ZOiS Spotlight 9/2021

Umweltaktivismus in Zeiten des demokratischen Verfalls

Von Adam Fagan Marek Józefiak 10.03.2021
Anti-Smog-Protest in der polnischen Hauptstadt Warschau. Auf dem Poster steht: Warschau ohne Smog. IMAGO / Eastnews

In Ländern auf der ganzen Welt ist ein Verfall demokratischer Institutionen zu beobachten. Besonders auffällig sind jedoch die Entwicklungen in verschiedenen postkommunistischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU), da sie lange als Musterbeispiele einer erfolgreichen externen Demokratieförderung galten. Manipulierte Wahlen, Bürgerrechtsverletzungen, Oppositionsparteien, die sich unfairen politischen Wettbewerbsbedingungen ausgesetzt sehen, und eine zunehmende Ermächtigung der Exekutive, die immer weniger durch institutionelle Gegengewichte im Zaum gehalten wird, sind Beispiele für gut dokumentierte Verstöße gegen demokratische Normen. Diesen Entwicklungen zum Trotz scheint es in denjenigen Ländern Zentral- und Osteuropas, deren demokratische Institutionen als gefährdet gelten, heute mehr Protestbewegungen und politischen Aktivismus zu geben als je zuvor. Während ihre Zivilgesellschaften in den letzten drei Jahrzehnten eher zur Passivität neigten, scheinen sie nun zum Leben erwacht.

Einige Aktivist*innen versuchen, ihre Arbeit an die immer enger werdenden politischen und rechtlichen Spielräume anzupassen. Diese Entwicklung lässt sich unter anderem bei Umweltschutzorganisationen beobachten. Sie werden die beschädigten demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen wohl kaum wiederherstellen können. Vielleicht gibt es aber Grund zur Hoffnung, dass mit ihrer Hilfe die Demokratie wiederbelebt oder zumindest deren weiterer Verfall vorerst gestoppt werden könnte. Das setzt jedoch die Fähigkeit voraus, sich der Macht der politischen Eliten wirksam zu widersetzen und die politische Agenda des Landes mitzubestimmen.

Polens Antismogbewegung

Seit 2015 gibt es in Polen eine wachsende Bewegung gegen Luftverschmutzung. Dass sie auf große Resonanz stößt, ist nicht verwunderlich. Schließlich liegen 36 der 50 am stärksten verschmutzten Städte Europas in Polen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2019 ergab, dass die Luftverschmutzung für 62 Prozent der polnischen Befragten eines der drei zentralen Umweltprobleme darstellt. Weltweit galt dies nur für 35 Prozent der Befragten.

Nachdem 2012 in Krakau die erste Initiative gegen Smog gegründet wurde, entstanden ähnliche Kampagnen und lokale Bewegungen auch in zahlreichen anderen, vor allem süd- und zentralpolnischen Städten. Die gemeinsame Gründung der Dachorganisation „Polnischer Smog-Alarm“ (Polski Alarm Smogowy, PAS) durch drei lokale Initiativen im Jahr 2015 war einer der wichtigsten Schritte, um der Bewegung eine gemeinsame Plattform und Agenda zu geben.

Obwohl sie über zahlreiche Verbindungen zu etablierten Umweltschutzorganisationen verfügten, entschieden sich die Aktivist*innen dazu, eine eigene Graswurzelbewegung ins Leben zu rufen. Anfangs nutzten sie für ihre Kampagnen vor allem die sozialen Medien. Mit der Zeit knüpften sie schließlich immer mehr Kontakte zu konventionellen Online- und Printmedien. Jedoch hat die Organisation es nie geschafft, eine große Anzahl an Menschen zu mobilisieren. Bei den größten von ihr organisierten Protesten kamen nur einige hundert Teilnehmer*innen zusammen.

Trotzdem scheint die Bewegung genug Einfluss zu besitzen, um die politische Agenda auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene mitzubestimmen. Ihre starke Präsenz in den polnischen Medien und die Tatsache, dass immer mehr Menschen im Land sich mithilfe spezieller Apps vor Smog schützen wollen, hat der Organisation einen spürbaren politischen Einfluss verschafft. Mittlerweile hat die rechte Regierung in Polen die Luftverschmutzung zu einer ihren politischen Prioritäten gemacht. Auch etablierte Umweltschutzvereine – seien es internationale Organisationen wie Greenpeace oder ClientEarth oder lokale Initiativen wie das Grüne Netzwerk Polen – haben eine bessere Luftqualität zu einem ihrer zentralen Ziele erklärt.

Die politische Agenda mitbestimmen, ohne Massen zu mobilisieren

Der Erfolg der polnischen Antismogbewegung wirft eine interessante Frage in Bezug auf Klimaaktivismus und Umweltpolitik auf: Wie haben die Aktivist*innen von PAS es geschafft, so einen starken Einfluss auf politische Entscheidungsträger*innen auszuüben, ohne eine große Anzahl von Unterstützer*innen zu mobilisieren – insbesondere in einem politischen Klima, das durch rechtskonservative Kräfte dominiert wird? Zwei strategische Entscheidungen scheinen hier eine zentrale Rolle gespielt zu haben: zum einen, dass die PAS-Aktivist*innen sich keinem bestimmten politischen Lager anschlossen, und zum anderen, dass ihre Kampagnen strikt auf das Thema Luftverschmutzung beschränkt waren. Sie äußerten sich so gut wie nie zu anderen politischen Streitfragen wie der Pressefreiheit im Land, den Rechten von LGBTQ oder den umstrittenen Justizreformen. Daher war es für die Regierungsmedien kaum möglich, PAS als eine liberale oder linke Bewegung abzutun.

Die PAS-Aktivist*innen haben es außerdem geschafft, sowohl von ihrer Rolle als politische Außenseiter*innen als auch von einem gewissen Insiderstatus zu profitieren. Einerseits ist die Gruppe fest im aktivistischen Milieu verankert, andererseits hat sie auch seriöse Berichte zur Luftqualität in Polen herausgegeben und damit von staatlichen Behörden und internationalen Organisationen gesammelte Daten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Schon zu einem frühen Zeitpunkt pflegten die Aktivist*innen in Krakau gute Beziehungen zu verschiedenen rechten Politiker*innen, die später prominente Positionen in der Regierung einnahmen. Diese Verbindungen ermöglichten ihnen einen Zugang zu den inneren Kreisen der polnischen Politik, wodurch sie effektivere Lobbyarbeit betreiben können und über ein Maß an politischem Einfluss verfügen, das konventionelle Umweltschutzorganisationen in der Regel nicht besitzen.

Auch das sogenannte Framing, das in der Forschung zu sozialen Bewegungen eine wichtige Rolle spielt, ist hier von Bedeutung. Im Mittelpunkt der Kampagnen von PAS standen die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung. Etablierte Umweltschutzorganisationen übernahmen diesen Fokus daraufhin in ihrer eigenen Arbeit, wodurch rasch neue Allianzen geschlossen werden konnten. Die PAS-Aktivist*innen arbeiteten außerdem mit Gesundheitsexpert*innen, Wissenschaftler*innen und prominenten Sportler*innen zusammen und konnten so zwei wichtige soziale Gruppen für ihr Anliegen gewinnen: Eltern kleiner Kinder und Jogger*innen. Im Gegensatz zu früheren Generationen von Umweltschützer*innen hatten die PAS-Aktivist*innen kein Problem damit, auch führende Vertreter der katholischen Kirche in ihre Arbeit miteinzubeziehen. Außerdem scheuten sie sich nicht, mit radikaleren Aktivist*innen und Kommunal- und Regionalpolitiker*innen jeglicher ideologischen Couleur gemeinsame Sache zu machen.

Was sagt diese neue Form des Aktivismus über demokratische Verfallsprozesse aus? Wie die Erfahrungen der letzten Jahre in Osteuropa zeigen, beginnt die Erosion der Demokratie an der Spitze des Staates. Während die politischen Institutionen immer stärker in den Autoritarismus abgleiten, überlebt die liberale Zivilgesellschaft zunächst nicht nur, sondern scheint sogar erst einmal an Kraft zu gewinnen. Ob die Aktivist*innen demokratische Standards wiederherstellen oder wenigstens ihren weiteren Verfall verhindern können, hängt von ihrer Fähigkeit ab, sich nicht nur an die neuen illiberalen Bedingungen anzupassen, sondern auch aktiven Widerstand zu leisten und eine neue progressive Bewegung ins Leben zu rufen, die über den eigenen Unterstützer*innenkreis hinausgeht.


Adam Fagan ist Professor für Europäische Politik am King’s College London. Marek Józefiak ist Doktorand an der Warsaw School of Economics.