ZOiS Spotlight 1/2024

Klimawandel und Wasserversorgung in Zentralasien

Von Nafisa Mirzojamshedzoda 10.01.2024

Mit dem Bau eines ambitionierten Bewässerungskanals möchten die Taliban der zunehmenden Trockenheit in Afghanistan begegnen. Doch das Projekt wirkt sich auch auf die zentralasiatischen Nachbarländer aus und zeigt, dass die Folgen der Erderwärmung eine Zusammenarbeit über politische Differenzen hinweg erfordern.

Grenzfluss zwischen Tadschikistan und Afghanistan. IMAGO / Pond5 Images

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Wasser ist in Zentralasien und Afghanistan eine strategisch wichtige natürliche Ressource, insbesondere angesichts der zunehmenden Folgen des Klimawandels. Die letzten drei Sommer erlebten diese Länder Rekordtemperaturen, sinkende Niederschlagsmengen und abschmelzende Berggletscher. Afghanistan, wo mehr als 70 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, ist nach wie vor von allen Ländern der Region am stärksten gefährdet. Die sich häufig wiederholenden Dürren und Naturkatastrophen beeinträchtigen die Wasserversorgung während der Vegetationsperioden und machen das Land anfälliger für Lebensmittelknappheiten. Um der drohenden humanitären Krise zu begegnen, hat sich der Bau des Kusch-Tepa-Kanals deshalb zu einer der höchsten Prioritäten des von den Taliban ausgerufenen Staats, dem Islamischen Emirat Afghanistan, entwickelt.

Die Bedeutung des Kusch-Tepa-Kanals

Die Anfälligkeit für sich verändernde Klimabedingungen erhöht naturgemäß die Bedeutung des Kusch-Tepa-Kanalprojekts. Nach seiner Fertigstellung soll der Kanal etwa 550.000 Hektar trockenes Land bewässern und tausenden afghanische Bäuer*innen in den Provinzen Balch, Dschuzdschan und Faryab, die mit anhaltender Dürre zu kämpfen haben, eine zentrale Ressource zur Verfügung stellen. Traditionell hängt der Lebensunterhalt dieser Bäuer*innen vom Niederschlag ab, der sich in Brunnen ansammelt, in letzter Zeit zum Ende der Regensaison jedoch weniger geworden ist. Außerdem sind die natürlich entstandenen Rinnen, die einst mit Schmelzwasser aus den Bergen gefüllt waren, nun zu Beginn der Vegetationsperiode größtenteils leer.

Die schwierige Aufgabe, gemeinsame Wasserressourcen zu verwalten, wird jedoch dadurch noch weiter erschwert, dass die nötigen institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Zusammenarbeit zwischen Afghanistan und seinen nördlichen Nachbarstaaten fehlen. In den 1946 und 1958 unterschriebenen Verträgen mit der Sowjetunion wurde zunächst eine Zuteilung von zunächst neun, später dann sechs Kubikkilometer Wasser an Afghanistan vereinbart. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden diese Vereinbarungen unwirksam, da Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan 1992 in Almaty ein Abkommen abschlossen, das eine gemeinsame Verwaltung ihrer Wasserressourcen festlegte. Der Vertrag schrieb die Gründung der Interstaatlichen Kommission für Wasserkoordination und ihrer regulatorischen Organe, den Flussgebietsorganisationen „Amudarya“ und „Syrdarya“, vor. Es ist wichtig anzumerken, dass Afghanistan am Abkommen von Almaty, das dafür verantwortlich ist, die Entnahme von Wasser aus dem Fluss zu überwachen, nicht beteiligt war, obwohl das Land etwa zehn Prozent des Zuflusses in das Aralseebecken beisteuert.

In der Vergangenheit wurde die Gesamtkontrolle über das Bewässerungsmanagement zentral von Moskau aus geregelt. In der Sowjetzeit wurde viel Wert auf die Bewässerungslandwirtschaft gelegt, um dem hohen Wasserbedarf des Baumwollanbaus gerecht zu werden, wofür die Umwelt einen hohen Preis zu zahlen hatte. Die zunehmende Austrocknung des Aralsees war die Folge. Das Bewässerungssystem beruhte auf der Errichtung einer gewaltigen Wasserinfrastruktur in den grenzüberschreitenden Flussgebieten Zentralasiens, insbesondere am Amudarja, Syrdarja und ihren Zuflüssen. Diese Flüsse spielen eine entscheidende Rolle für die nationalen Volkswirtschaften, sei es für die Stromerzeugung in den Ländern an ihren Oberläufen (Kirgistan und Tadschikistan) oder für die Landwirtschaft in den flussabwärts gelegenen Ländern (Usbekistan und Turkmenistan).

Bedenken unter den Nachbarländern

Insbesondere Usbekistan und Turkmenistan haben massive Vorbehalte gegenüber dem Bau des Kusch-Tepa-Kanals, da er sich aufgrund des geringeren Wasserdurchflusses unmittelbar auf ihre landwirtschaftliche und industrielle Produktionsleistung auswirken wird. Tadschikistan ist weniger stark vom Bau des Kanals betroffen, ist jedoch besorgt über jede Maßnahme, die der Taliban-Regierung mehr Stabilität verschaffen könnte. Verglichen mit anderen Nachbarländern in der Region sind die Beziehungen zwischen Tadschikistan und den Taliban eher angespannt. Ein Grund dafür ist die tadschikische Unterstützung der Nationalen Widerstandsfront, einer Widerstandsgruppe, die gegen die Taliban kämpft und sich hauptsächlich aus ethnischen Tadschik*innen aus Afghanistan zusammensetzt.

Interessant ist, dass der Bau des Kusch-Tepa-Kanals häufig als ein Instrument der Taliban betrachtet wird, sich sowohl im Inland als auch international politisch mehr Anerkennung und Legitimität zu verschaffen. Auf verschiedenen Social-Media-Kanälen präsentiert die aktuelle afghanische Regierung ihre eigenständigen Fortschritte bei der Durchführung moderner Bewässerungsprojekte in diversen Distrikten Afghanistan. Allerdings ist das Streben der Taliban nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit mit inhärenten Kosten für die Nachbarländer verbunden. In ihren übereilten Bemühungen, den Kanal innerhalb der nächsten zwei Jahre fertigzustellen, ignoriert die neue Führung in Afghanistan Angebote zusätzlicher Gutachten und Beratungen zur Machbarkeit und Nachhaltigkeit des Projekts. Infolgedessen mehren sich in den Ländern Zentralasiens die Bedenken. Der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew rief zum Beispiel im Oktober 2023 andere regionale Führer dazu auf, sich zusammenzutun und eine gemeinsame Position zu diesem Thema einzunehmen. Allerdings prägen die unmittelbaren Folgen des geplanten Projekts für die Nachbarstaaten und das Ausmaß, in dem sie betroffen sind, ihre jeweiligen Reaktionen und unterschiedlichen Positionen gegenüber den Taliban in dieser Frage.

Nichtsdestotrotz machen die Folgen des Klimawandels für Sicherheit und Stabilität nicht an politischen und nationalen Grenzen halt, und eine Antwort auf dieses Problem erfordert kollektive Anstrengungen. Der Klimawandel macht eine Zusammenarbeit zwischen unkonventionellen Partner*innen notwendig. Er birgt aber auch das Potenzial, neue Kanäle zu eröffnen, um Antworten auf seit langem bestehende Wasserkonflikte zu finden, Vertrauen zu stiften und durch wirtschaftliche und ökologische Kooperation die Beziehungen zwischen den Ländern Zentralasiens und Afghanistan zu verbessern.


Nafisa Mirzojamshedzoda ist Doktorandin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde sowie der Universität Fribourg und forscht im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten KonKoop-Netzwerks.