Expert*innenstimme

Abkehr der Russischen Orthodoxen Kirchengemeinde Amsterdams vom Moskauer Patriachat

Von Regina Elsner 14.03.2022

Aus Protest gegen die Position des Putin-treuen Moskauer Patriarchen Kyrill I. im russischen Krieg gegen die Ukraine hatte die Russische Orthodoxe Kirchengemeinde Amsterdams auf die sonst übliche Nennung Kyrills in der Liturgie verzichtet. Daraufhin wurde die Kirchengemeinde vorübergehend geschlossen.  Inzwischen hat die Gemeinde den Metropoliten Athenagoras von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg, also einen Vertreter des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, um Aufnahme in seine Diözese gebeten. Theologin Regina Elsner erläutert die Hintergründe dieser Abspaltung.

Wer steht denn hinter der Initiative für diesen Schritt und wie begründet die Kirche diese Abspaltung?

Die Russische Orthodoxe Kirche mit dem Patriarchat in Moskau hat Gemeinden und Strukturen in Russland, Belarus und der Ukraine, aber auch in der ganzen Welt. Es gibt viel Widerspruch gegen die Unterstützung des Moskauer Patriarchen für den russischen Angriffskrieg, sowohl in Russland, als auch in anderen Ländern. Die kirchlichen Mittel, diesen Widerspruch zum Ausdruck zu bringen, sind allerdings begrenzt. In Russland werden Priester für Predigten gegen den Krieg mit hohen Geldstrafen belegt, die Bischöfe schützen sie nicht. In der Ukraine haben sich viele Bischöfe entschlossen, den Patriarchen nicht mehr in der Liturgie zu nennen, das ist kein Bruch, aber doch eine starke Distanzierung. Der Patriarch hat ihnen Feigheit vorgeworfen und mit dem Schisma gedroht.

In anderen Ländern haben Bischöfe, Priester und Gemeinden vereinzelt ihren Protest geäußert, so zum Beispiel ein Priester in Bad Godesberg oder der Bischof der russischen Gemeinden in Paris. Die Gemeinde in Amsterdam hat eine besondere Vorgeschichte, in ihr wirkte lange Zeit der große Friedenstheologe Jim Forest, der vor wenigen Wochen verstorben ist. Die Gemeinde hatte nach ihrem Protest gegen den Krieg und die Haltung der Moskauer Kirchenleitung Drohungen von der russischen Botschaft und dem Patriarchat bekommen. Um die physische und geistliche Sicherheit ihrer Gläubigen zu gewährleisten, haben sie sich nun dem Ökumenischen Patriarchat unterstellt, also einer anderen unabhängigen orthodoxen Kirche.

Ist denn eine Abspaltung einfach so möglich? Gibt es dafür ein Prozedere?

Die Frage nach der Zugehörigkeit von orthodoxen Gemeinden zu dem einen oder anderen Patriarchat wird besonders in Ländern, wo es keine orthodoxe Mehrheitskirche gibt, seit vielen Jahren diskutiert. Eigentlich ist die Existenz mehrerer unabhängiger orthodoxer Kirchen in einem Land eine kirchenrechtliche Anomalie, aber in Zeiten von Migration und säkularisierten Gesellschaften ist es nicht ungewöhnlich. In Deutschland etwa sind die verschiedenen orthodoxen Kirchen in einer gemeinsamen Bischofskonferenz organisiert, aber jede Kirche – Serbisch, Griechisch, Rumänisch, Russisch etc. – hat einen eigenen Bischof.

Abspaltungen oder Übertritte von Gemeinden zu einer anderen Kirche sind eher ungewöhnlich und ein extremer Schritt, der vor allem bei grundsätzlichen Problemen mit der Kirchenlehre gegangen wird. In den letzten Jahren sind diese Bewegungen zu einem kirchenpolitischen Instrument geworden, wir haben solche Übertritte zuletzt im Zusammenhang mit der Anerkennung der unabhängigen Orthodoxen Kirche der Ukraine gesehen: Gemeinden in der Ukraine traten der neuen Kirche bei, und Gemeinden in Europa oder kürzlich in Afrika unterstellten sich dem Moskauer Patriarchat, um ihre Solidarisierung auszudrücken.

Ganz grundsätzlich zeigen diese Bewegungen zum einen oder anderen Patriarchat, dass die orthodoxe Kirche stark an der Politisierung ihrer Strukturen leidet und gleichzeitig keine wirkungsvollen Mechanismen hat, Probleme zwischen den Kirchen gemeinsam zu besprechen und zu lösen. In Ländern mit verschiedenen orthodoxe Kirchen haben Gemeinden jedoch eine gewisse Freiheit, in unerträglichen Situationen wie jetzt alternative Gemeinschaften zu finden.

Wie stehen die Gläubigen dazu? Sind die Niederlande hier etwas Besonderes?

Die orthodoxen Gemeinden im nicht-orthodoxen Ausland unterscheiden sich häufig stark von ihren Mutterkirchen, denn sie müssen sich in einer pluralen Gesellschaft mit anderen Konfessionen und Weltsichten auseinandersetzen. In manchen Gemeinden führt das zu besonders konservativen Ausrichtungen, man verschanzt sich gegen die fremde Welt und zieht auch besonders traditionalistische Konvertiten aus anderen christlichen Gemeinden an, das sehen wir aktuell etwa bei den russischen Gemeinden in den USA. In anderen Fällen entwickeln diese Gemeinden eine besondere Offenheit und Dialogbereitschaft mit der modernen Welt, es entstehen freiere theologische Konzepte. Das ist der Fall bei der besagten Gemeinde in Amsterdam, die sich unter anderem sehr für eine orthodoxe Friedensethik engagiert haben, eine absolute Ausnahme in der orthodoxen Welt.

Für viele orthodoxe Gläubige ist die Haltung des Priesters eine ganz entscheidende Orientierungshilfe, und die Priester prägen entsprechend ihre Gemeinden. Wenn es zu Konflikten kommt, haben die Gläubigen oft nur die Möglichkeit, ihre Gemeinde zu verlassen, das passiert nach meiner Beobachtung in den russisch-orthodoxen Gemeinden in Europa und Nordamerika gerade recht viel. Wenn sich die Gemeinde einig ist, hängt viel vom Bischof ab – er kann die Gemeinde als Teil legitimer Vielfalt in seiner Kirche dulden, oder zusätzlichen Druck aufbauen. In der Ukraine sehen wir, dass viele Bischöfe ihre Priester in der Kriegssituation unterstützen, in dem Fall in Amsterdam führte diese fehlende Unterstützung nun zum Bruch.

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