ZOiS Spotlight 24/2021

Ungarns Regierung geht weiter gegen NGOs vor

Von Melanie Hien 23.06.2021
Budapest, Ungarn. Protestierende gegen das erste NGO-Gesetz 2017 fordern die Regierung auf, die „Beleidung der Nation“ zu beenden. IMAGO / EST&OST

Und wieder gibt es Bewegung im Fall Ungarn und seiner NGOs. Ab dem 1. Juli 2021 führt die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán ein Gesetz ein, mit dem alle Nichtregierungsorganisationen im Land einer Prüfung durch den staatlichen Rechnungshof unterzogen werden können, wenn diese jährlich mehr als 20 Millionen Forint, umgerechnet etwa 55.000 Euro, Finanzierung erhalten. Der erste Versuch zur Einführung eines sogenannten Transparenzgesetzes für NGOs stammt aus dem Jahr 2017. Nach diesem hätten all jene NGOs eine Registrierung vornehmen müssen, die jährlich finanzielle Ressourcen in Höhe von 7,2 Millionen Forint, umgerechnet mehr als 20.500 Euro, pro Jahr aus dem Ausland erhielten. Gegen das Transparenzgesetz von 2017 wurde noch im selben Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU eingeleitet. Im April 2021 zog die ungarische Regierung das Gesetz schließlich zurück, weil im Februar desselben Jahres ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren durch die EU eingeleitet worden war. Bereits im Juni 2020 hatte der EuGH das Gesetz als diskriminierend eingestuft – ein Schritt, den die ungarische Regierung jedoch ignoriert hatte.

Nach öffentlichen Verlautbarungen sollte mit dem Transparenzgesetz von 2017 Geldwäsche bekämpft werden. Dieses Argument schien jedoch wenig valide, da Organisationen jährliche Finanzberichte veröffentlichen müssen und somit bereits für Transparenz sorgen. Es erscheint also wahrscheinlicher, dass das Gesetz die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen beeinflussen und deren Ruf schaden sollte. Eine Registrierung von NGOs kommt einer Stigmatisierung gleich und bedeutet eine öffentliche Zurschaustellung.

Die ewige liberale Bedrohung

In Ungarn schwelt seit einiger Zeit ein Konflikt zwischen international finanzierten NGOs und der Regierung. Für Orbán stellen diese Organisationen eine liberale Bedrohung für Ungarn und eine versuchte Einflussnahme ausländischer Finanziers, etwa des Millionärs George Soros, dar. In der seit 2015 anhaltenden Migrations- und Flüchtlingsdebatte beispielsweise, wurden im Jahr 2018 Regelungen eingeführt, wonach NGOs im Bereich der Migrations- und Flüchtlingsarbeit eine Sondersteuer zahlen müssen und in einem bestimmten Korridor um die ungarischen Grenzen nicht mehr aktiv sein dürfen. Damit soll verhindert werden, dass Flüchtlinge mit dem Nötigsten – Trinkwasser, Kleidung, Nahrung – versorgt werden und eine Asylberatung erhalten können.

Eine Plakatkampagne sollte den Kriegsflüchtlingen (oder den wenigen Migrant*innen, die über die Balkanroute nach Ungarn gelangten) außerdem zeigen, dass sie nicht erwünscht sind. Dass die Plakate nur in ungarischer Sprache veröffentlicht wurden, lässt jedoch vermuten, dass das Ziel der Kampagne auch eine Einflussnahme auf die ungarische Bevölkerung war. Auf den Plakaten wurden sowohl George Soros als auch der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker durch Narrative des Fremden und Bösen verunglimpft. Zu lesen waren Slogans wie „Auch Sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, was Brüssel vorbereitet“. Damit wurde darauf angespielt, dass Soros und Juncker vermeintlich kooperierten, um Flüchtlingen und Migrant*innen den Weg in die EU zu ermöglichen. Dies sind nicht minder Ideen einer Verschwörung der EU mit Soros gegenüber Ungarn. Dass Viktor Orbán in seiner Studienzeit selbst einmal von George Soros finanziert wurde, wurde dabei nicht erwähnt.

Die Arbeit von Organisationen im Bereich der Flüchtlingshilfe fällt jedoch nicht unter das neue Gesetz, das im Juli in Kraft treten soll. Somit bleiben die Regelungen aus dem Jahr 2018 in Kraft und Flüchtlinge und Migrant*innen können weiterhin nicht angemessen versorgt werden – eine fortdauernde Missachtung von EU-Standards im Bereich der Menschenrechte.

Im Jahr 2018 erklärte Orbán außerdem, dass sich in Ungarn einiges im kulturellen und akademischen Bereich ändern werde müssen, insbesondere um den Liberalismus eingrenzen zu können. Diese Kampagne betraf auch Theater und Universitäten – was am Beispiel der Central European University sehr gut abzulesen ist, die ihren Hauptsitz nach Wien verlegt hat – sowie Organisationen, die sich für die Rechte Homosexueller einsetzen.

Das neue Gesetz zur Regelung von NGOs knüpft nicht weniger an das Narrativ der liberalen Bedrohung an: Ausgenommen von dem Gesetz sind gemeinnützige Vereine wie Sportvereine oder sogenannte Vereinigungen nationaler Minderheiten – in Ungarn offiziell anerkannte ethnische Minderheiten –, ebenso wie Religionsgruppen. Organisationen also, die nationale bzw. ungarische Werte vertreten und sich nicht in die politischen Geschehnisse einmischen. Alle anderen Organisationen, die sich etwa für Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie engagieren, müssen damit rechnen vom Rechnungshof jährlich überprüft zu werden. Dies ist allein deshalb problematisch, weil der Rechnungshof die Verwendung von öffentlichen Geldern überwachen soll, die betroffenen Organisationen aber keine öffentlichen Gelder erhalten. Damit sind insbesondere Organisationen betroffen, die sich für Menschenrechte und Minderheiten wie Migrant*innen oder LGBTQI einsetzen. Ein derartiges Verhalten der Regierung gegenüber Nichtregierungsorganisationen zeigt einen andauernden Trend gegen ein Markenzeichen der Demokratie. NGOs sind ein wichtiges Mittel für die Bevölkerung, ihre Interessen vertreten zu können. Daran anknüpfend wurde am 15. Juni 2021 von der ungarischen Nationalversammlung ein Gesetz verabschiedet, das die Darstellung von Homosexualität, Transsexualität oder Geschlechtsumwandlung vor Kindern unter 18 Jahren als Werbung deklariert und verbieten soll. Dadurch wird ein Bild einer homogenen Gesellschaft vermittelt, die es so nicht gibt.

Die EU scheint machtlos

Das NGO-Gesetz von 2017 wurde zwar von der ungarischen Regierung nun zurückgenommen. Allerdings ist dies als Reaktion auf das Vertragsverletzungsverfahren und den damit verbundenen möglichen Geldstrafen durch die EU geschehen anstatt aus Respekt vor der EU und ihren Institutionen. Das neu in Kraft tretende Gesetz zur Registrierung von NGOs scheint nun den formalen Kriterien der EU zu entsprechen. Jedoch kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass dieses Gesetz zu weniger Diskriminierung von NGOs führen wird, da jetzt vor allem diejenigen NGOs mit beachtlichem Jahreseinkommen im Fokus stehen. Der restriktiven Politik Orbáns und seinem Kampf gegen den Liberalismus und die ihn seiner Ansicht nach unterstützenden Organisationen kann die EU somit nur wenig entgegensetzen. Einer möglichen Suspendierung der ungarischen Regierungspartei Fidesz in der Europäischen Volkspartei kam Orbán darüber hinaus zuvor, indem er sämtliche Abgeordnete seiner Partei zurückzog.

Die EU muss sich weiterhin auf die Seite von Nichtregierungsorganisationen und Minderheiten in Ungarn stellen und noch stärker Kritik am Vorgehen der ungarischen Regierung üben. NGOs sind ein wichtiger Bestandteil demokratischer Gesellschaften und Prozesse und sollten deshalb ihre Arbeit – auch in Ungarn – ausüben können und nicht durch staatliche Regularien marginalisiert werden.


Melanie Hien promoviert im Fach Politikwissenschaft an der Universität Regensburg zu Zivilgesellschaft und politischem Regime in der Transformation in Ungarn.