Expert*innenstimme

De-facto-Staat Transnistrien ersucht Russland um Schutz

Ein Schutzersuchen der Machthaber Transnistriens an Russland vor angeblichem Druck aus Moldau weckt Ängste vor einem Konflikt. Die Zwickmühle der transnistrischen Regierung, die Rolle europäischer Institutionen und die Bedeutung von Russlands Präsenz in der Region erklären Nadja Douglas und Sabine von Löwis.

Worin besteht der von Moldau ausgeübte „Druck“, den die Separatisten in Transnistrien in ihrer Resolution anführen?

Nadja Douglas: Transnistrien steht seit einiger Zeit tatsächlich unter Druck. Die politischen Eliten in der Republik Moldau sprechen immer offener über eine mögliche Reintegration Transnistriens. Seitdem das Verhandlungsformat „5+2“ zur Lösung des Transnistrienkonflikts suspendiert wurde und Moldau ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt wurde, wird auf moldauischer Seite auch nicht mehr über Zugeständnisse an die abtrünnige Region nachgedacht. Hinzu kommt, dass das moldauische Parlament 2023 ein Separatistengesetz verabschiedet hat, das separatistische Bestrebungen erstmals unter Strafe stellt. Das wurde in Transnistrien als Provokation empfunden.

Sabine von Löwis: Die Republik Moldau hat mit Jahresbeginn 2024 ein neues Zollregime eingeführt, im Rahmen dessen Zollerleichterungen für transnistrische Unternehmen, die ihre Waren exportieren wollen, gestrichen wurden. Dies hat zu Verlusten im Haushalt Transnistriens und massiven Protesten bei transnistrischen Unternehmen geführt. Zudem hat Moldau Zollkontrollen verstärkt. Im November 2023 wurden Exporte von drei transnistrischen Unternehmen nach Russland blockiert, da deren Produkte auch militärisch genutzt werden könnten, und somit gemäß EU-Sanktionen nicht nach Russland exportiert werden dürfen. Die Handelsbilanz von Transnistrien ist seit 2022 durch den Rückgang des Handels mit der Ukraine und Russland negativ, die Änderungen der Zollregulierungen tragen in dieser Hinsicht nicht zu einer Verbesserung bei.

Nadja Douglas: Das im Januar 2024 eingeführte Zollregime hat das Fass dann gewissermaßen zum Überlaufen gebracht. Letztlich ist es aber nicht das erste Mal, dass die transnistrische Seite über „zuviel Druck“ aus Chișinău klagt und durch die Einbeziehung internationaler Partner selbst wiederum versucht, Druck aufzubauen, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken.

Welche Rolle spielt der Krieg Russlands gegen die Ukraine für die Position Transnistriens?

Nadja Douglas: Die Situation Transnistriens ist seit Beginn des russischen Angriffskrieges sehr viel verzwickter geworden. Es fühlt sich eingekeilt zwischen zwei Staaten, die beide in die EU streben, und ist selbst weiterhin abhängig von Russland als Schutzmacht, das aber auch für die Transnistrier*innen längst kein verlässlicher bzw. berechenbarer Partner mehr ist. So nahmen die transnistrischen Eliten von Anfang an, im Gegensatz zu den De-facto-Regimes in Südossetien und Abchasien, eine eher neutrale Haltung zum russischen Angriffskrieg ein.

Sabine von Löwis: Mit Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine seit 2022 wurde die Grenze zwischen Transnistrien und der Ukraine geschlossen. Über diese Grenze wurde umfangreich Schmuggel betrieben und auch Handel, unter anderem mit der Ukraine. Sämtliche Im- und Exporte Transnistriens müssen nun über die Republik Moldau gehen. Damit hat Moldau eine viel stärkere Kontrolle auf den Handel Transnistriens, die es auch ausübt. Zudem steigen die Kosten für transnistrische Unternehmen.

In der Resolution wendet sich der transnistrische „Kongress der Volksdeputierten“ auch an das Europäische Parlament, die OSZE und das Rote Kreuz. Was ist die Rolle und der Einfluss europäischer Institutionen?

Nadja Douglas: Es geht bei dem Appell an die internationalen Institutionen vor allem um das Erregen von Aufmerksamkeit. Im Grunde hat nur die OSZE eine gewisse Zuständigkeit. Sie bietet für den Konfliktbeilegungsprozess zwischen Moldau und Transnistrien den Rahmen.

Sabine von Löwis: Der Kongress der transnistrischen Abgeordneten, der Aufruhr im Vorfeld und die Erwartung, es würde um eine Entscheidung für ein Referendum für einen Anschluss an Russland gehen, hat eine Reihe von Assoziationen ausgelöst, die an das Vorgehen der russischen Regierung im Osten der Ukraine 2022 erinnern. Damit wurde besonders in den westlichen Medien viel Aufmerksamkeit erzeugt, um den Blick auf die Region und die Entwicklungen zu lenken. Dass die Behörden in Transnistrien nun explizit diese Einrichtungen ansprechen, deutet auf die Dringlichkeit der Lage und die Hoffnung hin, dass Verhandlungen aufgenommen oder fortgesetzt werden. Gleichzeitig kann die Bitte um Schutz durch Russland als Drohung verstanden werden.

Nadja Douglas: In den letzten zwei Jahren hat sich Vadim Krasnoselsky, der De-facto-Staatschef, wiederholt an die internationalen Partner im 5+2-Format gewandt, um Garantien für Sicherheit und Frieden für die Region zu erhalten. Letztlich bleibt festzustellen, dass Transnistrien eine solche Maßnahme wohl nicht unabhängig und ohne Konsultation Russlands ergriffen hat.

Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation ein russisches Eingreifen in Transnistrien nicht angesprochen. Könnte es nun erst einmal verdeckte Maßnahmen Russlands geben?

Sabine von Löwis: Russland ist ohnehin schon in Moldau und Transnistrien aktiv und präsent und das sowohl ganz offen, als auch verdeckt, zum Beispiel durch Cyberangriffe in Moldau und die Organisation von Demonstrationen gegen die Regierung von Maia Sandu. Vermutlich wird die russische Regierung sich bemühen, weiter Einfluss auf Moldau und Transnistrien auszuüben.

Nadja Douglas: Die andauernden Destabilisierungsmaßnahmen Russlands haben vor allem das Ziel, die moldauische Regierung und Bevölkerung zu verunsichern.

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