ZOiS Spotlight 3/2020

Russland in der deutschen öffentlichen Meinung

Von Liana Fix 22.01.2020
Der Kreml, Russlands Zentrum der Macht in Moskau. Anatoliy Minkov / Alamy Stock Foto

Russland ist ein Rätsel in einem Geheimnis, umhüllt von einem Mysterium“ – so hat der britische Premierminister Winston Churchill Russland einst beschrieben. Die öffentliche Meinung über das Land ist in Deutschland geprägt von Ambiguität: Auf der einen Seite Dankbarkeit für die deutsche Wiedervereinigung und Sympathie für Gorbatschow, was eine romantisch verklärte Vorstellung vom großen „Nachbarland“ zur Folge hat. Auf der anderen Seite das Bild vom „geliebten Feind“, die kritische Wahrnehmung der russischen Militärinterventionen in der Ukraine und Syrien sowie die als Machtinstrument empfundene russische Energiepolitik. Wie wirkt sich dieses komplexe Bild auf die Meinung der deutschen Bevölkerung zu Russlands Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik aus? 

Seit 2014 führt die Körber-Stiftung Umfragen zur außenpolitischen Einstellung der Deutschen durch, die in der Publikation „The Berlin Pulse“ zusammengeführt werden. Jedes Jahr werden dabei die wichtigsten Partner Deutschlands und Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik abgefragt. Die wichtigsten Ergebnisse aus der repräsentativen Umfrage 2019 (Erhebungszeitraum: September 2019) und den Vergleichswerten aus den Vorjahren geben Aufschluss über die Wahrnehmungen und Präferenzen der Deutschen in Bezug auf Russland.

Großes und kontinuierliches Interesse an mehr Kooperation mit Russland

In den letzten drei Jahren sprach sich eine klare Mehrheit für mehr zukünftige Kooperation mit Russland aus: 2017 waren es 78 Prozent, 2018 votierten 69 Prozent für mehr Zusammenarbeit und 2019 66 Prozent. Der Trend ist leicht abnehmend, jedoch unverändert stark: Russland rangiert nach Frankreich auf Platz 2 der Länder, mit denen mehr Kooperation gewünscht wird. Die USA sind seit der Wahl von Präsident Donald Trump abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Bei der Frage, welches Land der wichtigste oder zweitwichtigste außenpolitische Partner für Deutschland ist, liefert sich Russland in den letzten Jahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit China um Platz 3: War Russland in den Jahren 2017 und 2018 mit jeweils 11 Prozent und 17 Prozent noch auf Platz 3 nach Frankreich und den USA, wurde es 2019 von China überholt. Dabei ist Russland als außenpolitischer Partner für Ostdeutsche wichtiger als für Westdeutsche: 21 Prozent der Ostdeutschen betrachten Russland als wichtigsten oder zweitwichtigsten Partner, jedoch nur 9 Prozent der Westdeutschen. Ebenso betrachten ältere Menschen (ab 65 Jahren) Russland mit 17 Prozent als wichtigsten oder zweitwichtigsten Partner, bei den Jüngeren (18 bis 34 Jahre) sind es dagegen nur 8 Prozent.

Russland profitiert nicht von der Verschlechterung des transatlantischen Verhältnisses

Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Jahr 2016 hat sich das transatlantische Verhältnis dramatisch verschlechtert: 64 Prozent der Deutschen bewerten die Beziehungen zu den USA als schlecht oder sehr schlecht, 87 Prozent betrachten eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps als negativ oder sehr negativ. 52 Prozent wünschen sich eine größere Unabhängigkeit von den USA in der Verteidigungspolitik und würden dafür sogar eine Verdopplung des deutschen Verteidigungshaushaltes in Kauf nehmen.

Russland profitiert in der deutschen öffentlichen Wahrnehmung jedoch nicht von der Verschlechterung des transatlantischen Verhältnisses. Bei der Frage „Was ist wichtiger für Deutschland: Enge Beziehungen zu den USA oder enge Beziehungen zu Russland?“ liegen die USA zwar nur knapp, aber konstant vor Russland, die Zustimmung zu Russland hat hingegen leicht abgenommen:  

Was ist wichtiger für Deutschland: Enge Beziehungen zu…

2017: USA 42% – Russland 32%
2018: USA 38% – Russland 32%
2019: USA 39% – Russland 25%

Ostdeutsche sowie Wähler*innen von Die Linke und AfD sprachen sich dabei durchgängig für engere Beziehungen zu Russland statt zu den USA aus. 

Die Zahlen deuten darauf hin, dass die russische „soft power“ – die Attraktivität des Landes und seiner Politik – sich nicht relativ zum schlechter werdenden Verhältnis zu den USA verbessert. Zugespitzt formuliert: Nur weil Donald Trump als „unmöglich“ wahrgenommen wird, erscheint der russische Präsident dadurch nicht in einem besseren Licht.

Trotz dieses außenpolitisch goldenen Gelegenheitsfensters aus Moskauer Perspektive gelingt es der russischen Politik nicht, die deutsche öffentliche Meinung eindeutig für sich zu gewinnen. Im Jahr 2017, das aus russischer Sicht außenpolitisch insbesondere mit Blick auf seinen Militäreinsatz im Syrienkrieg als Erfolg gewertet wurde, beurteilten 48 Prozent der Deutschen Russlands Rolle in der internationalen Politik als destruktiv und nur 35 Prozent als konstruktiv. 

Außenpolitische Neutralität und Äquidistanz zu den USA und Russland

Eine weitere interessante Beobachtung: Bei der oben genannten Fragestellung haben sich 2017 und 2018 jeweils 20 Prozent der Befragten für gleich enge Beziehungen zu den USA und Russland ausgesprochen, 2019 waren dies sogar 30 Prozent. Äquidistanz – gleich enge Beziehungen zu beiden Ländern – ist also für ein Drittel der Deutschen die präferierte Politikoption.

Zudem sprachen sich nur 55 Prozent der Deutschen für Deutschlands außenpolitische Zugehörigkeit zur westlichen Staaten- und Wertegemeinschaft aus, 31 Prozent würden stattdessen eine neutrale Haltung bevorzugen. Im Osten ist die Meinung dazu geteilt: 43 Prozent der Ostdeutschen befürworten den „Westen“, 42 Prozent außenpolitische Neutralität. Daraus geht allerdings nicht hervor, was außenpolitische Neutralität bedeuten würde: 2018 hatten etwa noch 63 Prozent der Befragten eine positive oder sehr positive Meinung über die NATO.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die deutsche öffentliche Meinung nicht isoliert ist von den Verwerfungen in der internationalen Politik und der zunehmenden Rivalität der Großmächte USA, China und Russland. Umso wichtiger ist daher die klare Kommunikation deutscher Außen- und Sicherheitspolitik an die Öffentlichkeit.


Liana Fix ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin sowie Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung mit Fokus auf Russland/Osteuropa.