ZOiS Report 1/2022

Ambivalente Effekte des Freihandels mit der EU: Einblicke aus Moldau und Georgien

EU-Flagge auf einem Gebäude in Tbilissi Arkady Chubykin / Alamy Stock Foto

Zusammenfassung

Die neue Politik der Östlichen Partnerschaft (ÖP) nach 2020 soll der EU zufolge „allen Vorteile bringen“. Ökonomisch drückt sich dieses Ziel als Förderung inklusiver Ökonomien aus, in denen Möglichkeiten für alle Bürger*innen in den Partnerländern geschaffen werden und der Wohlstand aller gesichert wird. Freihandel ist eines der Werkzeuge, die der EU zur Förderung solcher inklusiven Ökonomien zur Verfügung stehen. Aber wie effektiv ist dieses Werkzeug?

In Bezug auf Moldau und Georgien zeigt der vorliegende Report ambivalente Effekte auf: Freihandel hat sicherlich dazu beigetragen, engere Handelsbeziehungen zwischen der EU und den beiden Östlichen Partnern zu knüpfen und er hat zu einem Wachstum der Exporte aus Moldau und Georgien in die EU geführt. Ein genauerer Blick auf die Eigentümerstrukturen der wichtigsten Exportsektoren in die EU enthüllt jedoch ein nuancierteres Bild.

Der Report weist auf unterschiedliche Effekte in den wichtigsten Exportsektoren von Moldau und Georgien hin. Sie reichen von a) inklusiver Entwicklung, die einer Vielzahl unterschiedlicher ökonomischer Akteur*innen zugutekommt, kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) eingeschlossen; über b) exklusive Entwicklung, von der nur eine kleine Gruppe ökonomischer Akteure, hauptsächlich große und ausländische Firmen, profitieren; bis hin zu c) einer Stärkung einflussreicher oligarchischer Netzwerke. Außerdem zeigt der Report, dass ein Schlüsselfaktor für den Effekt, den der Freihandel mit der EU auf die Entwicklung einzelner Sektoren in den Partnerländern hat, in der Art der Zusammenschlüsse öffentlicher und privater Akteure besteht, die in den entsprechenden Exportsektoren dominieren. Da Kennzahlen über die Exportfähigkeit von Unternehmen auf sektoraler Ebene rar sind, beruht die Analyse in erster Linie auf Expert*inneninterviews sowie Artikeln und Berichten von Medien und Nichtregierungsorganisationen. Die Ergebnisse legen Folgendes nahe:

  • Im Hinblick auf die fünf wichtigsten Exportsektoren hat der Freihandel mit der EU in Moldau mehr Möglichkeiten für exklusive und sogar inklusive Entwicklung geschaffen als in Georgien.
  • Ein großer Teil der Exporte Moldaus in die EU (2020 ca. 44%) wird in Sektoren produziert, die von exklusiven oder sogar inklusiven Entwicklungskoalitionen zwischen privaten Akteuren und lokalen, staatlichen Behörden dominiert werden. Nur 31% der Exporte Moldaus kamen 2020 aus Sektoren, die eindeutig von rent-seeking coalitions kontrolliert werden, in denen wirtschaftliche Akteure ihre Ressourcen einsetzen, um sich durch die Beeinflussung staatlichen Handelns eine für sie günstigere Verteilungssituation zu verschaffen.
  • In Georgien hat der Freihandel mit der EU überwiegend dazu beigetragen, oligarchische Strukturen aufrechtzuerhalten. Mehr als 60% der Exporte in die EU kamen 2020 aus Sektoren, die von rent-seeking coalitions dominiert waren, wie dem Mineralstoff- und Metallsektor, deren Marktführer eng mit dem zentralen oligarchischen Netzwerk unter Führung des Milliardärs Bidsina Iwanischwili verflochten sind.

Diese Ergebnisse haben wichtige Implikationen für die zukünftige Regelung der Marktintegration im Kontext der ÖP. Damit Freihandel „allen Vorteile bringt“ und so inklusives Wachstum effektiver fördert, sollte die EU:

  • es leichter machen, einzuschätzen und zu kontrollieren, in welchem Ausmaß Firmen unterschiedlicher Größe, inklusive KMU, wirklich vom Zugang zum EU-Markt profitieren,
  • bei Maßnahmen und Programmen, die Firmen aus den östlichen Partnerländern den Zugang zum EU-Markt erleichtern sollen, die Eigentümerstrukturen der wichtigsten Exportsektoren und die Beteiligung wichtiger Eigentümer am rent-seeking berücksichtigen,
  • sicherstellen, dass existierende oder geplante EU-Initiativen wie EU4Business und der Wirtschafts- und Investitionsplan, die der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit im Export und der Integration in europäische Wertschöpfungsketten dienen sollen, auf Firmen abzielen, die keine Verbindung zu oligarchischen Netzwerken haben, da diese ein zentrales Hindernis für eine gute Regierungsführung (good governance) in den Partnerländern sind. Stattdessen sollte das Augenmerk darauf liegen, KMU, die in geringerem Ausmaß politischer Kontrolle ausgesetzt sind, in sektorale Cluster zu integrieren, um Know-how und Innovation zu stärken.