ZOiS Spotlight 1/2019

Der Verkauf von Agrarland in der Ukraine

Von Sabine von Löwis 09.01.2019
Typische ländliche Struktur mit kleinen Hofwirtschaften in der Westukraine. Sabine von Löwis

Landwirtschaftliche Nutzfläche darf in der Ukraine nicht verkauft werden. Seit 2002 besteht ein Moratorium, das im Dezember 2018 zum zehnten Mal bis zum 1. Januar 2020 verlängert wurde. Das verabschiedete Gesetz verpflichtet das Ministerkabinett bis zum 1. März 2019 ein Gesetz über den Verkehr von landwirtschaftlicher Nutzfläche vorzulegen. In die öffentliche Debatte geriet das Moratorium im Mai 2018, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aufgrund einer Klage zweier Ukrainer*innen feststellte, dass es den Artikel 1 des Protokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention verletze und die Ukraine aufforderte, entsprechende Gesetzesmaßnahmen zu beschließen.

Der Verkauf von Land ist ein andauerndes Thema in der ukrainischen Politik, das immer dann besonders kontrovers diskutiert wird, wenn das Auslaufen des Moratoriums kurz bevorsteht. Die Ukraine verfügt über ca. 43 Millionen Hektar guten Agrarbodens, der verschiedene Begehrlichkeiten weckt. Das Moratorium wird einerseits als Hindernis für die Entwicklung eines liberalen Agrarmarktes angesehen. Andererseits zeigen Befragungen, dass große Teile der Bevölkerung gegen eine Aufhebung des Moratoriums stimmen würden.

Hintergrund

Das Moratorium entstand im Rahmen der Dekollektivierung der Landwirtschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Seit 1992 ist Land in der Ukraine im Privatbesitz. Um die Eigentümer*innen vor unüberlegten Verkäufen zu schützen, aber auch um die Konzentration von Land in wenigen einzelnen Händen und eine dadurch drohende Verarmung der ländlichen Bevölkerung zu verhindern, wurde 2001 die Veräußerung von Land zunächst bis 2004 verboten. Oft wird in der Argumentation auch hervorgehoben, dass das Land in ukrainischen Händen bleiben solle, da man bei einer Öffnung des Marktes für Landkauf Übernahmen durch ausländische Käufer*innen und somit den Verlust der Kontrolle über den eigenen befürchtete. Das Moratorium sollte nur so lange in Kraft sein, bis entsprechende Gesetzesregelungen erstellt sein würden, die einen Markt für Agrarland ermöglichen, ohne die befürchteten Entwicklungen zu riskieren. Auf solche Gesetzesregelungen konnte man sich bis heute nicht einigen, so dass das Moratorium seit 2001 regelmäßig verlängert wurde.

Die befürchteten Phänomene konnten durch das Moratorium jedoch nicht verhindert werden. Die Landbevölkerung ist arm, immer mehr Menschen ziehen in die Städte oder migrieren ins Ausland. Die Bewirtschaftung von Land ist bei wenigen großen ukrainischen Agroholdings konzentriert, die zudem mit internationalen Anteilseignern funktionieren. Neben den traditionellen Oligarchen, die aus der Industrie stammen, hat sich eine Agraroligarchie herausgebildet, zu der auch der derzeitige Präsident Petro Poroschenko gehört. Die Konzentration von Land in großen Betrieben mit ausländischer Beteiligung, die üblicherweise als Land Grabbing bezeichnet wird, gibt es also auch in der Ukraine – allerdings nicht infolge des Kaufs von Land, sondern infolge der Vergabe und des Handels mit Nutzungsrechten.

Agroholdings und Hofwirtschaften

Durch landwirtschaftliche Reformen nach der Unabhängigkeit der Ukraine entstanden Großbetriebe, oftmals als Nachfolgebetriebe aus den vormaligen Kolchosen und Sowchosen, sowie kleinere Hofwirtschaften. Letztere sicherten die Selbstversorgung vieler Familien in der Transformationsphase nach 1990 und spielen bis heute eine wichtige Rolle. Ab den 2000er Jahren gingen zudem Agroholdings aus den Großbetrieben hervor. Im Jahr 2018 schätzt der Ukrainian Agribusiness Club, dass große Unternehmen etwa 29 Prozent der ukrainischen Agrarflächen nutzen. Zu den größten Agroholdings in der Ukraine zählen derzeit Kernel und UkrLandFarming mit jeweils ca. 570.000 Hektar Land. Diese Unternehmen exportieren auf den Weltmarkt und erwirtschaften hohe Gewinne.

Den Großbetrieben stehen ca. 5,5 Millionen Hofwirtschaften gegenüber, die jeweils ca. 2,5 Hektar Land bewirtschaften und für die Selbstversorgung sowie für den lokalen Markt produzieren. Obgleich sie häufig als nicht effizient präsentiert werden und dem Bild einer modernen durchkapitalisierten Landwirtschaft nicht entsprechen, erwirtschaften sie ca. 45 Prozent des landwirtschaftlichen Bruttoinlandsproduktes und sichern das Überleben der verbliebenen ländlichen Bevölkerung sowie der dortigen sozialen und wirtschaftlichen Netzwerke. Die Hofwirtschaften verfügen in der Regel über Grundstücke, die direkt der Hauswirtschaft zugeordnet sind und als solche bereits während sowjetischer Zeit bewirtschaftet wurden. Zusätzlich verfügen sie über durchschnittlich vier Hektar Land aus der Dekollektivierung, das sie an die Agroholdings oder größere landwirtschaftliche Unternehmen verpachten. Dafür erhalten sie einen Anteil aus den Gewinnen des Pächters, der diesen oft in Naturalien zahlt und damit zum Erhalt der Hofwirtschaften beiträgt.

Für und Wider des Verbots von Agrarlandhandel

Das Moratorium stützt die aktuelle Situation. Die Agroholdings können zu sehr günstigen Tarifen Land pachten und ihre Produkte auf dem Weltmarkt verkaufen, große Gewinne erwirtschaften und sich weiter ausdehnen. Eine Öffnung des Marktes für Ackerland würde dieses System deutlich in Unruhe bringen.

Unter den Landeigner*innen gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Eigentümer*innen, die ihre Hofwirtschaften betreiben, erhalten ihren Anteil aus der Verpachtung ihres Landes, den sie wiederum in ihre Wirtschaften einspeisen. Würde das Moratorium aufgehoben, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Höfe zunehmend aus der Agrarlandschaft verschwinden und eine weitere Abwanderung ländlicher Bevölkerung stattfindet, da sie der Konkurrenz der Agroholdings nicht standhalten. Jene, die kleinere landwirtschaftliche Betriebe ausbauen wollen, konkurrieren bereits jetzt um Land mit den Agroholdings; eine Aufhebung des Moratoriums würde dies verstärken und auch sie aus dem Markt verdrängen. Eigentümer*innen, die bereits in die Stadt abgewandert sind und Land verkaufen wollen, würden von einer Aufhebung profitieren, da sie es nun gewinnbringend veräußern könnten.

Die ukrainische Regierung steht unter Druck, das Moratorium aufzuheben und Gesetzesgrundlagen zu schaffen. Einerseits bringt sie das Urteil des EGMR in Bedrängnis, denn wenn keine Regelungen gefunden werden, drohen Kompensationsforderungen von klagenden und verkaufswilligen Eigentümer*innen. Gleichzeitig fordern die Europäische Union, die Weltbank und der Internationale Währungsfond, das Moratorium aufzuheben. Sie repräsentieren u.a. internationale Investoren, die darauf warten, in den Markt einzudringen. Sie setzen auf effizienzorientierte Landwirtschaft, der kleine Hofwirtschaften und damit verbundene soziale und wirtschaftliche Netzwerke erfahrungsgemäß nicht standhalten können.

Die Entscheidung, das Moratorium zu verlängern, erklärt sich daher leicht aus den aktuellen Befindlichkeiten und landwirtschaftlichen Strukturen der Hofwirtschaften und Agroholdings. Gleichzeitig wird deutlich, dass weniger interne Probleme als der Druck der globalen Marktwirtschaft dazu drängt, Änderungen des aktuellen Regimes herbeizuführen. Diese werden dann vermutlich eine grundlegende Transformation der ukrainischen Agrarstrukturen hervorrufen, die die wenigsten begeistern wird. Hier eine passende Lösung zu finden, die sowohl einer globalisierten Landverwertung als auch den Bedürfnissen der lokalen bäuerlichen Wirtschaft gerecht wird, ist eine schwierige Aufgabe.


Sabine von Löwis ist promovierte Kultur- und Sozialgeographin. Seit Dezember 2017 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS, wo sie ein Projekt zu Mikrogeographien von Konfliktkonstellationen im südwestlichen postsowjetischen Raum leitet.