ZOiS Spotlight 4/2024

Die „Wahlen“ in Belarus zeugen von der Stärke des Lukaschenka-Regimes

Von Emma Mateo 21.02.2024

Nach der Niederschlagung der Proteste infolge der Präsidentschaftswahlen 2020 in Belarus nutzt Präsident Lukaschenka die Parlamentswahl 2024, um seine Macht abzusichern. Seine Ambitionen, Allianzen jenseits Europas zu schmieden, und der Ausgang des Kriegs Russlands gegen die Ukraine werden Belarus Zukunft prägen.

Minsk, Belarus, Februar 2024: Mitglieder der Wahlkommission bereiten ein Wahllokal für die vorgezogene Stimmabgabe bei den Parlaments- und Kommunalwahlen vor. © IMAGO / SNA

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Wolking.

Am 25. Februar 2024 finden in Belarus Parlamentswahlen statt. Die Wahlen sind nicht deshalb von Bedeutung, weil von ihnen irgendwelche wesentlichen Veränderungen der belarusischen Politik zu erwarten wären, sondern weil es sich um die ersten Wahlen seit der Präsidentschaftswahl 2020 handelt. Damals trieb der offensichtlich gefälschte Wahlsieg des Amtsinhabers Aljaksandr Lukaschenka über Swjatlana Zichanouskaja hunderttausende Belarus*innen auf die Straßen von Minsk und über hundert anderen Städten und Gemeinden. Für einen kurzen Augenblick schien Lukaschenkas autoritäres Regime in Gefahr. In den darauffolgenden Monaten gelang es der Regierung jedoch, die Proteste niederzuschlagen. Bis Ende 2020 waren mehr als 33.000 Personen verhaftet, Tausende zusammengeschlagen oder gefoltert und mehrere Protestierende getötet worden. Zahlreiche weitere Demonstrant*innen und ihre Familien verließen aus Angst das Land. Die Strafverfolgungen im Zusammenhang der Proteste halten bis heute an und es gibt in Belarus aktuell über 1.400 politische Gefangene. Lukaschenka hat die belarusische Politik und Gesellschaft stärker im Griff als je zuvor. Die Wahlen 2024 dienen als eine ernüchternde Mahnung daran, wie Belarus seit jenen hoffnungsvollen Tagen im Sommer 2020 in einen immer stärkeren Autoritarismus abgeglitten ist.

Wie 2020 wird es bei den kommenden Wahlen keine unabhängigen Wahlbeobachter*innen geben, sondern lediglich eingeladene Beobachter*innen aus befreundeten Staaten wie Russland und Aserbaidschan. Allerdings braucht es keine Wahlbeobachter*innen, um zu wissen, dass die Wahlen weder frei noch fair ablaufen werden. Während Lukaschenka 2020 die Teilnahme einiger vermeintlich harmloser Oppositionskandidat*innen erlaubte, wurde die politische Landschaft 2023 umgestaltet. Nachdem zwölf offizielle politische Parteien schließen mussten, stehen nur noch vier Parteien auf dem Wahlzettel, bei denen es sich allesamt um Unterstützer*innen Lukaschenkas handelt. Die belarusische Menschenrechtsorganisation Wjasna versieht den Begriff „Wahlen“ mit einem Sternchen und weist in einer Fußnote darauf hin, dass freie und faire Wahlen in dem Land momentan nicht möglich sind.

Anhaltende Repressionen

Dass Lukaschenka die Wahlen gewinnen wird, scheint unvermeidbar, und auch, dass es nach den Wahlen zu bedeutenden Protesten kommen wird, ist unwahrscheinlich. Neben der Unterdrückung von Oppositionsnetzwerken wurden weitere Schritte unternommen, um mögliche Proteste zu unterlaufen, etwa neue Verhaftungswellen, zusätzliche Trainings der Sicherheitskräfte und ein Verbot, ausgefüllte Stimmzettel zu fotografieren. Außerdem soll die Identität der Wahlkommissionsmitglieder geheim gehalten werden, da diese nach der letzten Wahl von Demonstrant*innen unter Druck gesetzt worden waren, die „wahren“ Auszählungsergebnisse zu veröffentlichen. Auf Grundlage einer Verfassungsänderung aus dem Jahr 2022 wird nach den Wahlen die sogenannte Allbelarusische Volksversammlung einberufen. Schätzungsweise 1.200 Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, der Regierung und des öffentlichen Dienstes werden von den lokalen und nationalen Behörden ernannt. Die Volksversammlung wird über Autorität gegenüber sämtlichen Teilen der Regierung verfügen und die Befugnis besitzen, Wahlergebnisse und Regierungsentscheidungen zu annullieren. Doch anstatt die Demokratie in Belarus zu stärken, wird Lukaschenka selbst dieser regimetreuen Versammlung vorsitzen. Sie wird also dazu dienen, seine Macht zu erweitern und das Regime auf einen loyalen Nachfolger vorzubereiten.

Aufgrund der seit 2020 anhaltenden Repressionen haben viele Belarus*innen sich dazu entschieden, das Land verlassen. Infolgedessen hat das Land mit seinen 9,4 Millionen Einwohner*innen mit hohen Auswanderungszahlen zu kämpfen. Schätzungsweise 200.000–500.000 Belarus*innen leben im Exil. Bei vielen dieser Emigrant*innen handelt es sich um hochgebildete Fachkräfte, weshalb die Sorge über einen Braindrain wächst. Ein zunehmendes Bewusstsein für dieses Problem hat die Regierung dazu veranlasst, Gegenmaßnahmen zu ergreifen: Belarus*innen können aus dem Ausland heraus nicht mehr ihre Reisepässe erneuern, Scheidungen einreichen oder Immobilien verkaufen. Manche Exilant*innen könnten dadurch zur Rückkehr gezwungen werden. Allerdings droht ihnen dabei Verhaftung – 2023 wurden etwa 100 Belarus*innen bei der Rückkehr ins Land festgenommen. Ob diese Politik dem Braindrain etwas entgegenzusetzen hat und die belarusische Wirtschaft wirksam fördern kann, bleibt abzuwarten.

Vertiefte Beziehungen zu Russland und die Suche nach neuen Verbündeten

Putins Unterstützung war dafür ausschlaggebend, dass Lukaschenka gegen Demonstrant*innen vorgehen und die von westlichen Sanktionen getroffene Wirtschaft wieder ankurbeln konnte. Belarus hat seine Beziehungen zum Kreml daher seit 2020 noch einmal erheblich vertieft. Lukaschenka erlaubte es Russland, belarusisches Territorium für seine Invasion der nördlichen Ukraine im Februar 2022 zu nutzen. Zudem beherbergt Belarus russische Truppen, militärische Ausrüstung, taktische Nuklearwaffen und Söldner der Gruppe Wagner. Lukaschenka betont nachdrücklich seine Weigerung, belarusische Truppen in die Ukraine zu entsenden, und Umfragen legen nahe, dass nur wenige Belarus*innen eine Beteiligung des Landes an Kriegshandlungen befürworten würden. Nichtsdestotrotz unterstützt das belarusische Regime Russlands Krieg: Erst kürzlich rief das Europäische Parlament den Internationalen Strafgerichtshof dazu auf, Lukaschenkas Komplizenschaft im Hinblick auf russische Kriegsverbrechen anzuerkennen.

Angesichts der Sanktionen, unter denen Belarus aufgrund der Repressionen und seiner Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine steht, bemüht sich das Land um engere Beziehungen zum globalen Süden – insbesondere zu nicht-demokratischen Regimen. 2023 signalisierte Belarus, dem Bündnis BRICS+ beitreten zu wollen, und könnte beim Gipfeltreffen in Russland im Sommer 2024 tatsächlich aufgenommen werden. Außerdem hat sich Lukaschenka um engere bilaterale Beziehungen mit China bemüht, das er 2023 zweimal besuchte, und eine mögliche trilaterale Partnerschaft mit Russland und Nordkorea ins Spiel gebracht. Diese außenpolitischen Ansätze stellen eine Abkehr von den Jahren vor 2020 dar, als Lukaschenka bemüht war, eine übermäßige Abhängigkeit von Russland zu vermeiden und sowohl der EU als auch anderen autoritäre Staaten den Hof zu machen.

Eine Zukunft für die Ukraine, eine Zukunft für Belarus

Zichanouskaja und ihr Vereinigtes Übergangskabinett schmieden im Exil Pläne für ein künftiges demokratisches Belarus und werben um die Unterstützung westlicher Verbündeter. Es bestehen jedoch nur geringe Aussichten, dass eine neue Welle des Widerstands aus der Bevölkerung Lukaschenka von der Macht vertreiben wird. Mit Ausnahme der apolitischsten wurden sämtliche zivilgesellschaftliche Organisationen geschlossen und nicht registrierte Organisationen unter Strafe gestellt. Unabhängige Medien wurden ausradiert, zahlreiche Medienorganisationen sowie der Belarusische Journalist*innenverband zu „extremistischen Organisationen“ erklärt. Mittlerweile stellt es bereits ein Verbrechen dar, diesen Organisationen in den sozialen Medien zu folgen. Proteste gegen den Krieg in der Ukraine wurden rasch niedergeschlagen und die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von Demonstrant*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen hält weiter an.

Manche Belarus*innen sehen die größte Hoffnung für einen Wandel in Belarus in einem Sieg der Ukraine über Russland, da sie glauben, dass ein geschwächter Putin nicht mehr imstande wäre, Lukaschenkas Regime zu stützen. Freiwillige übermitteln dem Projekt „Belarusischer Hajun“ Informationen über russische Truppenbewegungen in Belarus und gehen damit das Risiko ein, verhaftet zu werden. Derweil beteiligen sich belarusische Freiwillige als Kalinouski-Regiment am Krieg in der Ukraine mit dem Ziel einer „Befreiung von Belarus durch die Befreiung der Ukraine“. In Belarus mögen zwar bald Wahlen anstehen, die Zukunft des Landes wird angesichts des hartnäckigen Autoritarismus im Land jedoch viel eher durch die Ereignisse auf den Schlachtfeldern der Ukraine bestimmt werden.


Dr. Emma Mateo ist Soziologin und Postdoktorandin für Ukrainische Studien am Harriman-Institut der Columbia University.