ZOiS Spotlight 6/2020

Polnische Jugend, Nationalismus und die extreme Rechte

Von Tom Junes 12.02.2020
Mitglieder einer extrem rechten Vereinigung während des polnischen Unabhängigkeitsmarschs in Warschau am 11. November 2019. imago images / ZUMA Press

Polen ist seit Ende 2015 aufgrund der wahrgenommenen Erosion demokratischer Institutionen und einer daraus resultierenden illiberalen Wende in den Fokus medialer und akademischer Aufmerksamkeit gerückt. Trotz dieser Bedenken hat die populistische Regierung unter der „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS)-Partei eine Reihe von Wahlsiegen eingefahren, die ihren Höhepunkt in der Parlamentswahl vom Oktober 2019 fand, bei der die Partei ein zweites Regierungsmandat gewann.

Für viele Beobachter*innen der polnischen Politik war die vielleicht größte Überraschung der Parlamentswahl allerdings das Ergebnis der rechtsextremen Partei „Konföderation“, die es mit 1,3 Millionen oder 6,8 Prozent der Stimmen schaffte, die obligatorische Fünfprozenthürde zu überwinden und ins Parlament einzuziehen. Die Wahlbeteiligung war mit 61,7 Prozent eine der höchsten der vergangenen Jahrzehnte.

Entscheidender Faktor für den Erfolg der Konföderation war ihr Rückhalt unter polnischen Jungwähler*innen, bei denen sie ein Ergebnis von etwa 20 Prozent erzielte. Lässt sich aus diesen hohen Zustimmungswerten schließen, dass sich in Polens jüngerer Generation eine rechtsextreme Wende vollzieht? Wenn ja, wie kann das erklärt werden und welche Konsequenzen hätte es für die polnische Politik? 

Jugendliche Identität, Patriotismus und Nationalismus 

Um eine rechtsextreme Wende unter jüngeren Pol*innen zu verstehen, ist es notwendig, einen Blick auf mehrere aktuelle, miteinander verbundene Entwicklungen zu werfen. Die Verschiebung hat unterschiedliche Wurzeln, hauptsächlich aber dreht sie sich um Fragen der Identität und um Sorgen hinsichtlich der Zukunft der eigenen Kultur – und sie kam nicht aus dem Nichts. Seit Jahren lassen sich rechtsextreme Trends unter jungen Fußball-Ultras beobachten. In gleicher Weise könnten Teile der polnischen Hip-Hop- und Rap-Kultur mit ihrer gegenkulturellen Aura als Nährboden für rechtsextreme Tendenzen gesehen werden.

Das politische Gesamtgeschehen im Land und der öffentliche Diskurs haben – zu einem gewissen Grad – zur Entwicklung rechtsextremer Einstellungen bei jungen Menschen beigetragen. Die offizielle Geschichtspolitik und der damit oft einhergehende Konsumpatriotismus – zum Beispiel eingängige patriotische Slogans und die Vermarktung von Waren mithilfe von aufgedruckten Symbolen – haben eine Bühne für die Äußerung nativistischer und nationalistischer Ansichten geboten. Hinzu kam der Unmut angesichts nachteiliger Auswirkungen der Globalisierung, durch den rechtsextreme Einstellungen verstärkt wurden. So waren beispielsweise feindliche Stimmungen gegen Migrant*innen im Zuge der europäischen Flüchtlingskrise 2015 unter Jugendlichen am stärksten ausgeprägt.

Dass rechtsextreme Ansichten in letzter Zeit durch die regierende PiS-Partei und ihr nahestehende Medien in den Mainstream getragen werden, ist ein weiterer wichtiger Faktor, der das Wachstum einer rechtsextrem denkenden Jugend ermöglicht hat. Besonders deutlich zeigte sich dies am 11. November, als der alljährliche Marsch zur Feier der polnischen Unabhängigkeit sich zur größten, rechtsextremen Straßendemonstration Europas entwickelte und so zu einem Katalysator rechtsextremer Ansichten unter jungen Pol*innen wurde. Kurz gesagt liegt es mittlerweile im Trend, rechtsextrem zu sein.

Der Aufstieg der extremen Rechten

Lange Zeit schien es, als wäre die polnische Politik immun gegenüber rechtsextremen Tendenzen, wie sie in anderen Ländern der Region zu beobachten waren. Das hatte teilweise mit der seit Langem bestehenden Politik der PiS zu tun, durch eine Mischung aus teilweiser Kooptation und Spaltung keine Konkurrenz rechts von sich aufkommen zu lassen. Es entstand keine tragfähige rechtsextreme Vereinigung, auch weil die extreme Rechte kaum mehr als eine Ansammlung marginaler Bewegungen war. Das aktuelle Versagen der Strategie der PiS – das zu einem großen Teil ihrer Regierungstätigkeit geschuldet ist –, die Entstehung einer stabilen rechtsextremen Vereinigung und das Aufkommen einer kritischen Masse junger, männlicher Wähler tragen viel dazu bei, den Erfolg der Konföderation zu erklären.

Im letzten Jahrzehnt haben die Interessen junger Leute kaum Eingang in die Programme der großen politischen Parteien gefunden. Die Jugend stellte eine missachtete politische Nische dar, die sich für gewöhnlich Kandidat*innen zunutze machten, welche sich in Opposition zum Establishment befanden. Damit eröffnete sich eine Gelegenheit, die schließlich von der extremen Rechten ergriffen wurde. Umfragen unter Oberschüler*innen haben über die letzten Jahre hinweg übereinstimmend gezeigt, dass bei ihnen rechtsextreme und gegen das Establishment gerichtete Parteien am beliebtesten sind. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Popularität sich auch an der Wahlurne bemerkbar machen würde. Insofern kam der Erfolg der Konföderation nicht unerwartet.

Zwei weitere Faktoren trugen zum Aufstieg der extremen Rechten bei. Erstens durchlief die Medienlandschaft einen Wandel. Während sich die extreme Rechte traditionellerweise nur wenig Zugang zu den Mainstream-Medien zu verschaffen wusste, konnte sie in den sozialen Medien von derartigen Hindernissen unbeeinträchtigt die Früchte ihrer Anti-Establishment- Botschaften ernten. Der zweite und wichtigste Faktor war, dass die extreme Rechte es schaffte, ihre Zersplitterung zu überwinden, sich in einer einzigen Organisation zu vereinigen und so ihr gemeinsames Wähler*innenpotential zu bündeln. 

Ein vorübergehender Erfolg oder ein Vorgeschmack auf die Zukunft?

Trotz des Erfolgs der Konföderation in der Parlamentswahl letzten Oktober stehen die Chancen für die Rechtsextremen schlecht, sich langfristig als eine bedeutende politische Kraft zu etablieren, da die Partei sich lediglich an eine Nische innerhalb der Wählerschaft richtet. Zudem bleibt abzuwarten, ob jene jungen Wähler*innen, die dieses Mal für die Konföderation gestimmt haben, dies weiterhin tun wird oder sich stattdessen einer der größeren Parteien, wie der PiS, zuwendet.

Nichtsdestotrotz könnte diese Gruppe von jungen, rechtsextremen Wähler*innen den politischen Prozess in Polen kurz- bis mittelfristig spürbar beeinflussen. So könnten zum Beispiel andere Parteien dazu gebracht werden, sich stärker rechtsaußen zu positionieren. Dies könnte sogar bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl passieren: Obwohl nicht davon auszugehen ist, dass der junge Kandidat der Konföderation die zweite Runde der Stichwahl erreicht, werden andere Kandidat*innen möglicherweise versuchen, mit rechtsextremen Slogans um seine Wähler*innen zu werben. Die entscheidende Frage ist, in welchem Maße Polens Mainstream-Parteien fähig sind, der gefährlichen Versuchung zu widerstehen, sich noch weiter nach rechts zu orientieren.


Tom Junes ist promovierter Historiker und aktuell Marie Sklodowska-Curie-Fellow am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, Italien.