ZOiS Spotlight 44/2018

Rumänien, eine Erfolgsstory der EU?

Von Alina Mungiu-Pippidi 19.12.2018
Andrei Stanescu / Alamy Stock Foto

Rumänien ist erst spät zur Demokratie gelangt, und es ist eine Erfolgsgeschichte. 1989 hatte in Europa nur Albanien eine vergleichbare Liste an Unterdrückung von Andersdenkenden und der Durchdringung durch die Kommunistische Partei aufzuweisen – die KP in Rumänien hatte vier Millionen Mitglieder bei einer erwachsenen Bevölkerung von 18 Millionen. Doch die regionale Welle der Demokratie schwappte auch über Rumänien, auch wenn es länger dauerte als in Mitteleuropa.

Im Dezember 1989 nahmen Teenager die Sache in die Hand und kletterten auf die Panzer in der Innenstadt von Bukarest, während gleichzeitig einige hochgestellte Akteure im Geheimdienst Securitate und in der Armee insgeheim die Absetzung des Diktators Nicolae Ceaușescu planten. Das führte zum blutigsten Regimewechsel in Osteuropa mit tausend Toten, darunter auch Ceaușescu und seine Frau, die exekutiert wurden. Die Ereignisse wurden als „gestohlene Revolution“ bezeichnet, bei der vielmehr die Verschwörer in Armee und Geheimdienst, und nicht die Jugendlichen auf der Straße die weitere Transformation kontrollierten.

Somit entwickelte sich eine Demokratisierung ohne „Entkommunisierung“. Es gab einige gewaltträchtige Szenen, etwa, als Kohlenarbeiter nach Bukarest zogen, um Studenten zu attackieren, die für die Freiheit demonstrierten. Die Gesellschaft konsolidierte sich jedoch an dem Ziel einer EU-Mitgliedschaft, zu dem die Parteien 1996 ein Abkommen unterzeichneten. Die Sozialdemokratische Partei (SDP), die in der Übergangszeit vorherrschend gewesen war, musste 1996 ihre Niederlage einräumen und seither haben die Wahlen für durchweg normale Machtwechsel gesorgt.

Europäisierung und Korruption

In den Umfragen des Eurobarometers der EU zeigen die Rumänen unter allen Europäern am stärksten ihre Unterstützung und ihren Optimismus für eine EU-Integration, wenn auch die Begeisterung nach der Eurokrise etwas abgenommen hat. Die Europäisierung des Landes schritt ohne viel Entkommunisierung voran, da sie zu großen Teilen von ehemaligen Kommunist*innen geleitet wurde, und Leute, die mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hatten, in allen wichtigen Parteien zu finden waren.

Umfangreiche Korruption war der Preis hierfür. Der anfängliche Klientelkapitalismus der 1990er Jahre verschwand im gleichen Maße, in dem Rumänien nahezu all seine Banken und Versorgungsunternehmen per Verkauf an europäische Firmen privatisierte und die rumänischen Klientelkapitalist*innen entweder im Gefängnis landeten oder zu angesehenen Geschäftspartner*innen westeuropäischer Unternehmen wurden. Während es weiterhin Korruption in Form von Günstlingswirtschaft bei öffentlichen Aufträgen gibt, sind die entstehenden „Renten“ in vielen Bereichen erheblich geringer geworden, etwa in der Energiebranche, und in der Form von Schmiergeldern fast ganz verschwunden.

Rumänien hat strengere Antikorruptionsvorschriften als Frankreich, und seine unabhängigen Gerichte haben gegen viele Spitzenpolitiker*innen Urteile verhängt: Allein in den letzten fünf Jahren sind 18 Minister*innen verurteilt worden, darunter auch ein Ministerpräsident. Über die Hälfte der Landräte und Bürgermeister*innen sind vor den Wahlen von 2016 der Korruption beschuldigt worden, doch in vielen Fällen haben dann Verwandte oder Freunde ihre Mandate und Posten erfolgreich verteidigen können: 2012 und 2016 gewann die SDP mit rund der Hälfte der Mandate (Verbündete der Partei nicht mitberechnet) die Macht zurück. Da sie nicht in der Lage war, die Staatsanwaltschaften des Landes – die zum Teil vom Geheimdienst wegen dessen eigener Agenda manipuliert werden – unter ihre Kontrolle zu bekommen, versucht die SDP-Mehrheit stattdessen, die Antikorruptionsgesetze zu verwässern. Anhänger*innen der Oppositionsparteien sind in den letzten zwei Jahren gegen solche Pläne regelmäßig mit Straßenprotesten vorgegangen. Allerdings hatte der Versuch, im Parlament ein Misstrauensvotum durchzubekommen und im August sogar das Regierungsgebäude zu stürmen (wobei die Spezialkräfte der Polizei überreagierten), bislang nicht den Erfolg, die Mehrheit der SDP zu erschüttern.

Konsens bei der Unterstützung für die EU

Die etablierten Parteien in Rumänien – Kommunisten wie Antikommunisten – sind bis 2012 gleichermaßen korrupt gewesen. Das ist der Grund, warum viele einfach die SDP wählten, die als verteilungsfreundlicher und effizienter wahrgenommen wurde. Bei der Direktwahl des Präsidenten 2014 jedoch entschieden sich die Wähler*innen für den evangelischen Bürgermeister von Sibiu, den deutschsprachigen Klaus Iohannis, und nicht für den Kandidaten der SDP.

Das hat zu einem streitbeladenen Nebeneinander geführt, bei dem es Iohannis bisher nicht gelang, seine Partei, die Nationalliberalen, mit in die Regierung zu hieven. Iohannis kontrolliert den Geheimdienst, dem massenhafte Abhörmaßnahmen nachgewiesen wurden, wie auch eine Einmischung in die Korruptionsbekämpfung und in lukrative IT-Verträge. Ungeachtet der offenen (und nicht sonderlich verfassungskonformen) Unterstützung des Präsidenten für seine Partei haben die Liberalen es bei den letzten Wahlen nicht vermocht, mehr als ein Viertel der Stimmen zu erringen; zudem werden sie derzeit durch neue systemfeindliche Parteien herausgefordert.

Rumäniens Verfassungsgericht wird als Schlichter in diesem politischen Konflikt überbeansprucht; dadurch erhält es eine Rolle, die es dazu nötigt, erhebliche Teile der Gesetzgebung zu begutachten und abzulehnen. Das Gericht verdient eine größere Stärkung durch die Europäische Kommission, die zu oft nur damit beschäftigt zu sein scheint, das Land danach zu beurteilen, ob es auf zuvor ergangene Empfehlungen der Kommission gehört hat, und nicht danach, ob es wirkliche Erfolge im Kampf gegen die Korruption erzielt hat.

Ungeachtet der umfangreichen und auf der Oberfläche ausgetragenen politischen Konflikte, die die Wahlbeteiligung auf unter 40 Prozent haben sinken lassen, besteht über die rumänischen Parteien hinweg ein fester Konsens hinsichtlich der Unterstützung in Richtung EU, NATO und Marktwirtschaft. Eine von der orthodoxen Kirche unterstützte Volksabstimmung, durch die homosexuelle Ehen verboten werden sollten, scheiterte, weil die notwendige Beteiligung nicht erreicht werden konnte. Die Mitgliedschaft in der EU hat den Wohlstand der Rumän*innen im letzten Jahrzehnt verdoppelt, doch besteht weiterhin eine drastische Ungleichheit. Nach der Finanzkrise von 2007/08 kehrten die Wachstumsraten von durchschnittlich fünf Prozent zurück, trotz des gleichzeitig noch stärkeren Anstiegs der Sozialausgaben. Drei Millionen Rumänen arbeiten im europäischen Ausland, einige davon saisonweise, und deren Geldtransfers nach Rumänien sind beträchtlich.

Rumän*innen sprechen im Allgemeinen mindestens eine Fremdsprache, im Fernsehen werden ausländische Filme nicht synchronisiert, viele Läden sind nachtsüber geöffnet, die Menschen in Rumänien haben Hochgeschwindigkeits-Internet und können sich in den Städten und Dörfern sicher fühlen. Neben der Korruption hat Rumänien zwar noch mit der Qualität des Gesundheitswesens und der Infrastruktur zu kämpfen, doch bedeutet das Land in vielfacher Hinsicht einen Triumph für die Europäische Union – man vergleiche es nur mit dem Rumänien, das Ceaușescu 1989 hinterlassen hat.


Alina Mungiu-Pippidi (againstcorruption.eu) ist Leiterin des European Research Centre for Anti-Corruption and State-Building an der Hertie School of Governance in Berlin.