ZOiS Spotlight 8/2021

Der Adler und der Bär: russisch-amerikanische Beziehungen unter Präsident Biden

Von George Soroka 03.03.2021
imago images / ITAR TASS

Im Jahr 2001 behauptete US-Präsident George W. Bush, er habe, als er Wladimir Putin in die Augen sah, einen Blick in dessen Seele werfen können. Doch die aufkeimende politische Romanze zwischen Bush und Putin hielt nicht lange an. Stattdessen verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den beiden bedeutendsten Atommächten der Welt mit den Jahren immer weiter. In den folgenden zwei Jahrzehnten schwankten die bilateralen Beziehungen zwischen Misstrauen und Kampfbereitschaft. Die Spannungen zwischen den beiden Staaten sind Ausdruck ihrer unterschiedlichen Weltbilder und politischen Prioritäten.

Aber auch die Persönlichkeiten der verschiedenen US-Präsidenten haben eine wichtige Rolle gespielt: Bushs Nachfolger Barack Obama behandelte Russland zum Missfallen Putins wie eine im Niedergang befindliche Regionalmacht. Im Gegensatz dazu war die Haltung des darauffolgenden Präsidenten Donald Trump gegenüber seinem Amtskollegen im Kreml von einer seltsamen Ehrfurcht geprägt. Welche Haltung die Regierung des neuen US-Präsidenten Joe Biden gegenüber der russischen Führung einnehmen wird, ist noch nicht sicher, erste Hinweise deuten jedoch darauf hin, dass sie eine härtere Linie verfolgen wird als die Regierung Trumps.

Zurück zu den USA als einer normativen Supermacht

In seiner ersten öffentliche Rede als designierter US-Präsident am 7. November 2020 verkündete Biden seine Vision von den Vereinigten Staaten als einer Nation, die „nicht durch das Beispiel ihrer Macht, sondern durch die Macht ihres Beispiels führen“ sollte. Das Bestreben, die USA wieder zu einer von der Welt anerkannten normativen Supermacht zu machen, ist seitdem zum neuen Eckpfeiler der amerikanischen Außenpolitik geworden. Dabei spielen sowohl „weiche“ als auch „harte“ Formen der Macht eine Rolle. Mit dem erneuerten Versprechen, weltweit Demokratie zu fördern und Menschenrechte zu schützen, geht der Kampf gegen autoritäre Herrschaftsformen einher, die sich schleichend auszubreiten scheinen. Konkret ist damit der Anspruch verbunden, Chinas globalen Aufstieg zu verlangsamen und russische Versuche abzuwehren, sich in die inneren Angelegenheiten der postsowjetischen Staaten einzumischen.

Beispielhaft für diesen Wandel sind die aktuell geplanten Sanktionen Washingtons gegen Russland. Damit reagiert Bidens Regierung auf die Vergiftung des prominenten Kremlkritikers Alexej Nawalny im August 2020 und die Ende letzten Jahres aufgedeckten SolarWinds-Cyberattacken, bei denen Hacker*innen sich in großem Umfang Zugriff auf Daten amerikanischer Firmen und Behörden verschafften. Die Attacken offenbarten empfindliche Sicherheitslücken in der digitalen Infrastruktur der Vereinigten Staaten. Darüber hinaus unterstützt Washington den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei seinem jüngsten Vorgehen gegen prorussische Separatist*innen in der ostukrainischen Donbassregion, das sich auch gegen deren mediale und finanzielle Unterstützer*innen richtet. Unter ihnen befindet sich auch ein enger Freund und politischer Verbündeter Putins, der Oligarch Wiktor Medwedtschuk. Anfang Februar 2021 kündigte Biden an: „Die Zeiten, in denen die USA vor den Aggressionen Russlands die Augen verschließen, sind vorbei – ob sie sich in unsere Wahlen einmischen, Cyberattacken durchführen oder ihre eigenen Bürger*innen vergiften. Wir werden nicht zögern, die Kosten zu erhöhen, die Russland für solche Aggressionen zu zahlen hat, und das amerikanische Volk und seine grundlegenden Interessen verteidigen.“

Die Beziehungen mit Europa erneuern und den russischen Einfluss eindämmen

Die Beziehungen zwischen den USA und vielen ihrer wichtigsten europäischen Verbündeten, vor allem Frankreich und Deutschland, haben unter Präsident Trump stark gelitten. Die neue US-Regierung hat deshalb ihre Bereitschaft signalisiert, viel Zeit und Arbeit zu investieren, um wieder Vertrauen in der transatlantischen Partnerschaft aufzubauen. Biden hat zudem deutliche Unterstützung für eine stärkere europäische Integration und die supranationale Zusammenarbeit in mehreren Bereichen angekündigt. Höchste Priorität hat für ihn jedoch der Erhalt der Sicherheitspartnerschaft zwischen den USA und Europa. Das ist wenig verwunderlich, hatte er doch die NATO einmal als die „wichtigste Allianz der US-amerikanischen Geschichte“ bezeichnet.

Allerdings werden die Schäden in den Beziehungen zwischen den USA und Europa in den letzten Jahren womöglich nicht so leicht zu reparieren sein, was gemeinsame Anstrengungen, den russischen Einfluss zurückzudrängen, erschweren könnte. Ein Anzeichen für diese Entwicklung ist der wachsende Unwille auf Seiten der Europäer*innen, den Unilateralismus der USA und ihre außenpolitischen Hegemonialansprüche unterhinterfragt hinzunehmen.

Europäische Regierungen haben außerdem im Umgang mit Russland in den letzten Jahren eigene Wege eingeschlagen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich zum Beispiel für eine Zusammenarbeit mit dem Kreml offen gezeigt. Und auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat trotz der Widerstände aus Washington an der noch im Bau befindlichen Ostseepipeline Nord Stream 2 festgehalten, durch die russisches Erdgas direkt nach Deutschland geliefert werden soll. Schon vor seiner Wahl zum US-Präsidenten hatte Biden das Projekt abgelehnt und als einen „grundsätzlich schlechten Deal für Europa“ bezeichnet. Stattdessen befürwortet er den Ausbau des südlichen Gaskorridors, über den Gas aus dem kaspischen Meer und den Ländern des Nahen Osten nach Europa geliefert wird, um so die Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen zu verringern.

Zukunftsaussichten

Trotz allem sind die Zukunftsaussichten weniger düster, als sie zunächst erscheinen mögen. Das gilt sowohl für die amerikanischen Beziehungen zu Europa als auch für das Verhältnis zwischen den USA und Russland. Zumindest besteht die Möglichkeit eines kalten Friedens mit Moskau. Am 3. Februar wurden erste Schritte in diese Richtung getan, als Biden und Putin sich darauf einigten, das nukleare Abrüstungsabkommen New START für weitere fünf Jahre zu verlängern.

Es steht außer Zweifel, dass die außenpolitische Linie Washingtons im Umgang mit Russland seit dem Amtsantritt Bidens kohärenter geworden ist und die neue Regierung stärker auf Sanktionen setzt. Deshalb werden sich die Beziehungen zu Russland jedoch nicht zwangsläufig weiter verschlechtern. Im Gegenteil, es besteht sogar Anlass zu einem vorsichtigen Optimismus. Im Unterschied zu seinem sprunghaften Amtsvorgänger ist Biden ein Politiker der Mitte und erfahrener Diplomat, der darin geübt ist, politische Kompromisse zu finden. Auch sein Gegenspieler Putin ist ein Pragmatiker. Mit schnellen und einfachen Lösungen für die vielen Konflikte, die das Verhältnis der USA und Russland belasten, sollte nicht gerechnet werden. Allerdings besteht Grund zur Hoffnung, dass sich die Beziehungen beider Länder zukünftig routinierter und vorhersehbarer gestalten.


George Soroka ist Dozent für Regierungslehre und stellvertretender Studienbeauftragter für das Undergraduate-Programm an der Harvard University.