ZOiS Spotlight 5/2018

Alle Hindernisse beseitigt?

Von Beate Eschment 14.02.2018
Der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew scheint mit der Absetzung des Geheimdienstchefs den Weg für Reformen geebnet zu haben. Pressestelle des russischen Präsidenten

Usbekistan war mehr als zwei Jahrzehnte lang Synonym für Stillstand, Diktatur, ökonomische Krise, Korruption und Isolation. Schawkat Mirsijojew, der Nachfolger des langjährigen ersten Präsidenten des Landes, Islam Karimow, hat sich seit Herbst 2016 dem riesigen Reformbedarf gestellt, diverse Maßnahmen zur innenpolitischen und ökonomischen Liberalisierung ergriffen und Usbekistan gegenüber dem Ausland geöffnet. Bislang sind seine Reformen allerdings wenig strukturell und nachhaltig, insbesondere im Menschenrechtsbereich besteht noch großer Handlungsbedarf. Das wurde vielfach weniger mangelndem Reformeifer des Präsidenten zugeschrieben, als seiner noch nicht ausreichenden Machtbasis gegenüber mächtigen Bremsern, allen voran dem SNB mit seinem Chef Inojatow.

Eine unrühmliche Karriere

Der 73-jährige Rustam Inojatow hatte das Amt des Geheimdienstchefs seit 1995 inne. Als reale Person war er im Land unsichtbar, sein Name war aber geeignet, Angst und Schrecken hervorzurufen, denn mit ihm sind willkürliche Verhaftungen, Folter und weitere schwere Menschenrechtsverletzungen verbunden. Traurige Berühmtheit erlangte er 2005, als Sicherheitskräfte in Andischan ohne Vorwarnung in eine Masse von friedlichen Demonstrant*innen schossen. Offiziell wurde die Zahl der Toten mit 87 angegeben, inoffiziell mit über 1.000. Nicht zu Unrecht wurde Inojatow gerade als „eine der skrupellosesten Figuren im postsowjetischen Raum“ bezeichnet.

Der SNB war 1991 als usbekische Nachfolgeinstitution des sowjetischen Geheimdienstes KGB mit den Aufgabengebieten Aufklärung und Kampf gegen das organisierte Verbrechen gegründet worden. Unter Inojatow wurde er zur mächtigsten und geheimsten Institution des Landes. Die Zahl der Mitarbeiter*innen ist unbekannt, doch muss sie sich unter Inojatow vervielfacht haben, denn nach internen Machtkämpfen konnte er den militärischen Geheimdienst, die Sondertruppen des Innenministeriums wie auch Grenzsicherheit und Zoll dem SNB einverleiben.

Mit diesem umfassenden Überwachungsapparat war der SNB die wichtigste Stütze des diktatorischen Regimes Islam Karimows. Dafür dankte der Präsident mit der Gewährung auch außerhalb der Legalität stehender ökonomischer Vorteile, nicht nur für den Chef, sondern hinab bis zu den unteren Chargen. Expert*innen gehen davon aus, dass der SNB unter anderem exklusiven Zugriff auf den Devisenschwarzmarkt hatte und Einnahmen aus dem Außenhandel abschöpfte.

Kampf um die Macht

Unter diesen Bedingungen versteht sich von selbst, dass der Geheimdienst und sein Chef Gegner der von Mirsijojew begonnenen Veränderungen waren. Anfang 2017 zeigte sich noch recht deutlich, dass der neue Präsident das Heft nicht in der Hand hatte: Mirsijojew sah sich, offensichtlich auf inneren Druck, gezwungen, die von ihm drei Wochen zuvor öffentlich angekündigte Visafreiheit für Bürger*innen von 27 Staaten, darunter auch Deutschland, wieder in die ferne Zukunft zu verschieben. Der Widerstand des SNB äußerte sich nicht nur im sicherheitsrelevanten Bereich, sondern auch bei ökonomischen Reformprojekten, zum Beispiel der Frage der Rückkehr der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) nach Usbekistan – unter anderem wegen der von der Bank geforderten Liberalisierung des Devisenmarktes. In diesem Fall haben die Befürworter*innen von Reformen gewonnen. Im Laufe des Jahres 2017 konnte Mirsijojew zunehmend weitere Entscheidungen durchsetzen, die keine Freude bei Inojatow ausgelöst haben können. Darunter beispielsweise die Absetzung seines Stellvertreters Schuchrat Guljamow, der im August 2017 sogar zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, oder der Beschluss, die inneren Truppen wieder dem Innenministerium zu unterstellen.

Im Dezember 2017 war die Zeit dann offenbar reif für eine offene Kampfansage. In einer Rede vor dem Parlament kritisierte Mirsijojew in Gegenwart Inojatows die zu große und willkürlich ausgeübte Macht des SNB und kündigte ein neues Gesetz über den Sicherheitsdienst an. Am 16. Januar 2018 folgte die Mitteilung, dass die SNB-Vertreter*innen aus den usbekischen Auslandsvertretungen abberufen wurden. Der „Rücktritt“ des Geheimdienstchefs am 31. Januar erscheint somit nur noch als logische Fortsetzung dieser Entwicklung. Inojatow wurde am selben Tag zum Berater des Präsidenten und Senator ernannt. Es bleibt abzuwarten, ob ihn dies langfristig vor strafrechtlicher Verfolgung schützt. Nachfolger wurde der bisherige Generalstaatsanwalt Ichtijor Abdullajew, 52 Jahre alt und ohne KGB-Vergangenheit.

Nur ein Etappensieg

Mirsijojew ist Ende August 2016 offensichtlich durch einen internen Aushandlungsprozess ins Amt gekommen und wurde erst danach per Volkswahl von der Bevölkerung bestätigt. Er musste sich seine Machtbasis im Laufe des letzten Jahres durch geschickte Personalpolitik erst schaffen. Mit Rustam Inojatow hat er nun einen der letzten und den mächtigsten Vertreter der alten Garde ausgeschaltet. Ohne Zweifel ist dies ein wichtiger, wahrscheinlich sogar der entscheidende Schritt zur Sicherung seiner persönlichen Machtstellung innerhalb der Elite. Damit ist sein Spielraum für weitergehende Reformen gewachsen. Nun wird sich zeigen, wie ausgeprägt sein Reformwille ist und inwieweit seine Initiativen wirklich von Inojatow und Co. ausgebremst wurden.

Noch ist aber weder der SNB grundlegend reformiert noch Usbekistan. Reformen können von oben und von einzelnen Personen angestoßen werden, ihre erfolgreiche Realisierung hängt von der Unterstützung auch der unteren Ränge staatlicher Institutionen und der breiten Masse der Bevölkerung ab. Hier ist Skepsis angebracht: Mirsijojew kritisiert nicht ohne Grund immer wieder Renitenz und Passivität von Staatsbediensteten. Ohne Angst vor einem allmächtigen Geheimdienst lebt es sich für alle leichter, doch ist der Weg hin zu einem rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Usbekistan, so es denn überhaupt angestrebt ist, noch lang.


Beate Eschment ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZOiS, wo sie die Zentralasien-Analysen herausgibt.