Lokalisierte Geopolitik und alltägliche Europäisierung in den westlichen Grenzregionen der Ukraine: Zwischen EU-Integration und Krieg mit Russland
Lokalisierte Geopolitik und alltägliche Europäisierung in den westlichen Grenzregionen der Ukraine: Zwischen EU-Integration und Krieg mit Russland
Projektbeschreibung
In den letzten zehn Jahren hat die Grenze der Ukraine zur EU als „Tor zu Europa“ und Grenzraum der Europäisierung neue strategische Bedeutung erlangt. Mit der russischen Großinvasion wurde sie zu einem lebensrettenden Korridor und einem Ort der Solidarität für Millionen ukrainischer Bürger*innen. Aufgrund der geographischen Nähe zu EU und NATO genießen die westlichen Grenzregionen der Ukraine relative Sicherheit; sie sind zu einem „sicheren Hafen“ für Binnenvertriebene und umgesiedelte Unternehmen aus dem Osten und Süden geworden. Gleichzeitig sind diese Regionen die ersten, die mit Problemen in den Beziehungen der Ukraine zu ihren EU-Nachbarn konfrontiert werden, wie zum Beispiel den Erinnerungskriegen mit Polen oder den Spannungen bezüglich der ethnischen ungarischen Minderheit in Transkarpatien. Im Zusammenhang mit der russischen Aggression ist die ukrainische Westgrenze, einst ein Produkt von Großmachtabkommen und heute eine Außengrenze der NATO, auch ein Ort der geopolitischen Kontroverse. Nach der Rhetorik des Kremls sind Ostgalizien, Transkarpatien und die nördliche Bukowina (zusammen mit Wolhynien und Südbessarabien) „Geschenke Stalins an die Ukraine“. Die Schaffung alternativer Narrative und regionaler Identitäten ist eine Herausforderung für die lokalen ukrainischen Eliten, die sich oft im Spannungsfeld zwischen den Prioritäten Kyjiws einerseits und der EU-Nachbarn andererseits befinden. Die Bewohner*innen der westlichen Grenzregionen durchleben und erfahren diese geopolitischen Auseinandersetzungen von unten, durch die alltäglichen Praktiken des Grenzübertritts in die EU.
Das Projekt untersucht Prozesse der Europäisierung von unten und lokalisierte geopolitische Konflikte in drei Regionen der Ukraine (Lwiw, Transkarpatien und Czernowitz) an der Grenze zu Polen, Ungarn, der Slowakei und Rumänien. Es stützt sich auf drei theoretische Säulen: 1) auf das Konzept der Europäisierung, das über die Grenzen der EU hinaus angewandt wird und sich insbesondere mit den gesellschaftlichen Aspekten dieses Prozesses befasst; 2) auf einen „Bottom-up“-Ansatz der Geopolitik, die nicht als Vorrecht von Staaten verstanden wird, sondern lokale Gemeinschaften und normale Bürger*innen einbezieht; und 3) auf die Vorstellung von der Grenze als multiskalar, historisch vielschichtig und von lokalen Akteuren durch vielfältige grenzüberschreitende Verbindungen und Alltagspraktiken mitgestaltet. Das Projekt wendet ein mehrdimensionales Analysemodell an, das sowohl diskursive Repräsentationen von Grenzen und geopolitischen Vorstellungen als auch alltägliche Praktiken des Grenzübertritts berücksichtigt.
Kernfragen
- Wie verändern die russische Invasion und die EU-Integration die Rolle und Funktionen der westlichen Grenze der Ukraine und wie wirken sich diese Veränderungen auf die lokalen Gemeinschaften in den Grenzregionen aus?
- Wie nehmen lokale Eliten und die Zivilgesellschaft in der Westukraine die vorherrschenden geopolitischen Narrative zu ihren Regionen wahr und wie reagieren sie darauf? Welche alternativen geopolitischen Visionen, Projekte und Identitätskonstrukte entstehen von unten?
- Wie wird die EU-Integration der Ukraine auf lokaler Ebene wahrgenommen und erlebt?
- Wie wird der wachsende Euroskeptizismus innerhalb der EU in den drei Regionen der Ukraine wahrgenommen, die im Projekt behandelt werden?
Methodik
- Qualitative Inhaltsanalyse und kritische Diskursanalyse ausgewählter geopolitischer Texte
- Interviews mit Vertreter*innen der lokalen Eliten (öffentliche Verwaltung, NGOs, Wissenschaft und kulturelles Milieu)
- Fokusgruppen und Einzelinterviews mit Anwohner*innen, die die Grenze häufig überschreiten.
Gefördert durch: