ZOiS Spotlight 19/2017

Die Aussichten der Populisten bei den tschechischen Wahlen

Von Pavla Homolová 19.07.2017
ANO-Parteigründer Andrej Babiš: Bei den kommenden Wahlen im Oktober haben die Populisten laut Prognosen gute Chancen. Martin Nejezchleba/n-ost

Nach vier Jahren einer relativ stabilen Koalition dreier unterschiedlicher politischer Parteien stehen die 200 Mitglieder des tschechischen Abgeordnetenhauses im Oktober wieder zur Wahl. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte des Parlaments wird sich die Tschechische Republik wohl weder der Mitte-Links-Partei ČSSD noch der konservativen ODS, sondern der populistischen ANO des Geschäftsmanns Andrej Babiš zuwenden. Der zweitreichste Tscheche möchte den Staat wie ein Unternehmen lenken.

Die letzten Parlamentswahlen waren 2013 wegen einer Regierungskrise vorgezogen worden. Die Krise wurde ausgelöst, als aufgedeckt wurde, dass der Berater des damaligen Premierministers sich wahrscheinlich des Machtmissbrauchs und der Bespitzelung mithilfe militärischer Geheimdienstagenten schuldig gemacht hatte. Das Vertrauen in das Abgeordnetenhaus war infolgedessen so gering wie nie zuvor.

Mit den Wahlen von 2013 veränderte sich das politische Spektrum. Die sozialdemokratische ČSSD, die 20 Prozent der Stimmen erhielt, und die ANO als neue politische Bewegung, die sich dem Kampf gegen die Korruption verpflichtet hatte und unerwartet 19 Prozent erreichte, kamen in einer Koalition mit den Christdemokraten an die Macht. Als weitere Parteien zogen die Kommunistische Partei, die konservative und proeuropäische Partei TOP 09, die traditionell konservative Partei ODS und die neue nationalistische, euroskeptische und antiislamische Bewegung Morgendämmerung ins Parlament ein.

Die folgenden Jahre, 2013 bis 2017, waren wirtschaftlich erfolgreich: Die Arbeitslosenquote lag im Durchschnitt bei 5,1 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt wuchs seit 2014 um mehr als zwei Prozent im Jahr und die Neuverschuldung sank (2016 wurde sogar ein Haushaltüberschuss verzeichnet). Aufgrund des Drucks von Nichtregierungsorganisationen gab es gewisse Fortschritte bei den demokratischen Rahmenbedingungen. Fünf Anti-Korruptionsgesetze wurden verabschiedet, allerdings mit beträchtlichen Ausnahmeregelungen. Nach Meinung von Expert*innen waren die Maßnahmen gegen Steuervermeidung, die Babiš 2016 als Finanzminister eingeführt hatte, wirkungsvoll gewesen.

Gleichzeitig ist Babiš beschuldigt worden, selbst einem Interessenkonflikt zu unterliegen, indem er Steuern vermieden und EU-Mittel veruntreut haben soll, und erst kürzlich hieß es, er habe versucht, die Redaktion eines seiner früheren Medienhäuser zu beeinflussen. Trotz wachsender Kritik wies der tschechische Präsident Miloš Zeman das Anliegen von Premierminister Bohuslav Sobotka zurück, Babiš als Finanzminister zu entlassen. Daraufhin entschied Sobotka, das gesamte Kabinett zum Rücktritt aufzufordern. Entgegen den Erwartungen, weigerte sich Zeman dies zu akzeptieren. In der Folge demonstrierten Tausende von Menschen in sieben tschechischen Städten und forderten Babiš Entlassung aus dem Ministeramt. Letztendlich stimmte Zeman der Entlassung zu und ein neuer Finanzminister wurde ernannt.

Infolge der Krise sank das Vertrauen in Parlament und Regierung auf den niedrigsten Wert seit 2013: Im Juni 2017 hatten noch 23 Prozent der Tschech*innen Vertrauen in die Gesetzgebung. Sobotka trat schließlich von der Führung der ČSSD zurück, nachdem die Zustimmung für ihn und seine Partei rasant zurückging. Erstaunlicherweise blieb die Zustimmung zur ANO mit 34 Prozent der potentiellen Wähler*innen im Juni ähnlich hoch wie vor der Krise. Grund könnte die chaotische und schlecht kommunizierte Vorgehensweise Sobotkas sein, die in Kontrast zur einfachen Botschaft von Babiš stand, der sich als Opfer mächtiger Akteure inszenierte. Zeman hatte das Vertrauen von 48 Prozent der Bevölkerung.

Im Vergleich mit seinen politischen Gegnern investiert Babiš viel Zeit in den persönlichen Wahlkampf, etwa, wenn er Exemplare seines Buches verteilt, in dem er seine Vision für die Tschechische Republik vorstellt. Dazu gehört auch der Vorschlag, den Senat und die Stadträte abzuschaffen, die seiner Ansicht nach die ‚Entscheidungsfindung bremsen‘. Ein weiteres Anliegen Babiš‘ ist es, das Verhältniswahlrecht im Parlament durch ein Mehrheitswahlrecht ersetzen.

Die ANO verspricht niedrigere Einkommenssteuern für alle, die unter 4.300 Euro monatlich verdienen, was dem Großteil der Bevölkerung entspricht. Die Bewegung ist gegen die Einführung des Euro und gegen das Quotensystem der EU-Kommission für die Aufnahme von Flüchtlingen, das, trotz der Androhung von Sanktionen durch die EU, im gesamten politischen Spektrum unpopulär ist. Euroskeptische, anti-migrantische und Anti-Korruptions-Rhetorik kommen in der tschechischen Bevölkerung gut an: 72 Prozent sind gegen den Euro, 69 Prozent denken, dass EU-Entscheidungen nicht ihren persönlichen Interessen entsprechen und 60 Prozent glauben, dass die Tschechische Republik unter keinen Umständen Kriegsflüchtlinge akzeptieren sollte.

Die ČSSD, mit einer neuen Führung und der Unterstützung von 12 Prozent der Wähler, hat ehrgeizige Pläne: den Durchschnittslohn um 44 Prozent in fünf Jahren anzuheben und eine progressive Besteuerung einzuführen, was Experten als überflüssig kritisieren, da das bestehende System bereits indirekt progressiv besteuere. Die Partei spricht sich ebenfalls vehement gegen die Flüchtlingsquote der EU aus. Nach Prognosen aus dem Juni werden außerdem die Kommunistische Partei mit 14,5 Prozent der Stimmen, die ODS mit 11 Prozent sowie die konservative, aber proeuropäische TOP 09 mit 6,5 Prozent voraussichtlich ins Parlament einziehen.

Einer Umfrage zufolge, sind den Tschech*innen die Themen Gesundheit, Familie und Sozialpolitik und die Reform des Rentensystems am wichtigsten, Prioritäten die dem Programm der ČSSD eigentlich näherkommen als dem der ANO. Dennoch gibt es nach einer Amtszeit der Sozialdemokraten den Wunsch nach einem Wechsel im Land.  Dieser Wechsel wird wahrscheinlich in Form einer gestärkten ANO kommen, die von einer der sichtbarsten Figuren in der politischen Landschaft repräsentiert wird.

Es könnte sein, dass die Tschech*innen in ihrer Hoffnung auf einen charismatischen Regierungschef, weniger Korruption und den Schutz vor Geflüchteten in einem weniger demokratischen und isolierten Land aufwachen. Die kontroversen Pläne der ANO mögen dabei keine entscheidende Rolle spielen: Die Wähler*innen machen ihre Wahl stärker an den bisherigen Erfahrungen mit einer Partei fest als an ihren Programmen oder ihrer Führung. Ein gewisses Potential, die politische Farbpalette zu bereichern, liegt bei den jungen Leuten, die proeuropäisch eingestellt und generell weniger den großen Parteien zugeneigt sind. Nichtsdestotrotz liegt die geschätzte Wahlbeteiligung bei den 18- bis 29-Jährigen derzeit nur bei 44 Prozent.

Die Programme der Parteien stehen fest. Entscheidend für die verbleibenden drei Monate wird sein, wie gut es deren Vetreter*innen gelingt, ihre Programme zu vermitteln: Noch sind 52 Prozent der potentiellen Wähler*innen nicht sicher, für welche Partei sie stimmen werden.


Pavla Homolová ist Doktorandin der Soziologie, Assoziierte Forscherin und unterrichtet an der Karls-Universität in Prag. Zur Zeit absolviert sie ein Praktikum am ZOiS.