ZOiS Spotlight 33/2020

Russische Staatsmedien und Desinformation auf Twitter

Von Karina Shyrokykh 16.09.2020
© Keyworded /Alamy Stock Photo

Desinformation wird definiert als die gezielte Verbreitung falscher oder irreführender Informationen mit der Absicht, die Leser*innen zu täuschen oder zu verwirren, und die eigene Agenda voranzutreiben. Den staatlich finanzierten Medien in Russland wird seit langem vorgeworfen, vorsätzlich und systematisch Falschinformationen zu generieren und zu verbreiten. Kritiker*innen haben insbesondere auf die unrühmliche Rolle hingewiesen, die das staatliche Fernsehnetzwerk RT (früher Russia Today) und die Nachrichtenagentur Sputnik im Kontext von US-amerikanischen und europäischen Wahlen, bei den Ermitttlungen im Falle des abgestürzten Malaysia Airlines – Flugs MH17 und im Zuge politischer Ereignisse in der Ukraine, wie etwa der Orangenen Revolution 2004–2005 und den Antiregierungsprotesten des Euromaidan, gespielt haben.

Die Ukraine ist eines der häufigsten Ziele der vom Kreml geförderten Desinformation. Viele der Falschinformationen werden über soziale Medien verbreitet. Politiker*innen und Social-Media-Plattformen selbst versuchen deshalb stärker zu regulieren, welche Inhalte in sozialen Medien geteilt werden können, und Techniken zu entwickeln, mithilfe derer Falschinformationen identifiziert und deren Verbreitung eingedämmt werden können.

Die russischen Staatsmedien sind nicht unbedingt selbst Urheber der Falschinformationen. Stattdessen verbreiten sie oft von staatlichen Akteuren in die Welt gesetzte Falschinformationen, berichten Halbwahrheiten, und bieten eine Plattform für Verschwörungstheorien. So haben zum Beispiel RT und Sputnik durch einander widersprechende Interpretationen des Absturzes von Flug MH17 dazu beigetragen, falsche Versionen der Geschehnisse zu verbreiten, die vom russischen Staat und mit ihm verbündeten Akteuren fabriziert wurden. Einer dieser Akteure war der Waffenhersteller Almas-Antei, der wiederholt die Ergebnisse des Gemeinsamen Ermittlungsteams (Joint Investigation Team, JIT) durch die Behauptung infrage stellte, über „alternative Beweise” zu verfügen, die vom JIT bewusst ignoriert würden.

Themen der Berichterstattung in den russischen Medien

Um die wichtigsten Themen zu identifizieren, über die in den russischen Staatsmedien berichtet wird, sammelten und analysierten wir fast eine halbe Million Twitterposts von RT und Sputnik. Die gesammelten Daten stammen von den offiziellen, englischsprachigen Accounts der beiden Sender und umfassen den Zeitraum von 2009 bis 2017.

Soziale Medien bilden einen wichtigen Bestandteil von Desinformationskampagnen. Mithilfe sozialer Medien lassen sich Informationen schnell und effektiv verbreiten, und sie ermöglichen es den Rezipient*innen, mit den Inhalten zu interagieren, indem sie Nachrichten kommentieren oder teilen. Beispielsweise kann der Gebrauch von Hashtags die Suche nach Tweet vereinfachen, und er ermöglicht es, Nachrichten mit einem bestimmten Thema oder Inhalt zu finden.

Unsere Analyse liefert die erste systematische, auf Längsschnittdaten beruhende Einschätzung, über welche Themen bei RT und Sputnik berichtet wird, und wie stark die Resonanz ist, die ihre Tweets bei den Nutzer*innen sozialer Medien finden. Ein erstes, auffälliges Ergebnis ist das signifikante Ausmaß an Aufmerksamkeit, das die Posts von RT und Sputnik im untersuchten Zeitraum der Ukraine schenkten (Abbildungen 1 und 2). #Ukraine war der am dritthäufigsten verwendete Hashtag in den Tweets von RT; nur die Anzahl der Posts mit den Hashtags #news und #syria war noch höher. Etwa 10 Prozent aller Tweets von RT drehten sich um die Ukraine. Auch bei Sputnik fanden sich viele Posts zur Ukraine. Ihr Anteil an der Gesamtmenge aller Sputnik-Posts ähnelte jenem bei RT. Jedoch nahmen die USA, Präsident Wladimir Putin, Syrien und Russland bei Sputnik ein wenig mehr Raum ein.

Russische vs. westliche Social-Media-Aktivität

Im Allgemeinen war die Aktivität der russischen Medien im untersuchten Zeitraum ihrem Ausmaß nach mit der Aktivität renommierter westlicher Medien vergleichbar. Nutzer*innen interagierten jedoch in geringerem Maße mit den russischen Medieninhalten. So veröffentlichten zum Beispiel BBC und CCN Mitte 2017 jeweils etwa 70 Tweets am Tag, während Sputnik auf 150 und RT auf 80 Tweets pro Tag kam (Abbildung 3). Schaut man sich jedoch an, wie häufig die Nutzer*innen in den sozialen Medien mit den jeweiligen Inhalten interagierten, dann schnitt Sputnik mit ungefähr 10 Retweets pro Tweet im Jahr 2017 deutlich schlechter ab als BBC und CNN, die auf 80-150 Retweets kamen (Abbildung 4). RT erreichte jedoch eine ähnliche Anzahl an Retweets wie BBC und CNN.

 

Diese Daten zeigen, dass RT und Sputnik, die oft als Sprachrohre des Kremls bezeichnet werden, über dieselben Themen berichteten, aber ein unterschiedliches Maß an Aufmerksamkeit von ihrem jeweiligen Publikum erhielten. Diese Beobachtung könnte möglicherweise damit erklärt werden, dass sich die Leserschaft dieser Medien aufgrund ihrer – teils extremen – antiwestlichen und auf Verschwörungstheorien aufbauenden Narrative in Grenzen hält. Besonders im Fall von Sputnik könnte dies relevant sein, da dort öfter als bei RT Zielgruppen mit marginalen und teils radikalen Standpunkten angesprochen werden. Es kann argumentiert werden, dass solche marginalen Narrative nur wenig Anklang in der breiteren Öffentlichkeit finden, die sich stärker durch die Tweets von RT angesprochen fühlt.

Offene Fragen

Insgesamt behandeln RT und Sputnik ähnliche Themen und generieren eine ähnliche Anzahl an Tweets. Sputniks Posts auf Twitter werden jedoch seltener retweetet als die von RT. Politische Strategien, wie mit Medien umzugehen ist, die systematisch Falschinformationen verbreiten, sollten sich deshalb primär auf die Aktivitäten von RT konzentrieren, da das Fernsehnetzwerk offensichtlich in deutlich höherem Maße als Sputnik fähig ist, Botschaften zu generieren, die in großem Umfang geteilt werden.  

Um herauszufinden, warum bestimmte Zielgruppen mit diesen beiden Medienkanälen interagieren, wird weitere Forschung benötigt. Insbesondere bräuchte es ein genaueres Bild davon, welche Nachrichten in sozialen Netzwerken verbreitet werden und unter welchen Bedingungen dies geschieht. Auch wäre es wichtig, herauszufinden, ob Falschinformationen in breiterem Maßstab geteilt werden als objektive Berichterstattung. Weitere Forschungsarbeiten sollten außerdem genauere Untersuchungen in Betracht ziehen, welche Wirkungen die von RT und Sputnik in den sozialen Netzwerken verbreiteten Falschinformationen entfalten.


Karina Shyrokykh forscht an der Universität Stockholm und am Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten.