Expert*innenstimme

„Tag des Sieges“ in Russland in Zeiten des Krieges

Von Tatiana Golova 08.05.2023

Am 9. Mai wird in Putins Russland traditionell der „Tag des Sieges“ der Sowjetunion über Nazi-Deutschland mit großen Militärparaden gefeiert. Doch in diesem Jahr – mitten im Krieg - wurden viele der öffentlichen Feierlichkeiten abgesagt. Wir haben mit Tatiana Golova über die Hintergründe gesprochen.

Welche Gründe stecken hinter der teilweisen Absage der Feierlichkeiten zum 9. Mai in Russland?

In über 20 Regionen wurden Militärparaden abgesagt. Wenn die Gründe angegeben wurden, handelte es um Sicherheitsbedenken (Angst vor Anschlägen), insbesondere bei den frontnahen Regionen und in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten. Teilweise wurden ethische Gründe genannt – letztes Jahr wurde massives Feiern mit Feuerwerken in manchen Regionen nicht nur von den öffentlichen Akteuren, sondern auch von den Eliten als Verschwendung angesichts der „realen Frontbedürfnisse“ und der Lage der Veteranen kritisiert.

In den letzten Jahren hat das Unsterbliche Regiment als Gedenkform an Bedeutung gewonnen. Um was geht es dabei und warum ist es so populär?

Das Unsterbliche Regiment geht ursprünglich auf eine regionale Initiative „von unten“ zurück, das militarisierte öffentliche Gedenken an das Zweite Weltkrieg zu humanisieren: Portraits von Familienangehörigen, die an der Front waren, sollten gemeinsam in einer Kolonne getragen und private Narrative zum geteilten Erlebnis gemacht werden. Inzwischen wurde die Aktion von der offiziellen Seite „gekapert“ und umgedeutet und ist zur zentralen regierungsfreundlichen Massenveranstaltung geworden. Weil die russische Invasion in der Ukraine unter anderem als Fortsetzung des „Großen Vaterländischen Krieges“ glorifiziert wird, haftet dem Unsterblichen Regiment unweigerlich die Bedeutung an, Russlands Krieg gegen die Ukraine zu legitimieren.

Viele Militärparaden in den Regionen wurden abgesagt. Finden die Märsche des unsterblichen Regiments 2023 statt?

Dieses Jahr soll das Unsterbliche Regiment lediglich online (wie 2020 und 2021 während der Corona-Pandemie) und durch das Anbringen der Portraits an Autos und an der Kleidung begangen werden – aus Gründen der Sicherheit, so heißt es. De facto bestand das Risiko, dass Portraits von Angehörigen der russischen Militärverbände und Söldnertruppen, die im Angriffskrieg gegen die Ukraine gefallen sind, massiv öffentlich repräsentiert werden. So würden die Teilnehmer*innen und Beobachter*innen das Ausmaß der Verluste demonstrieren, die vom Militär systematisch verschwiegen werden und das Narrativ eines erfolgreichen Krieges stören. Allerdings werden „Unsterbliches Regiment“-Aufzüge in verschiedenen anderen Ländern, so auch in Deutschland, stattfinden (zum Teil geschah dies bereits am Wochenende). Im Ausland sind sie zu einer Gelegenheit geworden, die Unterstützung für Russlands Militarismus und konkret den Krieg öffentlich zu zeigen und auch Russlands Staatssymbolik zur Schau zu stellen.

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