbestrebungen der Ukraine seit den 1990er Jahren auch zu kirchenpolitischen Debatten. 1992 kam es zu einer Spaltung innerhalb der Ukrainischen Orthodoxen Kirche zwischen denen, die eine nationale orthodoxe Kirche mit einem eigenen Patriarchen in Kiew forderten, und denen, die sich weiterhin dem Moskauer Patriarchat verbunden fühlten. Innerhalb der Ukraine schien der Konflikt zwischen der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGKK) und der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) lange Zeit ein entscheidendes Element der vermeintlichen Grenze zwischen einem nach Europa orientierten Westen und einem nach Russland orientierten Osten des Landes zu sein.

Einige Abgeordnete betonen, dass die Einführung des neuen Feiertags die ukrainische Gesellschaft vereinigen würde. Die Rede von der Vereinigung muss angesichts der Geschichte der ukrainischen Kirchen jedoch mit Vorsicht gehört werden. Seit dem Ende der Sowjetunion wird von politischen Kräften die Vereinigung der verschiedenen ukrainischen orthodoxen Kirchen zu einer nationalen Kirche angestrebt, oft als ausdrücklich politisches Projekt unabhängig von den Verhandlungen unter den Kirchen selbst. Der offene Konflikt mit Russland seit 2014 hat diese Bestrebungen erneut belebt: Die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats wurde (und wird) in ihrer Abhängigkeit von Moskau als Einfallstor russischer Propaganda wahrgenommen und verlor zahlreiche Gläubige. In Wirklichkeit waren sich die ukrainischen Kirchen während und nach dem Euromaidan jedoch so nahe wie selten zuvor: Ausdrücklich alle Kirchen positionierten sich an der Seite der souveränen Ukraine und warben um friedliche Lösungen der Konflikte.

Eine Frage der Zugehörigkeit?

Die Begründungen zum neuen Feiertag machen deutlich, dass der neue Weihnachtstermin im Kontext politischer Ambitionen steht. Erstmals hatte Aleksandr Turčinov, Sekretär des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, 2015 die christlichen Konfessionen der Ukraine aufgefordert, einen gemeinsamen Wechsel zum gregorianischen Weihnachtstermin zu vollziehen: „Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch die Ukraine zur Feier des Weihnachtsfests am 25. Dezember übergeht, gemeinsam mit der Mehrheit der zivilisierten Länder?“ Die Entscheidung sollten die christlichen Kirchen selbst treffen. Nun hat jedoch das Parlament entschieden, ohne ein Votum der christlichen Kirchen des Landes abzuwarten. Turčinov kommentierte als einer der ersten, die Entscheidung zum zusätzlichen Weihnachtstermin verstärke die europäische Integration der Ukraine und erlaube es, sich „vom Moskauer Kalender und den russländischen imperialen Standards“ loszureißen. Ähnlich begründet der Sprecher des ukrainischen Parlaments, Andrej Parubij, die Einführung des neuen Feiertags: „Wie bauen ein europäisches Land, wir vereinigen die ukrainische Nation (…) wir befreien uns von der Moskauer mentalen Okkupation und kehren in die Familie der freien Völker der Welt zurück.“

Die Erläuterungen zum Gesetz argumentieren nicht nur mit den westlichen christlichen Konfessionen, sondern überraschenderweise auch mit einem pastoralen Anliegen: Die Neujahrsfeier vor dem orthodoxen Weihnachtsfest sei ein Problem für die Einhaltung der vorweihnachtlichen Fastenzeit– der Weihnachtstermin im Dezember sei also durchaus auch im Interesse von vielen orthodoxen Gläubigen.

Andere aktuelle Gesetzesvorhaben im Bereich der ukrainischen Religionspolitik sind weniger subtil in ihrem Wunsch, die ukrainischen Kirchen von Moskau zu distanzieren. Seit dem Jahresanfang werden zwei Gesetze diskutiert, die die Rechte der UOK des Moskauer Patriarchats deutlich beschneiden würden. Sie richten sich unter anderem gegen religiöse Organisationen, deren administratives Zentrum sich in einem vom Parlament als „Aggressor-Staat“ definierten Land befindet. Diese Definition richtet sich eindeutig gegen das Moskauer Patriarchat, auch wenn die UOK in all ihren administrativen Belangen von Moskau unabhängig ist.

Was sagen die Kirchen?

Die Bestrebungen nach einer unabhängigen und geeinten Ukrainischen Orthodoxen Kirche sind ungebrochen, die Frage nach dem Wie aber nach wie vor umstritten. So entschied das Bischofskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche in Moskau im Dezember eine Änderung seines Statuts. Darin findet sich nun auf Drängen des Oberhaupts der UOK ausdrücklich der Satz: „Das administrative Zentrum der UOK befindet sich in der Stadt Kiew.“ Gleichzeitig sorgte Patriarch Filaret, Oberhaupt des Kiewer Patriarchats, mit einem Brief an Patriarch Kirill für Aufsehen. Seine Bitte um Versöhnung der Menschen wurde von Moskau als Bitte um Vergebung verstanden, Filaret widersprach daraufhin, dass die UOK-KP niemals zum Moskauer Patriarchat zurückkehren werde, da „wir unseren eigenen Staat haben.“

Ein neuer Weihnachtstermin wird allerdings bei aller Uneinigkeit der orthodoxen Kirchen nicht als hilfreich angesehen. Ein Sprecher des Kiewer Patriarchats bedauerte, dass die Parlamentarier die ohnehin existierenden kirchlichen Spannungen mit dieser Initiative nur vertiefen würde. Die UGKK wies darauf hin, dass ein Wechsel des Weihnachtstermins nur als gemeinsame Entscheidung aller Konfessionen und nicht als politische Entscheidung erfolgen könne. Die UOK kommentierte die Einführung des neuen Feiertags als „Entscheidung gegen das Volk.“

Lediglich die römisch-katholische Kirche äußerte ihren Dank darüber, dass sie die Weihnachtsmesse nun nicht mehr auf den Abend verlegen muss. Ohnehin, so Erzbischof Mokrzycki, feiere man Weihnachten in der Ukraine sowohl nach westlichem als auch nach östlichem Datum. Der neue arbeitsfreie Tag ermöglicht allen Familien, dieses wichtige Fest gemeinsam feiern zu können – nun eben zwei Mal.


Regina Elsner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS und beschäftigt sich in ihrem Forschungsprojekt mit dem sozialethischen Diskurs der Russischen Orthodoxen Kirche zwischen theologischer Souveränität und politischer Anpassung.


Literaturempfehlung
Andrii Krawchuk/Thomas Bremer (ed.): Churches in the Ukrainian Crisis. London 2016.
Andriy Mykhaleyko: Die ukrainischen Kirchen nach dem Majdan. RGOW 6-7/2016, 18-21.