ZOiS Report 2/2022

Young Poles in Times of Dramatic Change: Refugees, Identity and Social Engagement

Polens junge Generation in bewegten Zeiten: Geflüchtete, Identität und soziales Engagement

Zusammenfassung (Executive Summary)

Seit die konservative Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Jahr 2015 weitreichende Kontrolle über die polnische Politik gewonnen hat, hat sich die Art, wie die polnische nationale Identität öffentlich befördert grundlegend gewandelt – auch für junge Menschen. Dieser Report untersucht die politischen Einstellungen junger Menschen zusammen mit ihren Ansichten zur Ankunft der über zwei Millionen Geflüchteten aus der Ukraine im Jahr 2022 und ihre Sicht auf jene Geflüchtete, die seit 2021 versucht haben, über die polnisch-belarusische Grenze in die EU zu gelangen. Die Ansichten zu beiden Ereignissen erlaubt es uns zu verstehen, wie junge Menschen das Polnisch-sein verstehen. Wichtig für das Verständnis nationaler Identität ist darüber hinaus, wie junge Menschen Ereignisse der polnischen Geschichte bewerten und wie sie Polen in Europa verorten.

Die Ängste und Unsicherheiten, die junge Pol*innen äußern, werden in einer neuen Online-Umfrage analysiert, die im März 2022 unter 2002 Befragten im Alter von 16–34 Jahren durchgeführt wurden. Kombiniert wurde dies mit Ergebnissen aus Fokusgruppendiskussionen, die im Mai 2022 mit jungen Teilnehmer*innen und Personen über 65, durchgeführt wurden. Eine solche Kombination von Methoden gewährt einzigartige Einblicke in die Argumentationslinien hinter den Mustern, die sich in einer Umfrage identifizieren lassen.

Zentrale Einsichten lauten wie folgt:

  • Fast die Hälfte der jungen Menschen geben an, dass Polen so viele Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen solle wie nötig. Die Präsenz von Ukrainer*innen in Polen seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine 2014 und die daraus resultierenden persönlichen Kontakte sind ein wichtiger Faktor für die Aufnahmebereitschaft und die Unterstützung ukrainischer Geflüchteter, die seit dem Februar 2022 eingetroffen sind.
  • Es gibt außerdem eine weitgehende Zustimmung für die politische Unterstützung der Ukraine, insbesondere was humanitäre Hilfe betrifft. Daneben befürworten fast 15% der Befragten die Entsendung polnischer Soldat*innen in die Ukraine.
  • Die Aufnahmebereitschaft in Bezug auf die ukrainischen Geflüchteten steht in einem schroffen Kontrast zur Befürwortung der Pushbacks von überwiegend muslimischen Geflüchteten, die versucht haben, seit 2021 über Belarus nach Polen zu gelangen. Infolge des Zweiten Weltkriegs ist Polen ethnisch und religiös eine verhältnismäßige homogene Gesellschaft, was zu einer Angst vor dem Fremden, insbesondere Muslim*innen beiträgt. Es gibt darüber hinaus eine recht geringe Zustimmung dafür, diesen Geflüchteten das Recht zu gewähren, Asyl zu beantragen. Nur 9% der jungen Menschen geben an, dass diese Menschen auf jeden Fall das Recht haben sollen, sich um Asyl bewerben zu dürfen.
  • Das Geschlecht spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Einstellungen gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine und dem Nahen Osten zu verstehen: Frauen wollen mit größerer Wahrscheinlichkeit, dass ukrainische Geflüchtete zurückkehren, sobald es möglich ist; Männer neigten mit höherer Wahrscheinlichkeit dazu, eine härtere Linie gegen die Geflüchteten an der Grenze zu Belarus zu befürworten.
  • Ukraine und Belarus sind für junge Pol*innen ein anderes „Osteuropa“, als das Mitteleuropa, dem sie sich zugehörig fühlen.
  • Die informelle Unterstützung, die in Polen für die Geflüchteten aus der Ukraine, auch durch die junge Generation geleistet wurde, ist kaum zu beziffern. Viele boten Unterkunft in ihren eigenen Wohnungen, leisteten Transport und halfen bei der Ankunft, doch nur wenige bezeichnen diese in der frühen Phase des Krieges geleistete Hilfe in der Umfrage als „humanitäre Hilfe.
  • Unmut und Angst gehören zu den wichtigsten Emotionen, die die Meinungen und Stimmungen vieler junger Menschen prägen, wenn sie über ihr Verhältnis zu Geflüchteten und ihre damit verbundenen politischen Einstellungen sprechen. Junge Menschen, und insbesondere junge Frauen, äußern sich deutlich besorgter über soziale Themen wie den Zugang zu Kinderbetreuung, medizinischer Versorgung und die Situation auf dem Arbeitsmarkt als die Generation ihrer Großeltern. Diese Ängste und Unsicherheiten unterfüttern die Bewertung der Politik und die Einstellungen zur ethnischen und sozialen Vielfalt in Polen.