Expert*innenstimme

Festnahme von Roman Protasewitsch in Minsk

Von Nadja Douglas 25.05.2021

Am 23. Mai fing das Regime in Belarus eine Passagiermaschine von Ryanair auf dem Weg von Athen nach Vilnius ab und zwang das Flugzeug zur Landung in Minsk. Dort wurde der Blogger und Oppositionsaktivist Roman Protasewitsch festgenommen. Er lebt seit 2019 im Exil. Dem Mitbegründer und bis September 2020 Chefredakteur des Telegram-Kanals NEXTA drohen in Belarus Folter vonseiten der Ermittlungsbehörden und jahrelange Haft wegen des Vorwurfs der Hetze und Organisation von Massenunruhen. Das Vorgehen Präsident Lukaschenkas sorgte international für Empörung. Im Rahmen eines Sondergipfels der EU-Staats- und Regierungschefs wurden weitere Sanktionen gegen Belarus beschlossen. Nadja Douglas ist Expertin für Sicherheitspolitik und forscht am ZOiS zu Belarus. Sie ordnet die Ereignisse für uns ein.  

Welche Rolle spielen Roman Protasewitsch und der von ihm gegründete Telegram-Kanal NEXTA in Belarus?

Der in Warschau ansässige Telegram-Kanal NEXTA mit mehreren Millionen Abonnent*innen spielte eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung und Koordinierung der Proteste im Zuge der gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020. Nachdem das Regime immer wieder den Zugang zum Internet blockiert hatte, konnte über NEXTA mithilfe eines verschlüsselten Datenverkehrs weiterhin kommuniziert werden. Protasewitsch ist als ehemaliger Chefredakteur neben Stepan Putilo einer der zwei bekannten Köpfe des Kanals. Die Namen von anderen Beteiligten wurden aus Sicherheitsgründen nie veröffentlicht. Protasewitsch ist zu einer Art Staatsfeind geworden, verfügt über wichtige Informationen und ist dadurch akut gefährdet.

Welche Rolle spielt Russland bei den aktuellen Ereignissen in Belarus?

Es ist schwer zu sagen, inwieweit Russland die jüngsten Operationen des belarusischen Regimes mitgetragen oder toleriert hat, oder gar aktiv beteiligt war. Die erzwungene Ryanair-Landung war eine vom belarusischen Geheimdienst geplante und durchgeführte Aktion. Es war die letzte von mehreren in kurzer Abfolge von Sicherheitsorganen gesteuerten Operationen. Dazu zählten die Aufdeckung eines angeblichen Putschversuches gegen Lukaschenka sowie die Schließung des unabhängigen Medienportals Tut.by, einschließlich der Festnahme zahlreicher Mitarbeiter*innen. Der entscheidende Unterschied zum Zwischenfall von Sonntag ist, dass die erwähnten Operationen auf belarusischem Staatsgebiet durchgeführt wurden. Der Eingriff in den internationalen zivilen Luftverkehr stellt hingegen eine neue Dimension dar. Falls die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) der Vereinten Nationen den Eingriff als Verstoß gegen die Chicagoer Konvention einstuft, handelt es sich hierbei um eine Verletzung des Völkerrechts, die auch Russland nicht ignorieren bzw. anders bewerten kann. Es bleibt abzuwarten, wie Russland auf die Ergebnisse der geforderten Untersuchungen reagieren wird.

Die EU hat weitere Sanktionen beschlossen. Wie wirksam sind solche Mittel und welche alternativen Handlungsräume gibt es noch in der internationalen Politik?

Die EU hat keine Wahl als den Forderungen nach harten Konsequenzen infolge dieses eklatanten Eingriffs in den zivilen Flugverkehr auch Taten folgen zu lassen. Den belarusischen Luftraum für den Transit zu sperren sowie die Ächtung der staatlichen Fluggesellschaft „Belavia“ werden das Regime schmerzlicher treffen als sämtliche Sanktionslisten, die letztlich nur ein zahnloser Tiger sind. Die EU könnte statt gezielter Maßnahmen gegen Einzelpersonen noch entschiedener gegen belarusische Unternehmen vorgehen. Davor scheut sie aber nach wie vor aus wirtschaftlichen Erwägungen zurück. Letztlich bleiben Sanktionen immer ein zweischneidiges Schwert: Die Streichung sämtlicher Flüge von und nach Minsk wirkt sich im Zweifel verheerend für die Mobilität der Menschen in Belarus aus und isoliert damit nicht nur das Regime, sondern auch die Bürger*innen des Landes.

(Der Text basiert auf dem Kenntnisstand vom 25.5.2021, 12:00 Uhr.)

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