ZOiS Spotlight 10/2022

Russlands Abrutschen in die internationale Isolation

Von Michael Rochlitz 16.03.2022
Eine Frau in Moskau geht an einer digitalen Wechselkursanzeige vorbei. IMAGO/ITAR TASS

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Am 24. Februar 2022 befahl der russische Präsident Wladimir Putin einen umfassenden militärischen Einmarsch in die Ukraine. Grundlage seiner Entscheidung war eine Reihe von fatalen Fehleinschätzungen der Lage, da er sowohl die Kampfkraft der russischen Armee über- als auch die Entschlossenheit der ukrainischen Armee und Bevölkerung und die Bereitschaft des Westens, schwerwiegende Wirtschaftssanktionen zu verhängen, unterschätzt hat.

Im Zuge der massiven Sanktionen gegen die russische Wirtschaft wurde die Hälfte der Reserven der russischen Zentralbank eingefroren. Außerdem haben sie zu einem Kursverfall des Rubels um mehr als 40 Prozent und dem Rückzug der meisten westlichen Unternehmen aus Russland geführt. Verstärkte politische Repressionen und die Angst vor Grenzschließungen haben mehrere hunderttausend Russ*innen – einen signifikanten Anteil der intellektuellen Elite des Landes – dazu bewogen, ins Ausland zu fliehen.

Diese Entwicklungen werden katastrophale wirtschaftliche Auswirkungen haben. Im Augenblick scheinen sich jedoch weder die russische Regierung noch die Mehrheit der Menschen in Russland des Ausmaßes der sich bereits deutlich abzeichnenden wirtschaftlichen Katastrophe bewusst zu sein. Im besten Fall wird die russische Wirtschaft dieses Jahr um 10 bis 20 Prozent schrumpfen und damit einen etwas stärkeren Rückgang erleben als während der Finanzkrise 2008. Sollte der Krieg aber weitergehen und neue Kriegsverbrechen zu zusätzlichen Sanktionen führen, könnte eine ähnliche wirtschaftliche Katastrophe eintreten wie die, die der Zusammenbruch der Sowjetunion in den frühen 1990er-Jahren auslöste. 

Eine selbstverschuldete Katastrophe

Es gibt wenn überhaupt nur wenige Politiker*innen der jüngeren Geschichte, die ihrem eigenen Land in einer so kurzen Zeit so viel Schaden zugefügt haben wie Putin in den letzten 20 Tagen. Noch vor drei Wochen war Russland ein Land, das gut in die Weltwirtschaft integriert war, mit mittleren Einkommen und einem Lebensstandard in großen Teilen der Bevölkerung, der mit dem mancher europäischer Staaten vergleichbar war. Russ*innen konnten aus einer ähnlichen Auswahl an Konsumgütern wählen wie die Menschen in anderen Teilen der Welt, ab und an zum Urlaub ins Ausland reisen und mit einem relativ stabilen und friedlichen Leben rechnen.

Heute ist Russland ein nahezu komplett isolierter Pariastaat. Belarus, Eritrea, Nordkorea und Syrien sind die einzigen Länder, die gegen eine UN-Resolution gestimmt haben, die den Krieg in der Ukraine verurteilt. Einer von Forscher*innen der Yale University zusammengestellten Liste zufolge haben bis zum 15. März fast 400 ausländische Unternehmen ihre Geschäfte in Russland eingeschränkt oder komplett eingestellt. Lediglich 38 Unternehmen führen sie normal weiter. Da sowohl Airbus als auch Boeing ihre Serviceleistungen für russische Flugzeuge eingestellt haben, mussten russische Fluglinien internationale Flüge aussetzen und könnten bald gezwungen sein, auch Inlandsflüge zu streichen. Damit würde der Reiseverkehr innerhalb Russlands auf den Stand des frühen 20. Jahrhunderts zurückversetzt werden.

Sollte die aktuelle Situation bestehen bleiben oder sich sogar verschlimmern, wird voraussichtlich keines dieser Unternehmen nach Russland zurückkehren. Dem Land werden deshalb viele der Hightechprodukte und Konsumgüter fehlen, die es bisher importiert hat. Da Russland selbst nur sehr wenige Hightechprodukte herstellt, könnte das massive Folgen für die russische Wirtschaft haben, ihre Lieferketten beeinträchtigen und zu einer Situation im Land führen, die mit der des Irans in den letzten 30 Jahren vergleichbar wäre.

Der Brain-Drain, den die jüngste Repressionswelle ausgelöst hat, wird dem Land einen ähnlich schweren Schlag versetzen. Von den hunderttausenden Menschen, die Russland in den letzten Wochen verlassen haben, sind die meisten hochqualifizierte Fachkräfte und Forscher*innen, die schwer zu ersetzen sind. Die noch in Russland verbleibenden Wissenschaftler*innen werden den Zugang zu internationalen Netzwerken verlieren, da akademische Institutionen weltweit alle Verbindungen zu russischen Universitäten gekappt haben. Die Folgen für Wissenschaft, Forschung und Innovation in Russland werden verheerend sein.

Düstere Zukunftsaussichten

Selbst im bestmöglichen Fall eines sofortigen Friedens dürfte es einige Jahre dauern, um den bereits verursachten Schaden wieder zu beheben. Voraussetzung für ein solches Szenario wäre wahrscheinlich der Sturz des Regimes von Wladimir Putin und eine neue Regierung, die den Krieg beenden und Verantwortung für Russlands Handeln übernehmen würde. Dadurch könnte eine Rückkehr des Landes in die internationale Gemeinschaft ermöglicht werden. Selbst wenn dieses höchst unwahrscheinliche Szenario eintreten würde, wäre der wirtschaftliche Schaden für die russische Bevölkerung immer noch beträchtlich. Die in der Ukraine verübten Gräueltaten werden zudem sowohl bei Ukrainer*innen als auch Russ*innen tiefe Narben hinterlassen.

Bedauerlicherweise ist der wahrscheinlichere Fall, dass der Krieg sich noch eine Weile hinziehen und möglicherweise zu einem vollständigen Stopp aller westlichen Öl- und Gasimporte aus Russland führen wird. Auch wenn China bereit sein könnte einzuspringen, wird Russland seine Öl- und Gasexporte in der näheren Zukunft nicht steigern können, da die bestehende Infrastruktur im Fernen Osten bereits voll ausgelastet ist. Russland könnte infolgedessen zu einer großen Version Nordkoreas werden: einem wirtschaftlich von China abhängigen Land mit einer Regierung, die versucht durch strenge Reise- und Informationskontrollen zu verhindern, dass ihre Bevölkerung die wahren Gründe der Katastrophe erfährt, die über sie hereingebrochen ist.


Michael Rochlitz ist Professor für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt auf institutionellem Wandel an der Universität Bremen.