ZOiS Spotlight 42/2019

Rap auf Kirgisisch

Von Florian Coppenrath 13.11.2019
Ein Konzert des Rap-Kollektivs „Zamanbap“, zugleich der Name des ersten vollständig auf Kirgisisch verfassten Rap-Albums. Sam Barataliev

Das ist unser Heimatland

Hohe, hohe Berge eins mit dem blauen Himmel

Aga-Ini – Bizdin Meken (Unser Heimatland)

Rap-Musik, darunter stellen sich europäische Hörer*innen in erster Linie Kraftausdrücke und hedonistische Motive vor. Ganz anders klingt aber der Rap, der alltäglich im Bischkeker Straßenbild zu hören ist, der Hauptstadt Kirgistans. Dessen Texte drehen sich vor allem um Patriotismus, Moral und Liebe, verpackt in zeitgenössische Beats und beworben mit aufwändigen Videoclips.   

Die Hip-Hop- „Kultur“ beinhaltet neben Rap auch DJing, Tänze und Graffiti und ist längst ein weltweites Phänomen. Von ihren Anfängen bei lokalen Block-Parties in afroamerikanischen Vierteln New Yorks, hat sich Rap-Musik zu Zeiten des Online-Streamings zum dominierenden Musikgenre entwickelt. Auch in Kirgistan steht aktueller Rap aus den Vereinigten Staaten oder Russland hoch im Kurs, jedoch finden sich zunehmend lokale Stücke auf den Playlists der Hörer*innen.  

Rap als „Estrada“   

Es ist das zweite Mal in der kirgisischen Musikgeschichte, dass Rap-Musik eine bedeutende Hörerschaft im Inland erreicht. Erstmals wurde Hip-Hop Mitte der 2000er Jahre in Kirgistan zum Massenphänomen. Überwiegend russischsprachige Gruppen wie Acapella, AP Clan oder Kiggaz füllten regelmäßig Konzerthallen im ganzen Land. Kiggaz veröffentlichten 2004 den wohl ersten kirgisischsprachigen Rap-Hit: Derzskii (russisch: „dreist“), ein Remake von 50 Cents Wanksta. Für die junge geschäftstüchtige Gruppe war kirgisisch nicht zuletzt der Schlüssel zu einem neuen Zielpublikum.

Mehr als zehn Jahre später ist Rap-Musik wieder eine der führenden Musikrichtungen in Kirgistan. Russischsprachiger Rap macht weiterhin den größeren Teil der Produktion vor Ort aus. Während sich dieser aber vor allem an ein Rap-affines Publikum in den GUS-Ländern richtet, erreicht das kirgisischsprachige Segment im Inland die Massen. Eine Handvoll Rapper bringen ihre Stücke regelmäßig in Radio und Fernsehen unter und werden zu Privatveranstaltungen, zum Beispiel Hochzeiten, eingeladen. Vor allem die Rapper Begish und Bayastan werden durch ihre Zusammenarbeit mit berühmten Sängern wie Mirbek Atabekow oder Nurlan Nassip nicht selten zur lokalen „Estrada“, also zur Pop-Musik, gezählt.   

Begish und Bayastan waren auch federführend an Zamanbap (kirgisisch: „Modern“) beteiligt, das erste ganz auf Kirgisisch verfasste Rap-Album, veröffentlicht Ende 2015. In einer Rezension der Internetzeitung Kloop.kg wurde das Album prompt als „neuer Standard“ in der kirgisischen Musik gelobt: „In Kirgistan wächst die Nachfrage nach nationaler Selbstidentifizierung. Auf positive Art. […] Das zentrale Thema von Zamanbap liegt gerade darin. Im Album befindet sich die kirgisische Sprache nicht einfach so, jeder Track ist so geschrieben, dass die spracheigene Klangfülle maximal zum Einsatz kommt.“ 

Kirgisisch cool machen

Tatsächlich lässt sich der Einsatz der kirgisischen Sprache nicht nur auf die Sprachkompetenz der Autor*innen zurückführen. Vielmehr geht es darum, kirgisischsprachigen Rap „auf ein internationales Niveau“ zu bringen, wie die Künstler*innen oft in Interviews betonen. Auch Name und Logo (angelehnt an traditionelle Ornamente) von Zamanbap sind Programm: Wie zeitgenössische Musiker*innen im benachbarten Kasachstan wollen die Rapper*innen zeigen, dass Kirgisisch und „modern“ in keinem Gegensatz zueinander stehen. So verbreiten sie zum Beispiel Jugendwörter wie „Teke“ oder „Zynk“ (kirgisische Begriffe für „cool“) und orientieren ihre Musik an weltweiten Rap-Trends.

In Kirgistan gilt neben der Regierungssprache Kirgisisch Russisch als zweite Amtssprache. Tatsächlich wird aber vor allem im Norden des Landes überwiegend Russisch gesprochen und ein schlechtes Russischniveau wird als negativer sozialer Marker wahrgenommen. In diesem Kontext setzen sich Rapper*innen für eine Aufwertung des Kirgisischen ein. „Ich wünsche mir, dass Kirgisisch auch in meiner Hauptstadt gesprochen wird“, heißt es zum Beispiel im Stück „Ene Til“ („Muttersprache“) aus dem Album Zamanbap. Oder etwas schärfer, aus einem Rap-Battle, also einer rhythmisch-verbalen  Auseinandersetzung zweier Kontrahenten, der Bischkeker Plattform Street Cred BPM: „Wenn jemand sagt, er verstehe Kirgisisch, könne es aber nicht sprechen, fühle ich mich sofort an meinen Hund erinnert.“

Tabus und Toy Business

Während sich die berühmtesten Rapper*innen in Kirgistan als lokale Popstars positionieren, müssen sie sich jedoch auch an eine Reihe von unausgesprochenen Regeln halten, in Gesprächen oft als „kirgisische Mentalität“ zusammengefasst. Dies erklärt, warum ihre Texte so überraschend brav sind: Mit patriotischen und moralisierenden Motiven gewinnen sie den nötigen Zuspruch, um auf dem kleinen lokalen Musikmarkt, auch „Toy Business“ genannt, zu existieren. „Toys“, also aufwändige Familienfeiern, vor allem Hochzeiten, sind für viele Musiker*innen die Haupteinnahmequelle.   

Im Gegensatz zu den Nachbarländern mischt sich der Staat in Kirgistan kaum ins kulturelle Leben ein, wenige Rap-Stücke üben unbehelligt politische oder soziale Kritik aus. Vielmehr hält sozialer Druck popkulturelle Inhalte in kirgisischer Sprache innerhalb eines engen Rahmens. Vor allem Themen wie Sex, Drogen oder auch Religion sind tabuisiert. Die genauen roten Linien sind dabei fließend, und werden auch gerne neu ausgehandelt. So wird zum Beispiel das Stück Zher Ay aufgrund der als anstößig gesehenen Zeilen „Sie schläft nicht mit Jungs/ […] Sie bewahrt ihre Jungfräulichkeit“ nicht im Radio gespielt, was sich aber nicht sonderlich auf seine Beliebtheit auswirkt.  

Besonders frappierend ist der Kontrast mit lokalen russischsprachigen Rap-Stücken, die nicht vom Zuspruch der konservativeren Bevölkerungsgruppen abhängen und vor Tabuthemen keinen Halt machen. Auch manche kirgisischsprachigen Rapper*innen kritisieren die allzu soften Inhalte ihrer Kolleg*innen, ohne jedoch auf krasse Provokationen zu setzen: „Unsere Leute sollen nicht vergessen, dass Kyrgyz-Rap ganz anders klingen kann, als wir es von unseren Estrada Hip-Hop-Performern gewohnt sind“, steht beispielsweise unter den jüngeren Stücken des Rappers Deka Djaydi. Dieser unterhält in seinen Stücken eine düstere Stimmung und schreibt mehr Rap „über Rap“ als der „Mainstream“. In Abwesenheit von großen Musikkonzernen sind die Fronten zwischen „kommerziell“ und „underground“ aber längst nicht so gefestigt, wie man es aus Europa gewohnt ist.  

Während junge Leute in Kirgistan durch einen einfachen Internetzugriff potentiell alles hören können, bietet ihnen kirgisischsprachiger Rap angesagte Musik, mit der sie sich identifizieren können. Zusammen mit Sketch-Shows wie „El emne deyt“ („Was sollen die Leute sagen“) und Kunstprojekten wie „Manifest“ zeigen junge Rapper*innen, dass kirgisische Kultur nicht vergangenheitsgewandt sein muss, wie es das offizielle und touristische kulturelle Angebot anmuten lässt.


Florian Coppenrath promoviert gegenwärtig am Zentralasienseminar der Humboldt-Universität und am Leibniz-Zentrum Moderner Orient zu Berlin zu Hip-Hop in Kirgistan