ZOiS Spotlight 20/2020

Religion und Staat im Südkaukasus während der Covid-19-Pandemie

Von Tsypylma Darieva 27.05.2020
Nationale Bedeutung der Kirche in Armenien: Das Oberhaupt der Armenischen Apostolischen Kirche bei den Feierlichkeiten zum Tag des Sieges 2020. © imago images / ITAR-TASS

Im Vergleich zu den westeuropäischen Ländern beschlossen die drei Staaten des Südkaukasus – Armenien, Georgien und Aserbaidschan – beachtlich früh Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Aserbaidschan gilt in diesem Zusammenhang als „Quarantäne-Regime“, das mit umfangreichen Restriktionen und autoritären Strafen bei Nichteinhaltung bereits am 10. März in das gesellschaftliche Leben eingriff. Anfang April wurden diese Restriktionen durch ein elektronisches Bewilligungsverfahren ergänzt, das es der Bevölkerung nur mit vorheriger SMS-Genehmigung erlaubt, den eigenen Haushalt zu verlassen.

Auch die armenische Regierung erklärte bereits am 16. März den Ausnahmezustand und schloss fünf Tage vor Aserbaidschan, am 23. Februar, seine Grenzen zum Iran. Innerhalb der Gesellschaft führten die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie dabei zu Kontroversen, insbesondere nachdem die Regierung strenge Einschränkungen für Journalist*innen beschlossen und Informationen verboten hatte, die nicht aus einer offiziellen Regierungsquelle stammten.  

Die georgische Regierung, die sich um westlich orientierte Demokratisierungsreformen bemüht, reagierte ebenfalls früh und vorbildlich. Schulen und Kindergärten, Geschäfte, Restaurants und Touristenorte sowie Friedhöfe wurden geschlossen. Am 21. März rief auch der georgische Staat den Ausnahmezustand aus. Am 14. April kündigte Premierminister Giorgi Gacharia an, dass die vier Städte Tiflis, Kutaissi, Batumi und Rustawi für zehn Tage abgeriegelt werden.

Religiöse Feiertage

Die Einführung von strikten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise fiel zu den wichtigsten religiösen Feiertagen, wie etwa die orthodoxen Osterfeiertage und dem muslimischen Fastenmonat Ramadan. Die Regierungen aller drei südkaukasischen Länder appellierten an die Bevölkerung, zu Hause zu bleiben, und warnten vor Kirchenversammlungen, gemeinsamen Freitagsgebeten in Moscheen, vor Besuchen von heiligen Orte und der Teilnahme an Pilgerfahrten.

Während die meisten religiösen Institutionen geschlossen bleiben oder digitale Alternativen entwickeln, setzt die georgisch-orthodoxe Kirche ihre traditionellen Gottesdienste weitestgehend fort. Trotz des staatlichen Appells blieben die Türen der Kirchen für die Osterfeierlichkeiten in Georgien geöffnet, auch wenn das Patriarchat minimale Zugeständnisse, wie etwa die Abstandsregelung von zwei Metern, einräumte. Dennoch wurden die staatlich verhängten Restriktionen seitens der Kirche und der Gläubigen zum größten Teil ignoriert. Die heilige Kommunion und die damit verbundene Verwendung gemeinsamer Löffel zur Verteilung von Wein unter den Gläubigen wurde aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr insbesondere von der Opposition und den liberalen Kirchen scharf kritisiert.  Mit der Fortführung der religiösen Traditionen werden der Sonderweg und die Autorität der Orthodoxen Kirche auch im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften in Georgien deutlich. So hat die Verwaltung aller georgischen Muslime die gemeinsamen Gebete zum Ramadan ausgesetzt. Ähnlich haben die katholische Kirche und die evangelisch-baptistische Kirche Georgiens beschlossen, Sonntagsgottesdienste per Livestream zu übertragen. Trotz des erhöhten Verbreitungsrisikos des Virus durch die religiösen Traditionen, scheint die georgische Regierung nicht bereit zu sein, der Orthodoxen Kirche Notstandsregeln aufzuzwingen.

In Armenien folgte die Armenische Apostolische Kirche den von den Behörden empfohlenen Schutzmaßnahmen des social distancing: Gottesdienste und Liturgien können nur hinter verschlossenen Türen abgehalten werden. Beerdigungen wurden auf kurze Friedhofszeremonien beschränkt. Auffällig schnell stellte die armenische Kirche ihre Gottesdienste digital um. Dennoch bleibt es für Gläubige möglich, durch individuelle Besuche allein in den Kirchen zu beten.

In Aserbaidschan blieben auf Beschluss der Regierung sämtliche Moscheen, Kirchen, Synagogen und Heiligtümer bereits mit den ersten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus geschlossen. Am 17. März teilte die Verwaltung der Muslime des Kaukasus mit, dass die Gläubigen verpflichtet seien, sich an diese Entscheidung zu halten. Diese Beschlüsse blieben auch mit Beginn des islamischen Fastenmonats am 24. April bestehen. Die seit 1993 als national geltenden höchsten Feiertage unter den Muslim*innen fanden damit unter streng eigehaltenen Quarantänebestimmungen statt.

Damit wird das tägliche Fastenbrechen am Abend (Iftar) nur in privaten Räumen im Kreis der Familie begangen. Die Restaurants, die während des Fastenmonats traditionellen Gerichte anbieten würden, bleiben bis Ende Mai geschlossen.

Verhältnis zwischen Religion und Staat

Die abweichenden Antworten der geistlichen Oberen auf die Corona-Maßnahmen spiegeln nicht nur die kulturell-religiöse Vielfalt des Südkaukasus wider, sondern auch die unterschiedlichen Beziehungsmuster zwischen Religion und Staat. Die Corona-Krise legt die unterschiedliche Umsetzung der Frage nach der Trennung von Kirche und Staat in den südkaukasischen Ländern offen. Ähnlich zu Georgien hat die Kirche in Armenien eine nationale Bedeutung und wird als Ressource der Machtlegitimierung wahrgenommen. Dennoch scheint in Zeiten der Krise der Pragmatismus und die fortgeschrittene Digitalisierung das Verhältnis zwischen der staatlichen Vertretung und der Kirche zu definieren. In Aserbaidschan dagegen finden die autoritären Maßnahmen zur Kontrolle des religiösen Lebens ihren Ausdruck in einer zentralistischen Religionspolitik. Damit ist das staatliche Monopol für die Gestaltung des religiösen Lebens grundsätzlich wie auch während der Corona-Krise wesentlich. Demgegenüber tritt die Kirche in Georgien als eigenständiger Akteur auf und teilt trotz der zunehmenden Kritik seitens zivilgesellschaftlicher Organisationen die politische Machtbühne mit dem georgischen Staat. Die Rückkehr der Religion, die als ein wichtiges Merkmal der Transformationsgesellschaften seit dem Ende der Sowjetunion gilt, verläuft in den drei Ländern nicht gleich und mit unterschiedlicher Intensität.


Tsypylma Darieva ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS.