ZOiS Spotlight 37/2020

Autarkie statt Solidarität? Die Grenzsituationen Transnistriens und Abchasiens

Von Nina Lutterjohann 14.10.2020
Grenzübergang zwischen Abchasien und Georgien vor der pandemiebedingten Schließung (Aufnahme aus 2019). © Juan Alberto Casado / Alamy Stock Photo

Die anhaltenden Proteste in Belarus, anstehende Wahlen in Georgien und der Republik Moldau und die jüngsten „Hitzewellen“ um die Region Berg-Karabach richten die Aufmerksamkeit weg von den immer noch bestehenden Konfliktgebieten in einigen Ländern der Östlichen Partnerschaft (ÖP). Nach Angaben eines EU-Amtsträgers der ÖP sieht die Allgemeinsituation auch im mit der Republik Moldau in Konflikt stehenden Transnistrien sowie in Abchasien, das nach Souveränität von Georgien strebt, düster aus. Insbesondere die pandemiebedingten Grenzabschottungen haben nicht nur wirtschaftlich schwerwiegende Konsequenzen für die Regionen.

Eingeschränkter Personenverkehr

Die von Transnistrien aus von März bis Mai aufgrund der Covid-19-Pandemie geschlossene innermoldauische Grenze war für den Warenverkehr zwar weiter geöffnet, jedoch war der Personentransit nur mit Sondergenehmigungen gestattet. Aktuell läuft der Grenzverkehr im transnistrischen Teil der moldauisch-ukrainischen Grenze nur für Waren weiter. Die Arbeitsroutine bleibt dennoch überall erschwert. Eine 12-stündige Abwesenheit aus Transnistrien ist genehmigungsbedürftig, doch die vorherig geforderte 10-stündige Anmeldefrist macht dies laut Diplomatenkreisen oft unmöglich.

Auch der Import und Export über die innermoldauische Grenze ist bis heute insgesamt eingeschränkt. Der Grenzverkehr von Dienstleistungen wurde durch die Beschränkung der Bewegungsfreiheit stark reduziert. Ausgenommen davon sind Personen in den moldauischen Enklaven auf transnistrisch kontrolliertem Gebiet, die die Grenze täglich überqueren dürfen, sowie Lehrer*innen und Schüler*innen, die auf den Unterricht während der Abschottung nicht verzichten müssen. Die zwischenzeitlich auf 30 erhöhte Zahl von Quarantäneposten als Schutzmaßnahme (40 Prozent der Infizierten kamen aus der Republik Moldau), wurden nun auf 11 reduziert.

Während der Export und Import zwischen Moldau und Transnistrien zur wirtschaftlichen Routine gehört, existiert so gut wie gar kein Handel zwischen Abchasien und Georgien. Beide Wirtschaften sind zudem stark vom Tourismus abhängig, der unter der aktuellen Situation besonders leidet. Seit dem 14. März 2020 ist die administrative Grenzlinie aufgrund der Pandemie weitestgehend geschlossen, auch wenn die georgische Seite laut EU-Informationen offen sein soll. Während Georgien seit dem 31. Juli 2020 nur Staatsbürger*innen aus Frankreich, Deutschland, Estland, Lettland und Litauen – sowie weiteren EU-Ländern mit 14-tägiger Quarantäne – Einlass gewährt, hat Abchasien am 1. August 2020 nur seine Grenze zu Russland geöffnet. Es ist nachvollziehbar, dass die Schließung der konfliktbedingten Grenzen vonseiten der De-facto-Staatsgebiete den Ausbruch der Pandemie minimieren sollte, allerdings mit hohen Kosten der Freizügigkeit im Personenverkehr.

Mentale Grenzen schaffen auch Selbstbewusstsein

Die Grenzschließungen zur Eindämmung der Pandemie haben nicht nur den faktischen Übertritt erschwert, sondern darüber hinaus mentale Grenzen verstärkt. Beispiele aus dem humanitären Bereich zeigen, welche Konsequenzen diese Situation nach sich zieht. Ein EU-Amtsträger berichtete, dass einer Frau aus Abchasien, die aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands in ein Krankenhaus nach Georgien gebracht werden sollte, der Übertritt der Grenzlinie von den abchasischen Behörden untersagt wurde. Ähnliches geschah in Transnistrien, wo die Behörden Mediziner*innen, die täglich den Grenzfluss überquerten, um in einem moldauischen Krankenhaus zu arbeiten, bei der Rückkehr einen Test oder Quarantäne verlangten und nicht bereit waren, Ausnahmen für Pendler*innen zu machen. Laut der OSZE funktioniert aber die Verlegung von Patient*innen von Transnistrien nach Chisinau. Die EU sah sich daraufhin veranlasst, die Miete für eine Unterkunft am Arbeitsort der Ärzt*innen zu übernehmen.

Auch aus dem wirtschaftlichen Bereich gibt es Anzeichen für zunehmende Spannungen in den Konfliktgebieten. Die Grenzschließung Transnistriens zur Ukraine sollte eigentlich den Handel mit der moldauischen Hauptstadt Chisinau fördern, dennoch hat durch die unübersichtliche Situation der Grenzschließung aber der illegale Handel über das transnistrische Wirtschaftszentrum Tiraspol zugenommen, so dass sich die offiziellen Wirtschaftsbeziehungen durch die starken Kontrollen verschlechtert haben. Der in Transnistrien aufgrund der Corona-Krise ausgerufene Ausnahmezustand, der seit Juni für den Personenverkehr gelockert ist, behält Kontrollpunkte mit temporären Grenzschützern, die jetzt wieder von der Polizei übernommen wurden, bei. Internationale Regierungsbeamte fanden, dass sich während dieser Zeit auf beiden Seiten mehr Selbstbewusstsein herausgebildet habe und damit die Konfliktlösung in die Ferne gerückt sei.

Die Aussöhnungsprozesse gehen weiter

Die Gespräche im 5+2-Format zur Beilegung des Transnistrienkonfliktes verabschiedeten 2016 das „Berlin Plus Package“, das zu den fünf bereits zuvor festgelegten Bereichen drei weitere hinzufügte, und dem Treffen in Wien 2017 und Rom 2018 folgten. Die Bereiche betreffen unter anderem Bewegungsfreiheit, Telekommunikation, Banksektor und Schulen mit Unterricht in lateinischer Schrift. Trotz des im Herbst 2019 durch die innenpolitischen Entwicklungen unterbrochenen Prozesses ermutigte der Sonderbeauftragte der OSZE für die Beilegung des transnistrischen Regulierungskonfliktes, der österreichische Botschafter Thomas Mayr-Harting, den moldauischen Präsidenten Igor Dodon und sein transnistrisches Pendant, Vadim Krasnoselsky, den konstruktiven Dialog bald wiederaufzunehmen.

Die georgische Initiative „A Step to a Better Future” vom 4. April 2018, von der abchasische Vertreter*innen erst erst nach der Veröffentlichung unterrichtet wurden, liegt seit über zwei Jahren brach. Obwohl der Plan den Ausbau des offiziellen Handels und des Bildungssektors vorsah, fehlte Zuspruch und Umsetzbarkeit. Der Hauptgrund: die Aufrechterhaltung des georgischen Gesetzes zu den „besetzten Gebieten“ vom 23. Oktober 2008, das Abchasien und Südossetien als von Russland okkupiert begreift, nachdem Russland – und bis dato vier weitere Staaten – deren selbsterklärte Unabhängigkeit anerkannt hat. Die abchasische De-facto-Regierung wiederum schränkt laut Berichten die Rechte ethnischer Georgier*innen auf ihrem Gebiet weiterhin ein. Es bestärkt das Bild einer Ethnokratie in Abchasien. Die EU bleibt über den Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und der Krise in Georgien, Toivo Klaar, engagiert.

Die Effekte der Pandemie haben viel zur neuen Bewegungseinschränkung der Menschen beigetragen. Auch wenn dies derzeit kein Einzelfall ist, haben die strengen Kontrollen Barrieren errichtet, die eher auf partielle Autarkie als auf Solidarität hindeuten.


Nina Lutterjohann ist Politikwissenschaftlerin und war von Mai bis September 2020 Gastwissenschaftlerin am ZOiS. Sie forscht zu Konflikten und Migrationskontexten im postsowjetischen Raum.